Ruhrgebiet. Ein Buch versammelt Kurzporträts von Menschen, die im Ruhrgebiet etwas bewirkten, aber oft vergessen sind: Wie Englands Krone nach Dortmund kam.

Beginnen wir doch mit Wilhelm Tourneau. Nie gehört, Wilhelm Tourneau? Da haben Sie etwas verpasst: Der Mann war im 19. Jahrhundert Amtmann in Kirchhellen, Bottrop und Osterfeld. Er ließ Straßen und Brücken befestigen, propagierte die Pockenschutzimpfung und nahm sich der Schulen an. So weit, so verdienstvoll, so langweilig. In die Geschichte aber ging er ein als „der Bürgermeister, der das Biertrinken empfahl“. Das stimmt zwar – doch tat er dies, um die Leute vom viel schlimmeren Schnaps abzubringen. Geschichte kann ungerecht sein.

Wilhelm Tourneau ist einer von 51 Menschen mit Bezug zum Ruhrgebiet oder den älteren Städten hier, die der Historiker Werner Bergmann uns in seinem Buch „Die Geschichte machen. Helden und Schurken im Ruhrgebiet“ vorstellt. Angesichts von drei, vier Seiten pro Porträt spricht Bergmann selbst von „biografischen Blitzlichtern“. Und er erhellt da bewusst nicht das Leben der Altbekannten, es gibt bei Bergmann keinen Friedrich Krupp, keinen Helmut Rahn, keinen Franz Hengsbach. Dafür eine Clärenore Stinnes.

Clärenore Stinnes: Mit Tempo 80 um die Welt

Das Mädchen aus Mülheim war ein Wildfang. In den 20er-Jahren modelte es und trug Herrenkleidung. Was soll man dazu sagen? Babylon Mülheim! 1927 bis 1929 war Clärenore Stinnes die erste Frau, die die Welt in einem Allerweltsauto umrundete, um die Qualität deutscher Autos zu demonstrieren; und nach der Rückkehr heiratete sie den Kameramann, der sie begleitet hatte. Chapeau! Dann war sie, bis vor wenigen Jahren, vergessen.

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Manche Namen kennt man natürlich und kann sie wenigstens ungefähr einordnen. Henriette Davidis aus Dortmund und ihr Bestseller-Kochbuch. Luise Albertz aus Oberhausen, in der Nachkriegszeit die erste Oberbürgermeisterin in der Region. Carl Arnold Kortum, Arzt und Dichter in Bochum, von ihm blieb der Vers: „Auf diese Antwort des Kandidaten Jobses / geschah allgemeines Schütteln des Kopfes.“

Königin Luise war als Kind in Mülheim zu Gast

Eine Büste erinnert im Mülheimer Schlos Broich an den Besuch von Luise von Mecklenburg-Strelitz, die als preußische Königin äußerst populär wurde.
Eine Büste erinnert im Mülheimer Schlos Broich an den Besuch von Luise von Mecklenburg-Strelitz, die als preußische Königin äußerst populär wurde. © funke foto services | Lars Heidrich

Oder Gerhard Mercator, Kartograph aus Duisburg; ihm selbst war statt der Karten sein Geschichtsbuch viel wichtiger: „Chronologica. Dies ist eine sehr genaue Darstellung der Zeiten vom Beginn der Welt bis zum Jahr des Herrn 1568.“ Doch überlebt haben die Karten, nicht das Buch. Die preußische Königin der Herzen, Luise, war wenigstens als Kind mal zu Besuch auf Schlössern in Mülheim und Oberhausen. Sie soll dort saure Milch und Kartoffeln mit Hering gegessen haben, berichtet eine konsternierte Gouvernante.

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Aber Königin Luise ist ein Zipfel der Weltgeschichte, also zurück zum herausragenden Fußvolk. Kennen Sie den Dortmunder Kaufmann Tiedemann Lemberg? Ach so, 14. Jahrhundert. Nun, Lemberg handelte eigentlich mit Wolle, aber als der englische König Edward III. seine Krone versetzen musste, um einen kleinen Krieg zu finanzieren, da griff ein Konsortium um Lemberg zu. So kam Englands Krone ein paar Jahre nach Dortmund, und Lemberg wurde reich. Sein Erbe verteilte er freilich an Kölner Klöster.

Kläranlagen in der Gestalt von Naherholungsseen

Werner Bergmann aus Oberhausen mit seinem neuen Buch.
Werner Bergmann aus Oberhausen mit seinem neuen Buch. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Wir kennen natürlich die Kläranlagen Hengstey, Harkort und Baldeney, nur halten wir sie für Seen. Tatsächlich aber sind sie in den 20er- und 30er-Jahren geplant und gebaut worden, damit die Ruhr langsamer fließt und Schadstoffe sich absetzen. Ausgeklügelt und umgesetzt hat das ein Wasserbauingenieur namens Karl Ludwig Imhoff, und sein Plan ging auf: Die Ruhr wurde sauberer und die Menschen gewannen riesige Naherholungsgebiete hinzu.

Das letzte Porträt in dem Buch gilt der heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute. Auch nach dem Ende des Steinkohlebergbaus trifft man sie noch überall, etwa in Kirchen. Dabei ist sie eine Hochstaplerin: Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat die Katholische Kirche alle Heiligen gestrichen, deren Existenz nicht gesichert ist. Auch die heilige Barbara. Bergmann schreibt: „Die Resonanz darauf hier in der Region ging gegen Null.“ Recht hat sie. Glück auf!

Werner Bergmann: „Die Geschichte machen.“ Helden und Schurken im Ruhrgebiet von anno dazumal bis heute. Bottrop 2019, Verlag Henselowsky Boschmann, 240 Seiten, 9,90 Euro.