Essen. Hinter diesen Bärten stecken keine Schurken: Wir blicken hinter die finstere Gesichtsbehaarung der Bearded Villains – die wollen nur spielen.

Versprochen, diese Geschichte hat einen Bart. Sogar mehr als einen. Allein in NRW sind es 30. Erwachsene Männer mit sprießenden Kinnhaaren als Markenzeichen. Sie treffen sich in ihrer Freizeit. In ganz Deutschland zählen die Bearded Villains 100 Mitglieder, rund um den Globus 4000. Die Bartbruderschaft gibt sich gern geheimnisvoll und trägt zwei gekreuzte Schwerter im Wappen. Vollbart ist Pflicht: Ob blond, braun, grau, rot oder schwarz, glatt, gelockt oder gekräuselt. Und die nötige Pflege gehört natürlich auch dazu...

Gewaltige Kulisse für kapitale Burschen mit ebensolchen Bärten: die Bearded Villains vor der Kokerei des Welterbe Zollverein in Essen.
Gewaltige Kulisse für kapitale Burschen mit ebensolchen Bärten: die Bearded Villains vor der Kokerei des Welterbe Zollverein in Essen. © Marcus Locher

Übersetzt bedeutet der Name „bärtige Schurken“. Denen wären wir zu gern persönlich begegnet. Am liebsten abends, an einem coolen Ort, in einem Pub oder auf der Zeche Zollverein. Die Industriekulisse lockte den Club 2017, 2018 und 2019 zum Germany Chapter Meeting. Die Bärtigen posierten vor den Backsteinbauten und Altanlagen. Neben nationalen Meetings – an unterschiedlichen Orten – gibt es regionale Treffen in Nord-, West-, Ost- und Süddeutschland.

Wer die Welt verändern wollte, trug Bart

Wer sie nicht kennt, könnte die Bearded Villains (kurz BV) für Rocker halten, denen man besser aus dem Weg geht. Sie fühlen sich wie Brüder und wenn sie feiern, bringen viele Frauen und Kinder mit. Wer sind diese Bärtigen und was treibt sie an? Erste Einblicke gibt das Video von der Party im Essener „Unperfekthaus“. Ein Abend mit mitreißender Live-Musik, Stauder Bier und bester Stimmung. Zu sehen auf: www.youtube.com/watch?v=qCOdFeBJJ-k

Eine Menge Geschichten ranken sich um das Thema. Wer die Welt verändern wollte, trug Bart. Revolutionäre voran. Marx oder Engels glattrasiert? Nicht vorzustellen.

Mit solch berühmten Vorbildern mag sich keiner der etwa 30 Bearded Villains an Rhein und Ruhr auf eine Stufe stellen. Doch die Liebe zum Bart eint alle. Über das Internet sind sie gut vernetzt. Sie tauschen Gedanken und Fotos über WhatsApp und Instagram aus. Wegen Corona finden derzeit keine persönlichen Treffen statt. So zwingt die Pandemie auch uns zum Zoom-Interview in den eigenen vier Wänden, wo wir drei Mitgliedern auf Abstand begegnen.

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Hin und wieder ruckelt die Internetverbindung auf der virtuellen Nord-Süd-Achse Borken-Heinsberg, wenn zunächst der „Onkel“ über den PC von seinem haarigen Hobby erzählt. Hinter dem länglichen Bartgesicht steckt Dirk Gottschalk. Ein dunkelhaariger Muskulöser aus dem Münsterland. In der Club-Hierarchie steht Gottschalk ganz oben. Auf Instagram zeigt der BV-Käpt’n an Rhein und Ruhr gern, was er für ein harter Kerl ist. Der 51-Jährige fordert sich gern selbst heraus. Für seine Ziele trainiert der Produktionsleiter hart und genießt den Erfolg, etwa nach Hindernisläufen, die man dem ärgsten Feind nicht wünscht. Weder Wind noch Wetter halten „Uncle Dirk“ (Spitzname) ab von einem ausgedehnten Trail. Da kämpft sich das 1,98 Meter große Kraftpaket über Stock, Stein und Schlamm. Dann erzählt der Chef der „Schlamminators“ von der Teilnahme an Extremrennen wie dem „Tough Mudder“, 2019 in Arnsberg. Nicht genug: In einer Halle in Essen nahm Gottschalk vor Corona noch an einem Hyrox-Wettkampf teil. Kein Spaziergang, sondern ein Indoor-Race der Extraklasse. Nur ganz Harte meistern die Kombination aus Leichtathletik und Gerätetraining. „Wenn alles gut läuft, gehen die Events im April wieder los“, hofft der Käpt’n. Den Bearded Villains ist er ein sportliches Vorbild, Pflicht sind solche Trainings nicht.

