Essen./Gelsenkirchen. Er spricht von Liebe, doch die Anklage wirft dem Musiklehrer vor, seine Macht gegenüber einer 17-jährigen Schülerin ausgenutzt zu haben.

Über ein Jahr lang hatte er geschwiegen, jetzt redet der Marler und weist die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft entschieden zurück. Keinesfalls habe er seine Machtposition als Musiklehrer gegenüber seiner 17 Jahre alten Schülerin an einem Gelsenkirchener Gymnasium missbraucht, um Sex zu bekommen. Geliebt hätten sie sich, und dennoch sei er immer unabhängig in der Notengebung gewesen, betont er am Donnerstag vor dem Essener Landgericht.

Die Anklage wertet diese "Liebe" des 47-Jährigen völlig anders. Was da möglicherweise im Herbst 2017 mit der 17-Jährigen noch romantisch begonnen habe, entwickelte sich aus Sicht der Staatsanwaltschaft recht einseitig. Als die Schülerin sich von ihm habe trennen wollen, um mehr unter Gleichaltrigen zu sein, habe der Lehrer Druck ausgeübt. Er habe sie in Musik, ihrem vierten Abiturfach, zunächst zwar zu Beginn der Beziehung von einer 2- auf eine 1- hochgestuft.

Schlechtere Note nach Trennung

Dann habe sie sich von ihm gelöst und sei prompt auf eine 3+ gefallen. Als sie dann wieder zu ihm gekommen sei, habe er als Reaktion mit 2- eine bessere Note erteilt. Er habe also "bei all diesen sexuellen Kontakten unter Missbrauch seiner Stellung als Lehrer der Zeugin" gehandelt, heißt es in der Anklage.

Der Lehrer hört es sich an, lächelt bei der Anklageverlesung manchmal, als ob die Vorwürfe nicht stimmen. Schlank ist er, gepflegt. Im blauen Sakko und mit weißem Hemd gibt er eine andere Figur ab als manch anderer Angeklagter. Weit jünger wirkt er als seine 47 Jahre.

Berufsverbot droht

Pianist ist sein Beruf, er ist erst spät Lehrer geworden, dann allerdings auch sofort Beamter. Verteidiger Pierre Laurien betont, dass sein Mandant "nicht der typische Lehrer ist: Ihn konnte man ansprechen". Diesen Job droht er jetzt aber zu verlieren. Seit einem Jahr ist er bei zunächst vollen Bezügen suspendiert, die Staatsanwaltschaft fordert auch ein Berufsverbot.

Herausgekommen war das heimlich gehaltene Verhältnis durch die Ex-Frau des Lehrers. Er hatte seiner Tochter wohl ein gebrauchtes Handy zur Verfügung gestellt und vergessen, dass sich darauf Chatverläufe mit der Schülerin und recht eindeutige Fotos befanden.

Schülerin im Bett des Lehrers

Als die Polizei im Mai 2019 zur Hausdurchsuchung in Marl anrückte, lag die Schülerin wenige Wochen vor ihrer Abiturprüfung im Bett des Angeklagten. "Da hat sie aber nur übernachtet", sagt der Lehrer.

Großen Verfolgungseifer hat die ehemalige Schülerin, die im Abi von einem anderen Musiklehrer geprüft worden war, bisher nicht gezeigt. Richter Volker Uhlenbrock, Vorsitzender der V. Essener Jugendschutzkammer, sagt, dass sie auch keine Bestrafung des Lehrers wünsche. Sie habe auch von "weitestgehend einvernehmlichem Sex" gesprochen. Allerdings, so Uhlenbrock, habe sie in ihrer polizeilichen Vernehmung auch angegeben, immer Druck gefühlt zu haben. Und als sie Schluss gemacht habe, sei sie um drei bis vier Punkte abgefallen.

Vernehmung der Schülerin ohne Öffentlichkeit

Der Angeklagte will das zunächst nicht kommentieren. Dann spricht er doch: "Die Vernehmung fand unter merkwürdigen Umständen statt. Die Aussage ist auch tendenziös formuliert worden."

Was die heute 19-Jährige zu dem Verhältnis sagt, bleibt erst einmal unbekannt. Sie wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen. Sie wird auch sicherlich zu den Chats gefragt werden. Laut Richter Uhlenbrock formulierte der Angeklagte darin Sätze, die für den Fall der Trennung durch die Jugendliche "wie Drohungen" klingen.

Angeklagter will nicht gedroht haben

Das versteht der Lehrer gar nicht. Es geht zum Beispiel um den Satz: "...ich bleibe dabei, dass es durchaus noch schlimmer geht, was ich aber um Gottes Willen nicht möchte." Dies sei keine Drohung, sagt er, denn er füge ja hinzu, dass er dies nicht wolle. Uhlenbrock scheint diese Sicht nicht zu teilen.

Es gibt noch einen weiteren Anklagepunkt. Er liegt länger zurück und hat wohl mit dafür gesorgt, dass die Ehefrau sich vom Angeklagten trennte. 2011 fand im gemeinsamen Wohnhaus des Ehepaares ein Spieleabend statt. Mit dabei auch eine seiner Klavierschülerinnen, damals 16 Jahre alt.

Jugendlicher heimlich Alkohol nachgeschenkt

Als seine Ehefrau zu Bett ging und andere Gäste die Feier verließen, soll der Angeklagte der Jugendlichen heimlich Alkohol in ihr alkoholfreies Getränk geschüttet haben, etwa wenn sie zur Toilette ging.

Das habe er natürlich nicht getan, sagt der Lehrer am Donnerstag. Den Spieleabend habe es gegeben, auch Alkohol sei getrunken worden. Aber er habe natürlich nicht heimlich nachgeschenkt. Im Gegenteil: Am nächsten Tag habe sich der Vater des Mädchens bei ihm am Telefon entschuldigt, weil seine Tochter "wieder einmal" über die Stränge geschlagen habe.