Essen./Gelsenkirchen. Anna Smaczny ist verschwunden. Ihr früherer Freund steht vor Gericht. Er soll die Gelsenkirchenerin ermordet haben, eine Leiche gibt es nicht.
- Die Gelsenkirchenerin Anna Smaczny ist seit dem 23. Juni spurlos verschwunden. Seitdem gibt es von ihr kein Lebenszeichen mehr.
- Die Staatsanwaltschaft Essen ist sich sicher, dass ihr ehemaliger Freund Michael S. aus Krefeld die Kindergärtnerin ermordet hat. S. steht nicht zum ersten Mal vor Gericht.
- Die Leiche von Anna Smaczny wurde allerdings nie gefunden. Ein Video könnte allerdings das entscheidende Beweisstück im Mord ohne Leiche sein.
Kein Ort des Abschieds, kein Grab zum Trauern für ihre Angehörigen und Freunde. Seit dem 23. Juni 2019 ist die Gelsenkirchenerin Anna Smaczny verschwunden, gibt es von der gelernten Kindergärtnerin kein Lebenszeichen mehr. Ein Vermisstenfall ist es offenbar nicht. Die Staatsanwaltschaft Essen ist sicher, dass die 35-Jährige von ihrem früheren Freund Michael S. aus Krefeld ermordet wurde. Am 12. August beginnt vor dem Schwurgericht Essen der Prozess gegen den 47-Jährigen, der die Vorwürfe anfangs bestritten hatte und dann schwieg.
Ein Mord ohne Leiche soll verhandelt werden. Gewöhnlich scheut die Strafjustiz diese Art von Verfahren, bei denen das entscheidende Beweismittel fehlt. Zu groß die Gefahr, dass es doch kein Mord war und die vermisste Person irgendwann wieder auftaucht. Gerade in Gelsenkirchen ist die Erinnerung noch wach an die Polizistin Annette L., die im Mai 2010 spurlos verschwand. Polizei und Staatsanwaltschaft zeigten sich damals sicher, dass ihr Ehemann, ebenfalls Polizist, sie ermordet hatte. Eine Anklage gab es aber nie, Restzweifel an seiner Schuld blieben, weil keine Leiche gefunden wurde.
Mord ohne Leiche: Video soll jeden Zweifel beseitigen
Im aktuellen Fall existiert dagegen ein Beweisstück, das jeden Zweifel beseitigen soll. Ein Video. „Wer das gesehen hat, kann nicht an einen Freispruch für Michael S. glauben“, sagt Rechtsanwalt Hans Reinhardt, der die Schwester der Vermissten als Nebenkläger vertritt.
Michael S. soll die Aufnahme gedreht haben. Sie zeigt eine weitgehend unbekleidet am Boden liegende Frau. Ihr Kopf steckt in einer Plastiktüte, die am Hals verschnürt ist. Und obwohl der Mann, der den Film mit einem Smartphone dreht, sich an der Frau vergeht, zeigt der Körper nicht die kleinste Reaktion. Kein Zucken ist zu sehen, keine Atembewegung. Nur eine männliche Stimme ist mit einem obszönen Spruch zu hören.
Mord ohne Leiche: Turnschuh und orangefarbene Socke sollen Hinweise geben
Gedreht worden ist das Beweisstück in der Wohnung des Angeklagten, glauben die Ermittler. Und auch er selbst ist für sie durch die Turnschuhe und die orangefarbene Socke eindeutig zu identifizieren. Gedreht wurde es in den Mittagsstunden des 23. Juni 2019, des Tages, an dem Anna S. verschwand.
Erst eineinhalb Jahre zuvor hatten sie sich kennengelernt. Weihnachten 2017. Das Internetportal „Lovoo“ brachte sie zusammen. Schon im Sommer 2018 trennten sie sich wieder, Anna Smaczny wollte nicht mehr. Es bestand aber wohl weiter eine lose Beziehung, auch mit Sex. Sie redeten auch über ein gemeinsames Kind, das sie aber alleine groß ziehen wollte, ohne ihn.
Mord ohne Leiche: Heimlich Kamera installiert
Die Ermittlungen nach ihrem Verschwinden ergaben schnell, dass Michael S. sich mit der Trennung nicht abfand. Als Stalker soll er sich entpuppt und in ihrer Wohnung heimlich eine Kamera installiert haben, um sie zu überwachen. Ohne ihr Wissen hatte er sich auch einen Schlüssel zu ihrer Wohnung machen lassen, glauben die Ermittler.