Mit Frau und Kindern

Eher gemütlich mag es der Co-Käpt’n. Christian Meyers ist ein Familienmensch und arbeitet als Verkäufer in der Holzabteilung eines Baumarktes. Mit Frau und Zwillingen posiert der tätowierte Bartträger aus dem Kreis Heinsberg auf Instagram. Sein Haupt- und Barthaar fallen üppig aus. Ist der 31-Jährige etwa ein Schurke? Uns winkt er freundlich aus dem Wohnzimmer in die Kamera. Genussvoll auf dem Schnuller kaut einer der Kleinkindsöhne, den „Legga Chris“ auf dem Schoß hält. So schaut kein Bösewicht aus. Dennoch: Vor einigen Jahren wurde ein Chapter der Bearded Villains in Schweden auf der Straße von der Polizei gestoppt, wie wir im Internet gelesen haben. Die Beamten sollen die Bärtigen in ihrer rockerähnlichen Kluft mit den Aufnähern (Patches) für Islamisten gehalten haben. Chris kann über diese Story nur schmunzeln und erinnert an einen Kneipenabend in Essen. Als sich keiner an ihren Nachbartisch setzen wollte. „Dabei war der Laden rappelvoll.“ Und sie waren bloß zu fünft unterwegs.

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Bärte beim Barbier: Die hingebungsvolle Pflege der Gesichtstracht ist Ehrensache.
Bärte beim Barbier: Die hingebungsvolle Pflege der Gesichtstracht ist Ehrensache. © Bearded Villains

Kein Zweifel: Die Bearded Villains spielen mit ihrem Aussehen und wissen um die Wirkung. „Das Erschaffen von Feindbildern ist die wirkungsvollste Methode, die Massen zu manipulieren“, lautet der Text unter Chris’ Insta-Foto vom Shooting mit dem Käpt’n. Darum geht es den Brüdern im Barte. Ihre Botschaft an die Welt: Lasst euch vom ersten Eindruck nicht täuschen. Schaut erstmal hinter die oft finsteren und wilden Bärte. Dahinter steckt vielleicht ein guter Typ. Die Video-Konferenz verläuft nicht störungsfrei, doch das Bild der BVs wird klarer.

Die Werte der Bärte

Hinter den Bärten stecken Werte, die der Club und seine Brüder vertreten: „Loyalty, honor and respect“ hat Clubgründer Fredrick Von Knox, 2014 in Los Angeles, zu Leitlinien erhoben. „Diese Philosophie hat mich fasziniert“, sagt Gottschalk. Über das Internet wurde er 2015 auf die Schurken aufmerksam. Zunächst nahmen sie ihn in eine WhatsApp-Gruppe auf und überprüften seine Kontakte. „Extremisten nehmen wir nicht, gleich welcher Richtung.“ Dirk durfte bleiben. Was er bei den Brüdern fand, gefiel ihm: „Ein Männerclub, in dem ich eine gute Zeit verbringe und Spaß habe.“ Hinzu kommt: Die Bärtigen stehen Schwächeren solidarisch zur Seite. Auf jedem größeren Treffen sammeln sie Geld für gute Zwecke. Unterstützt werden Familien in Not, Vereine oder Verbände, die sich für ebendiese engagieren. Charity. Bisweilen krempeln sie selbst die Ärmel hoch, wie 2018 bei einer jungen Frau mit Baby. Der renovierten zehn von ihnen nach dem Motto „viele Hände, schnelles Ende“ kurzerhand an einem Wochenende die ganze Wohnung in Bochum. Der Freund hatte die Frau einfach sitzengelassen, als sie schwanger war.

