Ruhrgebiet. Die Botanikerin Corinne Buch hat auf Friedhöfen viele Pflanzen entdeckt, die im Ruhrgebiet als ausgestorben galten. Wie man sie noch retten kann.

Das Frühlingsfingerkraut zum Beispiel habe sie „aus den Schuhen gehauen“, sagt Corinne Buch: „Da steht man dann und denkt: Das kann jetzt nicht sein“ – galt es doch als ausgestorben im Ruhrgebiet. Doch bei der umfangreichen Recherche der Botanikerin auf den Mülheimer Friedhöfen („Ob ich wirklich in jedem Gang war, weiß ich nicht“) gesellten sich noch viele weitere vermisste oder gefährdete Pflanzen hinzu, darunter auch das Bunte Vergissmeinnicht. Tun wir nicht. Versprochen!

Denn genau darum ging es ja, als die Stadt Mülheim Corinne Buch beauftragte, einmal aufzunehmen, welche Pflanzen auf den zwölf Friedhöfen der Stadt eigentlich wachsen. Ganz schnell erzählt, ist der Hintergrund der: Immer weniger Leute lassen sich begraben, dadurch werden tendenziell Friedhofsflächen frei. Was machen Städte damit?

Aufgenommen wurde alles, „was von alleine gekommen ist“

Ein seltener Fund: die Ackerröte.
Ein seltener Fund: die Ackerröte. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

„Wie das im Ruhrgebiet so ist, kommen dann alle Belange von Möbelhaus bis Wohnbebauung“, sagt Buch, die bei der „Biologischen Station Westliches Ruhrgebiet“ in Oberhausen arbeitet. Was genau man zubauen würde, wüsste niemand so genau. „Friedhöfe gelten generell als ökologisch wertvoll, aber genau kartiert hat das noch niemand.“

Also ist die 40-Jährige losgezogen mit Klemmbrett, Stift, Handy und ihrem immensen Fachwissen: „Die Pflanzenarten, die im Ruhrgebiet wachsen, die kenne ich eigentlich alle.“ Und im Zweifelsfall hat sie Fotos mit dem Handy an Kollegen geschickt: Was haltet ihr davon? Dabei hat sie alles aufgenommen, „was von alleine gekommen ist“, also ohne Grabbepflanzung und ohne Einwirkung von Gärtnern.

Von den 2000 Pflanzenarten in NRW fanden sich auf den Friedhöfen 400

Das Ergebnis ist: Von rund 2000 Pflanzenarten, die in Nordrhein-Westfalen wachsen, fand sie auf den Friedhöfen fast 400; und darunter etliche, die die Rote Liste Ruhrgebiet als „ausgestorben“ oder „vom Aussterben bedroht“ führt oder die allgemein selten vorkommen. Knolliger Hahnenfuß, Fremder Ehrenpreis, Gewöhnliches Filzkraut, Niederliegende Schiefblatt-Wolfsmilch . . . Nie gehört? Das ist es ja eben.

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„Das ist auf Duisburg, Essen, also auf das ganze Ruhrgebiet übertragbar“, sagt Corinne Buch. Nach ihren Ergebnissen ist die Empfehlung klar: Lasst die Friedhöfe in Ruhe, bebaut sie nicht, auch wenn in immer größeren Flächen niemand mehr bestattet ist.

Ergebnisse sollen einfließen in das Entwicklungskonzept für Friedhöfe

Auf vielen Friedhöfen hat die Natur noch Spielraum wie hier in Essen-Borbeck. 
Auf vielen Friedhöfen hat die Natur noch Spielraum wie hier in Essen-Borbeck.  © FUNKE Foto Services | Ina Carolin Lisiewicz

Friedhöfe seien zu wichtig für Pflanzen und Tiere, für Kleinklima, Wasserhaushalt, CO2-Speicherung – und Naherholung natürlich. Für die biologische Vielfalt im Ballungsraum seien sie „unersetzbare Lebensräume“. Die Ergebnisse, sagt Mülheims Amtsleiterin für Grünflächenmanagement, Sylvia Waage, würden „berücksichtigt im Friedhofsentwicklungskonzept“.

Und warum haben die Pflanzen sich auf Friedhöfen gehalten? Weil die seit vielen Jahrzehnten, teilweise Jahrhunderten bestehen. Nicht bebaut und nicht landwirtschaftlich bewirtschaftet werden, nicht gedüngt und nicht gemulcht. „Zum Naturschutz passt gut, wenn Flächen gemäht und umgegraben werden“, sagt Buch: wie auf dem Friedhof eben.

Was aber zählen die Hohe Primel, die Mauerraute, die Rundblättrige Glockenblume und all die anderen seltenen Pflanzen wirklich, wenn Wohnungsnot herrscht oder ein Investor daherkommt? Das wird man im Einzelfall sehen. Zunächst ändert sich die neue Rote Liste Ruhrgebiet, die 2021 erscheinen soll und auf der so manche Pflanze sich nun positiv entwickelt.

Von der Pflanzenvielfalt profitieren auch Wildbienen stark

Buch weiß aber auch: „Manche Tiere sind so wertvoll, daran können Bauvorhaben scheitern. Bei Pflanzen ist das schwierig.“ Zumindest Mülheim will nun auch die Tierwelt auf den Friedhöfen untersuchen lassen. Corinne Buch hat in ihren Bericht schon mal hereingeschrieben, dass auf mehreren Friedhöfen Blauflügelige Ödlandschrecken gesichtet wurden.

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Falls die Ödlandschrecke wider Erwarten nicht recht ziehen sollte, hat sie noch ein Tier zur Hand, das von der Pflanzenvielfalt profitiert und gerade so populär ist wie kaum ein anderes: „Während der Kartierung fiel vor allem der Reichtum an Wildbienen auf.“ Wildbiene hilf!