Duisburg-Wanheimerort. Stadtteil-Historikerin Silke Mayer erforscht den Waldfriedhof. Erste Antworten hat sie. Für noch offene Fragen sucht sie Zeitzeugen.

Der Eine genießt die friedliche Ruhe zwischen jahrzehntealten, mächtigen Bäumen. Der Andere gedenkt hier auch seiner Familie. Wenn Silke Mayer aber über den Waldfriedhof geht, sieht sie einen Spiegel der Gesellschaft und den Zeitgeist der vergangenen 100 Jahre.

Sie stellt sich Fragen: Warum sind hier Kriegsgräber russischer Zwangsarbeiter in Teilen nahe des Ehrenfriedhofs und andere wiederum im Bereich der jüdischen Gräber angelegt worden? Warum haben viele Grabsteine der zivilen Opfer des Zweiten Weltkriegs eine „Eiserne-Kreuz“-Form? Speist jemand wirklich an den Stühlen und Tischen, die an manchen Gräbern stehen? Und wie trägt ein multikultureller Friedhof zum Erhalt deutscher Bestattungstraditionen bei?

Stadtteil-Historikerin zum Waldfriedhof: „Mich hat das Multikulturelle geflasht“

Fragen über Fragen, auf die Silke Mayer als „Stadtteil-Historikerin“ mit Hilfe der Bürgerstiftung Duisburg und der GLS Treuhand Antworten finden will. Dabei spielte für Mayer, die eigentlich Limnologin ist – quasi der Ökokultur von Süßwassern auf der Spur – durchaus der Zufall eine Rolle: „Ich habe eine Freundin in Buchholz, mit der ich hier spazieren gegangen bin, weil ich ein Faible für Friedhöfe habe“, gesteht sie. „Mich haben die Atmosphäre, die Vielfalt, das Multikulturelle des Waldfriedhofs sofort geflasht.“

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Und auch der hohe Erholungsfaktor des rund 67 Hektar großen Gebiets. Denn vor dem Friedhof war der mittelgroße Wald im Besitz der Haniel-Familie. Dann wurde der Besitz enteignet. Als Mayer kurz darauf von dem Projekt der ehrenamtlich arbeitenden „Stadtteil-Historiker“ hört, bewirbt sie sich mit der Idee, die Entwicklung des Waldfriedhofs seit der Eröffnung 1923 zu verfolgen. Denn hier sind einige Punkte noch offen oder noch nicht tiefgründig genug erforscht worden.

Eindrucksvolle Naturerlebnisse und sachliche Ästhetik

Der Eingang des Waldfriedhofs.
Der Eingang des Waldfriedhofs. © FUNKE Foto Services | Dana Schmies / FUNKE Foto Services

Ist das nicht etwas morbid? „Vielleicht ja“, Mayer muss lachen, doch die Ästhetik und die Struktur dieser letzten Ruhestätte hat es der gebürtigen Mülheimerin angetan: die breiten Hauptwege, von denen einer von Westen durch einen Allee-Tunnel auf einen zentralen Platz zuläuft, wo sich eindrucksvoll der Blick auf ein meterhohes Kreuz eröffnet.

Die ästhetische Sachlichkeit und bewusste Schlichtheit schätzt Mayer sehr, man habe sich bis auf manche Ausnahmen bemüht, keine Prunkgräber zu errichten, die auch nach dem Tod einen gesellschaftlichen Unterschied repräsentieren. „Im Tod sind alle gleich“, sagt Mayer, und das komme so auch zum Ausdruck.

Grabstätten aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, die nachdenklich machen

Die Sachlichkeit hat allerdings ebenso bedrückende Züge, das zeigt die Stadtteil-Historikerin anhand der zahlreichen Grabsteinen, die in Reih und Glied auf dem Ehrenfriedhof stehen, gestaffelt in der Höhe wie in einem Amphitheater. Hier liegen wie stumme Beobachter 3513 Menschen verschiedener Nationen, die im Zweiten Weltkrieg durch Luftangriffe starben: Ehepaare, Kinder.

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Die Grabsteine der Deutschen haben als Form ein Eisernes Kreuz – eine Auszeichnung, die eigentlich Soldaten zukam. Und mit der die Nazis hier die Gefallenen an der sogenannten Heimatfront auszeichnen wollten – befremdlich findet Mayer das, denn sie waren schließlich Opfer eines Krieges, den die Nazis begonnen haben.

Stadtteil-Historikerin sucht Zeitzeugen aus den 40er, 50er und 60er Jahren

„Mich bedrückt die Vorstellung, welche traumatischen Erlebnisse die Menschen hatten: die ständigen Warnsirenen, die Angst, der Tod eines Partners und der Kinder, die vielen Leichen sammeln und beerdigen zu müssen. Ich frage mich dann: wofür? Hat der Mensch aus der Geschichte gelernt? Wir müssen unser Verhalten überdenken.“

Und so sind noch etliche Fragen offen, denen die ehrenamtliche Stadtteil-Historikerin Silke Mayer noch bis zum Ende ihres Stipendiats im Sommer 2021 nachgehen will. Zeitzeugen etwa aus den 40er bis 60er Jahren sucht sie noch, die etwas über Bestattungen in der entbehrungsreichen Nachkriegszeit verraten können.