San Andres. . In der Kleinstadt San Andres sind etliche Kinder gezwungen zu arbeiten. Viele kommen aus gewalttätigen Familien. WAZ-Leser bauen ihnen Schutz.
Mittags läuft der elfjährige Cristian immer los, denn die Arbeit wartet. Eine Stunde läuft der Junge nach San Andres hinein, klopft an vier oder fünf Häusern, „bei festen Kunden“, wie er sagt, nimmt deren Müllsäcke entgegen und trägt sie zu einem Sammelpunkt. Jeden einzelnen Tag.
Für eine Handvoll Quetzales, die Münzen von Guatemala – eine entspricht gut elf Cent. „Ich muss dann nicht stehlen“, sagt Cristian. Lieber würde er wieder zur Schule gehen, „die Mama erlaubt es“, aber da darf man durchaus seine Zweifel haben. Der Junge träumt doch.
Damit Geld ins Haus kommt
Denn die Mama, Doña Maria N. (50), hält ja auch ihren Sohn Wilber (15) und dessen Onkel Sergio (15) aus der Schule fern und zum Arbeiten an. Damit Geld ins Haus kommt.
Mit einem Ehemann, der trinkt und, wenn er sich aufrafft, irgendwo auf dem Bau hilft, mit zwölf Kindern und fünf Enkeln lebt sie, nicht immer ganz namenssicher in der Ansprache der Kleinen, in einer Siedlung am Rande der Stadt. Da, wo die Kinder sich Winddrachen aus den Fetzen von Plastiktüten basteln. Ein Hund humpelt vorbei.
Hilfsorganisation will die Kinder retten
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Dass die Familie sehr arm ist, kann man nicht ernsthaft bezweifeln. Auch nicht, dass Kinder keine Zukunft haben, wenn sie arbeiten müssen, statt zu lernen. Eine gute Vergangenheit haben sie – auch nicht.
Sergio etwa, der Onkel des gleichaltrigen Wilber, hat sich zur Großmutter geflüchtet, weil sein Vater seine Mutter verprügelt. Alle drei Jungen kommen regelmäßig zum Zentrum der Hilfsorganisation „Coincidir“ („Zusammenwirken)“, wo sie Musik machen und Sport, aber eigentlich, ja, gerettet werden sollen.
Holz sammeln, Blumen verkaufen, Schuhe putzen
„Niemand will mit Problemkindern zu tun haben außer uns“, sagt Saul Interiano, der Chef von „Coincidir“. Die Partnerorganisation der deutschen Kindernothilfe kümmert sich um Mädchen und Jungen, die Gewalt erlitten haben oder denen sie droht. Solchen Kindern ein Schutzhaus zu bauen, in denen sie zur Ruhe kommen und in denen sich jemand kümmert, ist das Ziel der diesjährigen WAZ-Spendenaktion. Darum bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Hilfe.
Aber natürlich haben Kinder aus solchen Verhältnissen oft auch noch andere Probleme zu schultern: Und nicht zur Schule gehen zu dürfen, ist davon eines. Sie müssen dann Müll oder Holz sammeln, Blumen pflücken und verkaufen oder Schuhe putzen.
Gründer war selbst ein Gewalttäter
Manch ein Kind hat „Coincidir“ wieder in der Schule unterbringen können, um Cristians Zukunft ringen sie noch. „Manchmal ist es leichter bei Kindern, die keine Familie haben“, sagt Interiano. Siehe: Maria N.
Die Kindheit des Saul Interiano (43) wirkt selbst wie eine Blaupause für die Kinder, denen sie hier helfen. Aufgewachsen ist er in El Limon, landesweit bekannt für Gewalt auf den Straßen. Der Vater, der ihn schlägt, verlässt die Familie, Saul wird selbst ein Täter, lebt auf der Straße, landet für Jahre im Heim, wird missbraucht. Dann kriegt er doch noch die Kurve und taucht plötzlich auf der Seite derer auf, die sich gegen Gewalt einsetzen.
„Es ist besser, Farbe zu vergießen als Blut“
Im Zentrum von „Coincidir“, das er gründete, stehen heute solche Sätze an der Wand wie „Es mejor derramar pintura que sangre“ („Es ist besser, Farbe zu vergießen als Blut“). Oder: „Respetamos unos a otros“ („Wir respektieren einander“).
Die Organisation sei „ein Projekt von Überlebenden“, sagt der Gründer. Chejo, heute der Mann für alles im Hause, kann ebenso schlimme Geschichten aus seiner eigenen Kindheit erzählen wie die Therapeutin Ana Victoria aus ihrer.
Nach und nach geht es ihr wieder besser
Rosa (10) war auch so ein Mädchen, geschlagen, unbeschult. Als „Coincidir“ auf Rosa trifft, da trägt ihr Körper Wunden: Offenbar hat der Vater sie mit Gürteln verhauen, hat Kippen auf ihrem Rücken ausgedrückt, sie grün und blau geschlagen; die Helfer stoßen später auch noch auf verheilte Knochenbrüche.
Coincidir überzeugt die Mutter, zu klagen, ein Richter schickt den Vater aus der Familie, und die Hilfsorganisation nimmt sich des Kindes an: des traurigen, ängstlichen, mit einem Minderwertigkeitskomplex und nervösen Ticks beladenen Kindes. „Als Teil des Heilungsprozesses macht Rosa bei der Theatergruppe mit, und nach und nach geht es ihr wieder besser“, sagt Interiano. Und: Sie geht wieder zur Schule.
Die Träume der beiden sind erloschen
Wie Cristian vielleicht, eines Tages, der mit seinen elf Jahren noch nicht verloren ist, der ja zur Schule gehen möchte. Die Träume der beiden Älteren, der 15-jährigen, sind hingegen schon erloschen.
Was soll sein, Sergio, Wilber, was soll nur sein in zehn Jahren? Schweigen. Dann: Vorstellen könnten sie sich, Maurer zu sein, Hilfsarbeiter auf dem Bau. Wie der Vater und der Großvater gelegentlich.
Das Spendenkonto
Wir bauen ein Haus für Kinder. Und Sie können helfen: Empfänger Kindernothilfe IBAN: DE4335 0601 9000 0031 0310 BIC: GENODED1DKD (Bank für Kirche und Diakonie). Stichwort: Schutzhaus Guatemala.