Ruhrgebiet. Bei den Tafeln nicht nur im Ruhrgebiet stehen immer mehr Menschen an, die durch Corona ihren Job verloren haben. Die Kunden werden jünger.
Vor wenigen Monaten noch war die Armut eher alt: Besonders betagte Frauen kauften bei den Tafeln im Ruhrgebiet ein. Corona treibt nun auch Jüngere zu den Ausgabestellen: Menschen, die in der Krise ihre Arbeit verloren haben, ihren Nebenjob, die in Kurzarbeit sind. Jochen Brühl, der als Vorsitzender der Tafel Deutschland e.V. fast 1000 Tafeln in Deutschland vertritt, spricht von einer „neuen Form der Not“.
„Sie kommen nicht, weil es hier so toll ist“, weiß Friedhelm Bever, „oder wegen der guten Luft.“ Sie kommen, „weil sie nichts haben.“ Das hat der zweite Vorsitzende der Tafel in Oberhausen schon häufiger so gesagt, aber jetzt sagt er es über junge Menschen, ganze Familien. Jede Woche, seit der Betrieb wieder einigermaßen normal läuft, zählen sie 15, 20 Neuanmeldungen bei der Tafel. Leute sind das, die eben noch in Lohn und Brot waren. Die bisher nicht auf die Tafeln angewiesen waren und nun, sagt Jochen Brühl, „vor Erleichterung weinen, weil sie etwas zu essen bekommen und ihren Kühlschrank wieder füllen können“.
Zahl der Gäste in Wattenscheid „enorm gestiegen“
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Viele Tafeln hatten geschlossen in den ersten Wochen der Krise, schon weil auch die ehrenamtlichen Helfer vielfach zur Risikogruppe gehören und oftmals bis heute nicht zurückkehren konnten. Andere haben weitergemacht, „still und leise“, wie in Wattenscheid, wo schon in den ersten Tagen des Lockdowns plötzlich junge Leute vor der Tür standen: „Die wollten eigentlich helfen, weil sie auf einmal Zeit hatten“, sagt der Vorsitzende Manfred Baasner. Seither sei auch „die Zahl der Gäste enorm gestiegen“.
Tafel-Chef: „Menschen sind in existenzieller Not“
Noch sind aber von 949 im Verband organisierten Tafeln 120 dicht, die anderen beobachten eine neue Hilfsbedürftigkeit – aufgrund der Pandemie. Und sie gehen von steigenden Kundenzahlen aus. In Dortmund, wo sie vor der Krise 4300 Menschen helfen konnten, melden sich neue Kunden, die die Tafel derzeit noch gar nicht aufnehmen kann. „Aber auch wir rechnen damit“, sagt Betriebsleiter Ansgar Wortmann, „dass es mehr werden und mit anderen Hintergründen.“ So viele, die erstmals Unterstützung suchen, weil sie selbstständig sind und alle Aufträge weggebrochen, weil Kurzarbeit oder Jobverlust Löcher in die Haushaltskasse schlagen. „Die Menschen“, sagt Brühl, „sind in existenzielle Not geraten.“
Tafeln erreichen nicht alle Menschen, die Hilfe benötigen
Und mancher, der es vor Corona schon war, kommt nun nicht mehr. Viele Ältere trauen sich nach wie vor nicht, die Tafel aufzusuchen. Sie bleiben „aus Angst vor Ansteckung zuhause“, glaubt Brühl. Es gebe „schon noch einige“, sagt in Dortmund Ansgar Wortmann, „die es nicht wagen.“ Die vielleicht Schlangen fürchten an der Ausgabe. Friedhelm Bever in Oberhausen sieht noch andere Gründe: „Sie haben das Geld nicht, um immer wieder frische Masken zu kaufen, sie haben das Geld nicht für Einmal-Handschuhe.“ Und sie trauten sich vielleicht nicht in den Bus oder die Bahn, um die Tafel überhaupt erst zu erreichen. „Es gelingt uns momentan nicht“, sagt auch Jochen Brühl, „alle Menschen zu erreichen, die eigentlich unsere Unterstützung benötigen. Das macht uns große Sorgen.“
Zumal gerade die ohnehin Armen besonders hart von der Krise getroffen würden. Familien, die steigende Ausgaben für Lebensmittel haben, weil sie ihre Kinder vollständig zuhause versorgen, die sonst Schul- oder Kita-Essen bekommen. Oder weil die günstigsten Waren bei den Discountern ausverkauft sind, wie Friedhelm Bever beobachtet hat. Älteren Menschen, sagt Jochen Brühl, fehle es dabei gar nicht nur an Lebensmitteln, sondern auch an Kontakten: Tatsächlich sind viele Tafel-Cafés nach wie vor geschlossen, weil sich dort die Abstands- und Hygieneregeln weniger gut einhalten lassen.
Schon vor der Krise waren 1,6 Millionen Deutsche Kunden der Tafeln
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Manche Tafel im Revier hat für bekannte Kunden einen Lieferdienst eingerichtet. In Oberhausen wurden dabei gewisse Altersschwächen der Tafel-eigenen Autos offenbar, in Dortmund halfen für einige Wochen Schausteller aus, die nun aber selbst an die Arbeit dürfen. Ohnehin bleibt der Bedarf an Ehrenamtlichen hier und da ein Problem: Zwar meldeten sich etwa in Dortmund zu Beginn viele Freiwillige, die helfen wollten und wegen Kurzarbeit auch konnten, aber „die meisten kehren nun wieder in ihr normales Leben zurück“, sagt Betriebsleiter Wortmann.
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Die anderen werden vielleicht zu Kunden der Tafeln. Zusätzlich zu den 1,6 Millionen, die schon vor Corona dort einkauften. Jochen Brühl, der Vereinsvorsitzende aus Essen, warnt die Politik, armutsbetroffene Menschen in der Krise nicht zu vergessen. Das Konjunkturpaket der Bundesregierung berücksichtige zwar über Kinderbonus und sinkende Mehrwertsteuer auch sie. „Die Hilfen reichen aber nicht aus und kommen zu spät.“ Und ältere Menschen mit kleinen Renten profitierten gar nicht.