Ruhrgebiet. In ärmeren Stadtteilen mit vielen Migranten ist der Anteil an Corona-Infizierten erhöht. Die Städte wollen die Menschen besser erreichen – wie?
Flüchtig betrachtet, fährt gerade ein Streifenwagen durch Duisburg-Hochheide, aber dann ist es doch das Ordnungsamt. Hätte man sich denken können: „Halten Sie Abstand! Tragen Sie Masken!“ und weitere Hinweise zum Schutz vor Corona ertönen aus dem Lautsprecher. Unüberhörbar in fünf Sprachen, doch oft nicht erhört. Seit Tagen schon fahren sie, aber Bezirksbürgermeister Hans-Joachim Paschmann nennt es doch „eine Verzweiflungstat: Kriegen wir sie über die Lautsprecher?“
Die Wagen fahren nicht durch die ganze Stadt. Sie fahren durch Stadtteile mit hohen Inzidenzen. In vielen Revierstädten sind das ärmere Stadtteile mit einem hohen Anteil von Migranten. Ärzte, Apotheker und Bürgermeister weisen darauf hin, dass deren Anteil an Impfverweigerern, Infizierten und Erkrankten überproportional hoch ist. Was tun?
Unter Geduldeten kursiert das Gerücht, nach einer Impfung abgeschoben zu werden
Unbestritten ist, dass das zusammenhängt mit den schwierigen Wohn- und Arbeitsbedingungen vieler Migranten. Darauf weist zum Beispiel der Düsseldorfer Medizinsoziologe Nico Dragano hin: „Menschen, die ärmer sind, sind auch häufiger vorerkrankt und anfälliger, sich zu infizieren.“ Aber das ist es nicht allein.
So kursiert unter Flüchtlingen und Menschen mit begrenzter Duldung offenbar das Gerücht, Geimpfte seien leichter abzuschieben. Die vielen jungen Männer unter den Migranten spielen auch eine Rolle, denn die Evolution hat junge Männer so geschaffen, dass sie Risiken einfach ignorieren. Nicht alle natürlich, in dieser Geschichte geht es nie um ,Alle’ - aber weit mehr als in anderen Altersgruppen.
„Manche Menschen glauben, an einer Impfung zu sterben“
Das weiß jeder Soziologe, das weiß auch der Essener Gesundheitsdezernent Peter Renzel: „Gerade junge Männer neigen dazu, Härte, Angstverachtung und Rebellentum durch das Brechen von Corona-Regeln zu demonstrieren.“
Spricht man mit Zoubeida Khodr, der Vorsitzenden des Integrationsausschusses in Bochum, sagt sie ganz klar: „Es gibt Angst ohne Ende. Manche Menschen glauben, an einer Impfung zu sterben. Viele haben Verwandte in anderen Ländern, und sie tratschen über alles Negative tausend Mal mehr.“ Auch so ein Gerücht: Die Impfung mache unfruchtbar. Das kursierte übrigens schon im Januar unter Pflegepersonal.
Mehrsprachige Umfrage im Internet soll die genauen Ängste erkennen
Khodr arbeitet aber auch an einem Projekt, das Abhilfe schaffen soll. Zusammen mit der Hochschule für Gesundheit hat sie eine mehrsprachige Umfrage ins Internet gesetzt, was die konkreten Ängste sind. Unsichere Impfstoffe? Langzeitschäden? Zwangsimpfung? Wenn sich daraus ein Bild ergibt, sollen diese benannten Ängste bekämpft werden. Khodr: „Die Leute brauchen positive Informationen und Vorbilder aus der eigenen Gemeinschaft, die sich impfen lassen.“
Andere Städte, andere Ideen: In Köln sollen mobile Impftrupps in die Brennpunkte geschickt werden, in Gelsenkirchen kursiert die Idee auch schon. Mülheim will 25000 mehrsprachige Handzettel in drei betroffenen Stadtteilen verteilen. Oberhausen sie über Schulen und Kitas ausgeben – wenn die offen sind. Das ist ja auch so ein Problem gerade, sagt Admir Bulic von der Awo Gelsenkirchen: „Die eigentlich effektivste Methode, die persönliche Begegnung im Viertel, ist seit einem Jahr nur eingeschränkt möglich.“ Was tun?
Herne entwirft eine Plakatkampagne, Oberhausen schickt Impfpaten los
Gelsenkirchens Corona-Telefon ist seit einigen Tagen mehrsprachig. In Oberhausen gehen einige Impfpaten, die bisher alte Menschen begleiteten, heute mit Migranten. Und Hernes Oberbürgermeister Frank Dudda hat erst am Dienstag eine Plakatkampagne vorgestellt: An hunderten Stellen und in neun Sprachen soll in der Stadt bald die gedruckte Aufforderung hängen, sich impfen zu lassen.
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Weiter. Der Bochumer Landtagsabgeordnete Serdar Yüksel denkt an den Einsatz von ehrenamtlichen „Kulturmittlern“, um Leute anzusprechen. Für ihn verläuft die Grenze nicht zwischen Bevölkerungsgruppen, sondern zwischen arm und reich: „Nicht der iranische Chefarzt in Stiepel ist das Problem, sondern die Lebensumstände in sozialen Brennpunkten.“
Denn natürlich hat sich, wie so oft in letzter Zeit, eine Debatte über die Debatte entwickelt. So machen nun Hetzer im Internet Migranten zur Ursache der Pandemie; und umgekehrt wird so mancher, der das Problem angesprochen hat, jetzt als „Rassist“ angegangen.
„Wenn es Probleme gibt, muss man sie benennen und lösen“
Renzel etwa, der Essener Dezernent. Er hatte unter anderem die Namen von Corona-Patienten im Krankenhaus aufteilen lassen in deutsche und vermutlich migrantische. Die Grenzen dieser Methode zeigen sich recht schnell, wenn man etwa hinweist auf Miguel Martin Gonzalez Kliefke. Das ist der Vorsitzende des Essener Integrationsrates, CDU-Politiker ist er und Vertreter des Ansatzes, die Wohnverhältnisse seien ausschlaggebend. Soviel Widersprüchlichkeit muss jetzt mal sein.
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Jedenfalls ist es nicht so einfach wie der Rat einer Apothekerin aus Bottrop in der Sache: „Wenn es Probleme gibt, muss man sie benennen und lösen.“ Darum gehen jetzt auch manche Stadtverwaltungen auf Moschee- und sonstige Migranten-Vereine zu und wollen mit ihnen über Impfmüdigkeit und migrantisches Querdenken reden. Dagegen ist ein Vorschlag aus Mülheim schon wieder beerdigt: ein Mitglied des Integrationsrates in den Corona-Krisenstab aufzunehmen. Das gehe nicht. Des Datenschutzes wegen. Auch so ein Thema.