Den nutzte er laut Anklage, um am 20. September 2018 in ihrer Wohnung im Gelsenkirchener Stadtteil Bismarck ein Feuer zu legen. Die Anklage spekuliert, dass er Anna Smaczny durch den Brand verunsichern wollte, um so wieder Einfluss auf sie zu gewinnen. Er habe ihr auch zeigen wollen, was passieren könne, falls sie ihn endgültig verlassen sollte. Nachbarn entdeckten das Feuer rechtzeitig, die Feuerwehr löschte es.
Ex-Freund: Eifersucht und Besitzansprüche
Nach dem Brand hatte Anna Smaczny gegenüber der Polizei gemutmaßt, dass ihr Ex-Freund Michael S. der Täter gewesen sei. Sie erzählte den Beamten von dieser ungewöhnlichen On/Off-Beziehung, auch von dem Kinderwunsch ohne Festhalten an der Beziehung. Und von seiner Eifersucht erzählte sie, von seinen Besitzansprüchen.
Wer in der strafrechtlichen Vergangenheit des Angeklagten nachblättert, wird viele Parallelen erkennen. Der in Gelsenkirchen geborene Michael S., ein Einzelkind, lebte bis zu seiner Festnahme immer wieder im Krefelder Haus seiner Mutter, die dort ein Hotel betreibt. 1998 teilte er sich dort ein Zimmer mit seiner damaligen Freundin, die aber schnell Schluss mit ihm machte. Er sei zu besitzergreifend, nannte sie als Trennungsgrund.
Michael S. tötete eine Frau mit 120 Messerstichen
Nicht einmal zwei Monate später fuhr Michael S. am 3. Oktober 1998 zu ihrer Wohnung. Mit einem nachgemachten Schlüssel öffnete er die Tür, wartete auf die Frau. Als sie kam, knebelte er sie, stach 120 Mal auf sie ein. Danach beseitigte er alle Spuren der Tat. Dennoch wurde er überführt und 1999 vom Duisburger Landgericht zu elf Jahren Haft wegen Totschlags verurteilt.
2014 soll er aus Eifersucht in einer eigentlichen harmonischen Liebesnacht seine aktuelle Freundin, eine 32-Jährige aus Essen, unvermittelt angegriffen, gefesselt, geschlagen und getreten haben. Dafür ist er Anfang 2020 vom Landgericht Krefeld in zweiter Instanz zu zwei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt worden. Rechtskräftig ist die Strafe aber nicht. „Er darf nie wieder frei kommen, er ist hochgefährlich“, sagt Christiane Theile, die Anwältin der Frau. Auch im Mordprozess wird sie als Anwältin der Nebenklage auftreten, für die Mutter von Anna Smaczny.
Mord ohne Leiche: Angehörige verdächtigten Michael S. früh
Jetzt also der dritte Fall. Angehörige von Anna Smaczny hatten früh den Verdacht auf Michael S. gelenkt, klagten über schleppende Ermittlungen. Allerdings hatte die Polizei ihn schon einen Tag nach ihrem Verschwinden aufgesucht, fand aber nichts, was ihn belastet hätte.
Erst die Durchsuchung seines Computers brachte aus Sicht der Ermittler handfeste Beweise, vor allem das Video, das eine laut Rechtsmedizinerin Janine Helmus höchstwahrscheinlich tote Frau zeigt. Dass es die Leiche von Anna Smaczny ist, die dort auf blauen Müllsäcken im Wohnzimmer des Angeklagten liegen soll, glaubt Staatsanwältin Sonja Hüppe durch die auffälligen Fingernägel, mehrere Tattoos und einen Rucksack beweisen zu können.
Michael S.: Im Internet "Vermeiden von Leichengeruch" recherchiert
Auffällig ist für die Fahnder auch, dass er im Tatzeitraum sehr intensiv im Internet die Themen "Vermeiden von Leichengeruch, Einsatz von Chlorreinigern und Wirkung von Schnell-Beton" recherchiert haben soll.
Wo die Leiche ist, das können die Ermittler nicht sagen. Der Verdacht liegt für viele nahe, dass er sie an seinem Arbeitsplatz, einem Krefelder Müllheizwerk, verschwinden ließ. Dort schlugen auch die Spürhunde an. Doch die Durchsuchung der Müllberge förderte keine Spur zutage.