Frei vom Alltagsstress verbringen die Bartträger schöne Stunden. Verbunden- und Vertrautheit schätzt Bartyrer an der Bruderschaft. Er hat das Interview vermittelt und will als Mitglied mit dem Status „Member/Loyal“ beim Gespräch im Hintergrund bleiben. Eigentlich heißt der 46-Jährige aus Waltrop David Zabel und ist als Kommunikations-Designer erfolgreich. Sein Mitgliedsname sei eine selbst gewählte „Kombination aus Bart und Märtyrer.“ Auf seinen dichten, dunkelbraunen Bart ist er stolz. Schon als junger Mann habe er damit geliebäugelt. Bis er den Rasierer beiseitelegte, vergingen ein paar Jahre, in denen er hin- und herüberlegte, ob er sich den in seinem Job leisten kann. „Bis heute werde ich oft auf meinen Bart angesprochen“, so der Artdirector bei Funke in Essen.

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Vom Arbeiter über den Arzt bis zum Rentner

Aus Chaptern in 25 US-Staaten, Mexiko, Kanada, Australien, Griechenland, Großbritannien, den Niederlanden und fünf Regionen in Deutschland stammen die Mitglieder. Die Bruderschaft steht allen offen: Niemand wird wegen seiner Hautfarbe, Herkunft oder Religion ausgeschlossen. „Zu uns gehören Männer jeden Alters und aus allen Berufen, vom Arbeiter über den Arzt bis zum Rentner“, betont Bartyrer. Nach vielen Jahren weiß er auch viel über die Pflege des Gesichtshaars. „Ein Dreitagebart reicht nicht aus, fünf Zentimeter Länge sollten es schon sein.“ Bei Corona sind die Zeiten haarig. Denn Vollbart und FFP2-Maske passen eher schlecht zusammen. „Aber es geht“, fügt der Käpt’n aus Borken hinzu. Im Beruf muss er zur Maske noch ein Haarnetz ums Kinn tragen. Ein zweites auf dem Kopf. „Das ist Vorschrift in der Lebensmittelindustrie.“

Drei Bärte und eine Lady: Das Interview fand via Zoom-Konferenz statt.
Drei Bärte und eine Lady: Das Interview fand via Zoom-Konferenz statt. © Bearded Villains

So verschieden die Träger, so die Bärte. „Da muss jeder seinen optimalen Weg zur Pflege finden“, fährt Bartyrer fort. Alle zwei, drei Monate geht er zum Barbier. „In der Zwischenzeit schneide ich die Spitzen selbst.“ Ein Vollbart benötige viel Pflege, ab und an etwas Öl oder Pomade, um gesund und natürlich auszusehen. Gift fürs Haar: viel Föhnen. Dann ist aber auch fast alles gesagt zum Thema. Das Schlusswort sei BV-Gründer Von Knox gegönnt. Der formulierte 2014 recht pathetisch die Ziele des Clubs in den Statuten. Diese lauten übersetzt „bärtige Männer aller Kulturen, Rassen, Glaubensbekenntnisse und Sexualität in einer Bruderschaft zu vereinen, die sich der Loyalität, Ehre und dem Respekt gegenüber allen Menschen verschrieben hat und sich der Verbesserung der Menschheit durch Brüderlichkeit, Nächstenliebe und Güte widmet.“ Schurken reden anders.

Der Bart des Pythagoras

Der Bart als Teil der männlichen Körperbehaarung, verteilt um Mund, Kinn, an den Wangen und am vorderen Hals, hat in allen Kulturen Tradition. Etwa 2,8 Millimeter pro Woche, so Experten, wächst das Barthaar eines erwachsenen Mannes. Wer sein Gesicht lieber nackt mag, rückt der Natur mit dem Rasierer zu Leibe. Bärtige Vorbilder finden sich reichlich. Angefangen bei griechischen und römischen Helden und Philosophen wie Pythagoras und Sokrates, deren üppigen Lockenbärte in Stein gemeißelt bis heute aus der Antike erzählen. Als Zeichen der Weisheit galt ein langer, weißer Bartzopf bei den Indern. Bei der Recherche stoßen wir schnell auf den Bart des Propheten: Der soll laut Überlieferung – wie sein Haupthaar – bis zu Mohammeds Tod kaum ergraut sein.

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