Ruhrgebiet. In der Corona-Krise fallen die meisten Weihnachtsmärkte aus. Wie Schausteller ihre Hauptsaison ohne Glühwein und gebrannte Mandeln überleben.

Am heutigen Donnerstag hätte in Dortmund der Weihnachtsmarkt aufgemacht. Es hätte nach Mandeln und Glühwein gerochen, aus 300 Buden hätte es warm geleuchtet… Hätte, hätte, Lichterkette. Corona drückt auch bei den Weihnachtsmärkten den Aus-Schalter. Und bei Schaustellern auf die Stimmung.

In Dortmund-Deusen, im Norden hinterm Hafen, gibt es „frisch gebrannte Mandeln“. Der rote Pfeil auf schlichten Schildern zeigt in „200 m“ nach rechts, wie im Sommer auf Blumen und im Frühling auf Erdbeeren. Jetzt ist es Herbst, grau und regnerisch, aber vor einem alten Bauernhof an einer Kreuzung brennen 100 kleine Lämpchen: Hier steht Rüdiger Hornig in seiner Bude.

Ein Jahr ohne Jahrmarkt: Schausteller müssen „kämpfen und am Leben bleiben“

Wenig los, aber immerhin: In der alten Mandelbude von seiner Oma fühlt sich Rüdiger Hornig wenigstens noch als Schausteller.
Wenig los, aber immerhin: In der alten Mandelbude von seiner Oma fühlt sich Rüdiger Hornig wenigstens noch als Schausteller. © FUNKE Foto Services | Jakob Studnar

„Hornig’s gebrannte Mandeln“ ist auch schon bald 50 Jahre alt, der Stand hat seiner Oma gehört, aber selbst die musste das nicht erleben: „Sogar in Kriegszeiten gab es Kirmes.“ In Coronazeiten nicht. Der letzte große Jahrmarkt war 2020 die Karnevalskirmes, aber „da war das Wetter schlecht“. Und jetzt, jetzt wäre Weihnachtsmarkt . „Für uns“, sagt Hornig, 53, „geht eine Tradition kaputt.“

Dass er trotzdem hier steht, mit Schürze und Steppweste zwischen Emscher und Kanal, ist aber nicht nur Nostalgie. Hornig muss sich „über Wasser halten“, „kämpfen und am Leben bleiben“, irgendwas probieren, „egal was“: Der Weihnachtsmarkt bringt der Familie 80 Prozent des Jahresumsatzes . Eines normalen Jahres, in dem die Schausteller nicht vertröstet werden von Oster- auf Pfingst- auf Allerheiligen- auf irgendeine Kirmes. Kurz hat Rüdiger Hornig darüber nachgedacht, als LKW-Fahrer anzuheuern, dann baute er doch seine Mandelbude auf: Hier hat er schon als Kind beim Opa hinter der Zuckerwattemaschine gestanden, „hier hab ich das Gefühl, ich bin noch Schausteller.“

Kein Glühwein ohne Weihnachtsmarkt: Tassen gar nicht erst bestellt

Ab dieser Woche sogar mit zwei Standbeinen: Der neue Reibekuchenstand ist fertig, den er im Frühjahr in Berlin bestellte, selbst seine Bank ahnte damals noch kein Ungemach. Corona war schon da, „aber bis Weihnachten…“, winkte der Berater ab. Es kam anders. Dortmunds Weihnachtsstadt, auf die sie bis November hofften, ist abgesagt, die Reibekuchen kommen nun ebenfalls aus Deusen, frisch aus heißem Erdnussöl.

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Heißen Glühwein gibt es nicht. In Herne stehen gleich zwei Stände, diese Mittelpunkte aller Märkte, etwas kopflos in einer alten Industriehalle, nicht nur das Dach von „Wendlers Almhütte“ liegt nutzlos darnieder. Günter Wendler steigt fürs Foto über die Spinnweben eines langen Jahres, zwischen Weihnachten und Weihnachtsmarkt hat Glühwein keine Saison. Der Eierpunsch würde laut Aushang fünf Euro kosten, das Tassenpfand drei, aber es gibt ja nicht einmal Tassen dieses Jahr: „Wenn einmal 2020 draufsteht“, sagt Wendler, 61, „sind die 2021 nicht mehr zu verkaufen.“ Und sie haben es geahnt.

