Duisburg. Seniorenheime müssen neue Lösungen finden, wollen sie nach der Corona-Krise zukunftssicher sein. Zehn Ideen, die heute schon funktionieren.
Das Seniorenheim muss neu gedacht werden. Denn nach der Corona-Krise ist vor dem nächsten Virus – und sei es die Grippe. Dabei muss nicht alles neu erfunden werden. