El Tejar. In Guatemala haben Kinder seit März keine Schule mehr. Manche wollen sie nun abbrechen, anderen droht Gewalt. Eine Initiative hält dagegen.

Eigentlich ist ihr Thema die Gewalt, die sieben von zehn Kinder in Guatemala irgendwo erleben. Gewalt in der Schule, Gewalt im Elternhaus, Gewalt auf der Straße, Gewalt, Gewalt, Gewalt. „Wir sind ein Angebot, und die Banden sind ein anderes Angebot“, sagt Saul Interiano (45), der durchsetzungsstarke Chef der Hilfsorganisation „Coincidir“ („Zusammenwirken“). Doch dieses Jahr haben sie umgeschaltet. Zu dem Kampf gegen die elende Gewalt kamen Nothilfe und Nachhilfe. Corona, weswegen sonst?

2018 haben Sie, liebe Leser, im Zuge der Weihnachts-Spendenaktion von Kindernothilfe und WAZ mehr als 100.000 Euro gegeben, damit Coincidir in Hochland von Guatemala ein Schutzhaus für leidende Kinder aus schwierigen Verhältnissen bauen konnte. Wo sie spielen und lernen können, therapiert werden; im Notfall einziehen, wenn sie bedroht sind.

Spenden von 2018: Der Zufluchtsort für bedrohte Kinder ist nahezu fertig

Saul Interiano leitet die Hilfsorganisation Coincidir im Hochland von Guatemala.
Saul Interiano leitet die Hilfsorganisation Coincidir im Hochland von Guatemala. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Dieser Zufluchtsort ist fast fertig, es fehlten „nur noch einige Fenster und Türen im Außenbereich“, sagt Interiano im Videogespräch. Sanitäranlagen, das Fußballfeld, Bäume, Schlafplätze – alles da. Das ist die gute Nachricht. Und diese: Weiße Fahnen oder Decken an den Häusern der Kleinstadt El Tejar sind kaum mehr zu sehen, mit denen Menschen anzeigten: Wir brauchen Hilfe. Coincidir-Mitarbeiter und ältere Kinder haben ihnen in der Not oft Lebensmittel gebracht und Hygieneartikel.

Die schlechte Nachricht ist: Wegen Corona konnte Coincidir monatelang nur mit kleinen Gruppen von Kindern arbeiten. Sie halfen ihnen auch, damit fertig zu werden, dass die Schulen wegen Corona geschlossen waren. In Deutschland wird befürchtet, dass acht Wochen ohne Schule Kindern dauerhaft schadet? In Guatemala sind es jetzt sieben Monate. Nun sind dort die üblichen, langen Winterferien.

„Ich kann ja ohne Lehrerin auch niemanden fragen“

Hola Abner, muchos saludos! Abner, der 14-Jährige, ist einen Atlantik von uns entfernt, 9400 Kilometer, aber wenn er erzählt vom Schuljahr ohne Schule, kommt einem manches bekannt vor. Wie schwierig es war mit dem wackeligen Internet, mit den Hausaufgaben. „Am schwierigsten war Englisch“, sagt der Junge: „Ich kann ja ohne Lehrerin auch niemanden fragen.“

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Geschafft hat er es letztendlich nicht. Ausdrucken immerhin konnte er bei Coincidir – und ein Fahrrad leihen, um die Hausaufgaben zum Lehrer zu bringen. Viel hat er zu Hause gesessen, sich gelangweilt, ferngesehen (und manchmal verbotenerweise draußen mit Freunden gespielt. Wenn die Polizei vorbeifuhr, haben Sie sich versteckt. Das muss aber unter uns bleiben).

Die Kinder sind gestresst und ausgelaugt und haben Zukunftsängste

Ähnliche Probleme hatte Alison. Noch mehr also sonst hat die Elfjährige ihren Eltern bei der Arbeit geholfen, sie machen Tortillas. Das Internet mit den Schulaufgaben war häufig nicht zu erreichen, in das man sich in Guatemala in der Regel mit dem Telefon einwählt. Auch Alison hat die Materialien von Coincidir genutzt und den Drucker. „Ich hoffe, dass es bald wieder normal wird und ich wieder normal spielen kann“, sagt Alison.

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Zwei Kinder von vielen hundert, die Coincidir betreut in Projekten wie „Paz y buen vivir“ („Frieden und gutes Leben“) oder „Hagamos comunidad“ („Wir schaffen Gemeinschaft“). Was sie bedrückt, steht in Projektberichten. „Lernziele wurden häufig nicht erreicht. Die Eltern sind oft weniger gebildet.“ – „Sie fühlen sich gestresst und ausgelaugt. Die Eltern sind besorgt.“ – „Kinder außerhalb der Schule sind auf der Suche nach befristeten Jobs.“ – „Kinder leiden noch immer unter den Folgen: Armut und Zukunftsängsten.“ Und bei all dem „bestimmt Gewalt stark den Alltag“.

„Aber Mama sagt, ich soll weitermachen“

Ein Junge spielt in einem Armenviertel von El Tejar mit einem selbstgebauten Drachen. Die Bauteile hat er aus dem Müll gefischt.
Ein Junge spielt in einem Armenviertel von El Tejar mit einem selbstgebauten Drachen. Die Bauteile hat er aus dem Müll gefischt. © Fabian Strauch / FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

In diesem Jahr helfen Ihre Spenden, liebe Leser, Kindern weltweit in Projekten, die unter Corona leiden. Die Spenden der Weihnachtsaktion sind deshalb auch für die normale Arbeit in den Zentren von Coincidir: um Mädchen und Jungen zu schützen. Im Januar sollen die Schulen in Guatemala wieder öffnen, in welcher Form, muss man dann sehen.

Ob Abner dann wohl noch dabei ist? Er erzählt, dass er die Schule abbrechen möchte: „Es macht keinen Spaß mehr.“ Geschäftsmann möchte der Junge jetzt schon werden, um, wie er sagt, seiner Familie zu helfen. „Aber Mama sagt, ich soll weitermachen.“ Und Saul Interiano, der Chef von Coincidir, sagt ihm das bestimmt auch. Wir haben Saul danach nicht mehr fragen können. Er hatte die Videorunde verlassen, um bei irgendetwas zu helfen. Aber wir kennen ihn.

>>Info: Das Spendenkonto von WAZ und Kindernothilfe

Hier können Sie Kindern helfen: Das Spendenkonto für die Weihnachtsspenden-Aktion von WAZ und Kindernothilfe hat dieselbe Nummer wie in vergangenen Jahren. Empfänger: Kindernothilfe Stichwort: Corona – Hilfe für Kinder weltweit IBAN : DE4335 0601 9000 0031 0310 BIC : GENODED1DKD (Bank für Kirche und Diakonie). Hier können Sie direkt spenden