Corona-Regeln hätten den Weihnachtsmarkt unrentabel gemacht

Nutzlos im Corona-Jahr 2020: Die Glühweinstände der Familie von Günter Wendler bleiben in ihrem Sommerlager in Herne.
Nutzlos im Corona-Jahr 2020: Die Glühweinstände der Familie von Günter Wendler bleiben in ihrem Sommerlager in Herne. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Im März schon hatten Dortmunds Schausteller das Sammlerstück ausgesucht, im Mai hätten sie spätestens bestellen müssen – sie wagten es nicht. Im Herbst planten sie Glühwein-Ausschank mit Stühlen, Zäunen und Einlasskarten, ließen sogar eine App dafür entwickeln. Es hätte sich nicht gerechnet: der Transport, die Platzmiete, die Stromkosten… Wendler kennt Schausteller, die mussten schon vor der Absage absagen . Sie hatten die Mittel nicht mehr, um Waren einzukaufen.

Hoffnung auf Novemberhilfen

Die ganze Branche liegt brach, vom kleinen Crepe-Verkäufer bis zum Familienbetrieb mit mehreren Geschäften und Riesenrad. „Tausende Betriebe“, klagt der Deutsche Schaustellerbund, „und damit auch die Volksfestkultur Deutschlands sind in ihrer Existenz bedroht .“ Schon seit Monaten funkt der Dortmunder Schaustellerverein Rote Erde „Alarmstufe Rot“, derzeit gibt es zarte Hoffnung, dass die Veranstaltungswirtschaft bei den Novemberhilfen des Bundes erstmals berücksichtigt wird.

Lebkuchenherzen sind länger haltbar als Glühwein

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Dabei schauen nicht nur die Schausteller selbst in die Röhre: Die Elektriker zählt Günter Wendler auf („Licht lockt Leute“), das Blumengeschäft, das ihm alljährlich seine Buden und Karussells dekorierte, die Spedition, die 70 Mitarbeiter aus dem Vorjahr, „die andauernd fragten“ und nun auf der Straße stehen. Und der Wein ist ja auch längst geerntet! Nur Weniges ist länger lagerbar, „vielleicht wird etwas davon im Supermarkt unter die Menschheit gebracht“. Reste von 2019, etwas Jagertee oder Kakaopulver für den Lumumba, laufen im Sommer 2021 ab, „dann kann man das nur noch entsorgen“. Da haben sogar die Lebkuchenherzen von Rüdiger Hornig, er schaut eben nach, ein längeres Haltbarkeitsdatum.

Städte überlegen noch: Sind einzelne Buden eventuell erlaubt?

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Hier und da dürfen vielleicht ein paar verstreute Buden stehen. Bottrop macht das so und kommt an seinen „Weihnachtszauber“ doch nicht heran, Essen hat noch immer nicht entschieden, ob die wenigen aufgebauten Stände stehenbleiben, am Oberhausener Centro bleiben sie vorerst zu. Sascha Röber aus Gelsenkirchen verkauft seine Mandeln jetzt auf der Königswiese, Wendlers Tochter ihre Pizzabrötchen einmal in der Woche vor der Schule ihrer Kinder: Die Mensa hat auch zu.

