El Tejar. WAZ-Leser helfen Kindern in Guatemala. Für sie soll ein Schutzhaus entstehen. Denn familiäre Gewalt und Drogenkriminalität sind weit verbreitet.
Die kleine Jessica kennt ja nichts anderes. Plastikflaschen dichten im Ein-Raum-Elternhaus die Lücken zwischen Außenwand und Wellblechdach ab: normal. Die Kinder spielen auf der Straße mit herrenlosen Hunden: normal.
Da unten in der vermüllten Senke fließt „agua negra“, namenloses Dreckwasser: normal. Bandenmitglieder werfen zusammengebundene Schuhe in die tief hängende Hochspannungsleitung, um ihr Herrschaftsgebiet zu markieren: weiß sie nicht, ist aber normal. Sie baumeln wenige hundert Meter entfernt von Jessicas Hochbett.
Drogenkarrieren beginnen mit acht Jahren
Sie kennt das alles nicht anders, doch wird jemand Jessica behüten müssen, es wird Zeit, schließlich ist sie schon sechs. Drogenkarrieren beginnen in Guatemala auch schon mit acht. Fragen Sie doch ihren süchtigen und dealenden Bruder (15). Bei dem war es so.
Die Hilfsorganisation „Coincidir“ („Zusammenwirken“) kam nach El Tejar westlich von Guatemala-Stadt, weil die Zahlen hier so traurig sind. Hohe Armut und Kriminalität, steigende Gewalt auch gegen Kinder, gegen Mädchen.
„Gewalt kann man verlernen“
Aber „Gewalt kann man verlernen“, sagt Saul Interiano, der Chef von „Coincidir“. Der 43-Jährige ist ein Mann für starke Sätze: „Wir sind ein Angebot, die Banden sind ein anderes Angebot.“
Mit Coincidir und der deutschen „Kindernothilfe“ als Partnern wollen wir den Kindern von El Tejar ein Schutzhaus bauen: Das ist die WAZ-Spendenaktion in diesem Dezember.
Der Ehemann arbeitslos, der Sohn süchtig
Ein Schutzhaus, in dem die vorübergehend leben und schlafen können, denen Gewalt droht oder schon begegnet ist. Ein Haus, in dem sie malen und spielen können, musizieren oder ein Buch finden. Dazu brauchen wir Ihre Hilfe, liebe Leser: Hilfe für dieses „Haus, wo Kinder Frieden finden“, so Iteriano.
Es gibt zwei Provisorien, in El Tejar und in San Andres, „Zentrum für Friedenserziehung“ heißen beide, kleine Therapiezentren ohne Schlafplätze oder großen Rückzugsraum. Diana, Jessicas Mutter, kommt schon länger hierher. Dem Weinen nah, erzählt sie von der Armut, vom arbeitslosen Ehemann, der trinkt und sich unsichtbar macht, vom süchtigen Sohn.
„Das war mein großer Fehler“
Er ist wieder zuhause, nachdem er Monate auf der Straße gelebt hat. „Ich habe ihn viel geschlagen, das war mein großer Fehler“, sagt die 45-Jährige. Heute besucht Diana ein Anti-Gewalt-Training. Die Bilder an der Wand hinter ihr, von Kindern gemalt, zeigen dazu die schönen Seiten des Lebens: Blumen, Autos, einen Wald, Schmetterlinge. Hier hat das Böse keinen Platz.
Oder? Sieben Kinder sitzen in einem Nebenraum. Was macht ihr hier? „Wir werden über Selbstschutz aufgeklärt“, sagt Alvaro (14). Linsi (12): „Und es gibt Gespräche über Gewalt.“ Fatima (10): „Wenn etwas geschieht, sollen wir es nicht für uns behalten, sondern erzählen.“
Nicht nur Sex, Drogen und Gewalt
Linsi: „Schreien, weglaufen und es jemandem erzählen.“ Mayerli (12): „Wenn wir es jemandem sagen, und der nimmt uns nicht ernst, sollen wir zu jemand anderem gehen.“ Carla (12): „Es gibt hier kein Mobbing und kein Fluchen. Anders als in der Schule.“
Nebenan probt Evelyn (17). Sie geriet an die Drogen, da war sie neun oder zehn, und das war kurz nach der Trennung ihrer Eltern. „Ich traf auf der Straße Mädchen, die Drogen nahmen, da nahm ich sie auch“, sagt Evelyn, die überlebt hat. Sie geht zu „Coincidir“, weil sie dort Rap machen kann, Sprechgesang; Jugendliche will sie damit erreichen und aufklären, dass es nicht nur Sex, Drogen und Gewalt gibt.
41 Schutzbefohlene starben im Heim
Dazu ist sie gekommen über ein Unglück, das das ganze Land erschüttert hat und das als Beispiel gilt, welche Gefahren Mädchen in Guatemala drohen: den Waisenhaus-Brand von 8. März 2017. Das Datum kennt hier jeder.
41 misshandelte und missbrauchte Mädchen, die die Behörden deshalb aus ihren Familien genommen hatten, verbrannten und erstickten damals im Heim: Niemand ließ sie aus dem verschlossenen, brennenden Raum.
„Wie viele Mädchen müssen noch sterben?“
Sie waren 14 bis 17 Jahre alt und starben an dem Ort, an dem sie doch endlich in Sicherheit sein sollten. Evelyn hat daraus ein Lied gemacht für einen Frauenmarsch zum Ministerium, wo sie 41 Fragen übergaben. „Wir haben gefragt: Wieviel Mädchen müssen noch sterben, bevor sie besser geschützt werden?“, sagt Evelyn.
Da ist der Anti-Gewalt-Kurs längst zu Ende, Diana nach Hause gegangen. Sie müsste dabei an der Straßenecke vorbei gekommen sein, wo Drogenbanden den jüngsten Sohn von Gregoria Arana erschossen haben. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.
Das Spendenkonto
Wir bauen ein Haus für Kinder. Und Sie können helfen: Empfänger Kindernothilfe IBAN: DE4335 0601 9000 0031 0310 BIC: GENODED1DKD (Bank für Kirche und Diakonie). Stichwort: Schutzhaus Guatemala.