Schausteller ohne Weihnachtsmarkt

Rüdiger Hornig hat seine Mandelbude auf dem eigenen Grundstück in Dortmund aufgebaut.
Rüdiger Hornig hat seine Mandelbude auf dem eigenen Grundstück in Dortmund aufgebaut. © FUNKE Foto Services | Jakob Studnar
Rüdiger Hornig hat seine Mandelbude auf dem eigenen Grundstück in Dortmund aufgebaut.
Rüdiger Hornig hat seine Mandelbude auf dem eigenen Grundstück in Dortmund aufgebaut. © FUNKE Foto Services | Jakob Studnar
Rüdiger Hornig hat seine Mandelbude auf dem eigenen Grundstück in Dortmund aufgebaut.
Rüdiger Hornig hat seine Mandelbude auf dem eigenen Grundstück in Dortmund aufgebaut. © FUNKE Foto Services | Jakob Studnar
Rüdiger Hornig hat seine Mandelbude auf dem eigenen Grundstück in Dortmund aufgebaut.
Rüdiger Hornig hat seine Mandelbude auf dem eigenen Grundstück in Dortmund aufgebaut. © FUNKE Foto Services | Jakob Studnar
Rüdiger Hornig hat seine Mandelbude auf dem eigenen Grundstück in Dortmund aufgebaut.
Rüdiger Hornig hat seine Mandelbude auf dem eigenen Grundstück in Dortmund aufgebaut. © FUNKE Foto Services | Jakob Studnar
Günter Wendler, Schausteller und Betreiber mehrerer Glühwein-Stände, steht in seiner Lagerhalle in Herne. Fast alle Weihnachtsmärkte der Region wurden wegen der Corona-Pandemie abgesagt.
Günter Wendler, Schausteller und Betreiber mehrerer Glühwein-Stände, steht in seiner Lagerhalle in Herne. Fast alle Weihnachtsmärkte der Region wurden wegen der Corona-Pandemie abgesagt. © FUNKE Foto Services | André Hirtz
Weihnachtsbuden in einer Lagerhalle in Herne. Fast alle Weihnachtsmärkte der Region wurden wegen der Corona-Pandemie abgesagt.
Weihnachtsbuden in einer Lagerhalle in Herne. Fast alle Weihnachtsmärkte der Region wurden wegen der Corona-Pandemie abgesagt. © FUNKE Foto Services | André Hirtz
Weihnachtsbuden in einer Lagerhalle in Herne. Fast alle Weihnachtsmärkte der Region wurden wegen der Corona-Pandemie abgesagt.
Weihnachtsbuden in einer Lagerhalle in Herne. Fast alle Weihnachtsmärkte der Region wurden wegen der Corona-Pandemie abgesagt. © FUNKE Foto Services | André Hirtz
Günter Wendler, Schausteller und Betreiber mehrerer Glühwein-Stände, steht in seiner Lagerhalle in Herne. Fast alle Weihnachtsmärkte der Region wurden wegen der Corona-Pandemie abgesagt.
Günter Wendler, Schausteller und Betreiber mehrerer Glühwein-Stände, steht in seiner Lagerhalle in Herne. Fast alle Weihnachtsmärkte der Region wurden wegen der Corona-Pandemie abgesagt. © FUNKE Foto Services | André Hirtz
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In Deusen fährt gerade ein Auto aus Herne vor: „Einmal für fünf“, der Fahrer bestellt gebrannte Mandeln. „Und, lohnt es sich?“ Rüdiger Hornig lächelt tapfer. „Wir können Essen und Trinken kaufen“, hat er gesagt. „Wir bleiben erstmal am Leben.“ Aber es ist nicht dasselbe. „Es war immer unsere Aufgabe, Spaß und Freude zu verkaufen“, sagt Hornig. Und Freude daran zu haben: Günter Wendler wohnt in der Dortmunder Innenstadt, mit Ausblick auf einen Weihnachtsmarkt, den es nicht gibt. „Ich muss mir das jeden Tag angucken. Das ist schon Scheiße.“

>>INFO: WEIHNACHTSMARKT IM NETZ

Es gibt weder Glühwein noch Bratwurst, aber auch keinen Regen: Dortmund und Essen haben ihre Weihnachtsmärkte ins Internet verlegt. Unter www.weihnachtsstadt-do.de oder unter www.visitessen.de/weihnachtsmarkt bieten Händler ihre Waren online an und schicken sie nach Hause. Im Angebot sind vor allem Geschenk- und Dekoartikel, aber auch Lakritz, Liköre und Schinken. Essen hat zudem Fotos aus den vergangenen Jahren zusammengestellt. „Wir machen trotzdem das Beste draus!“, schreiben die Essener: „ Schwelgen Sie ein wenig in Erinnerungen und machen Sie mit Hilfe unserer Galerie zumindest einen virtuellen Rundgang über den Markt.“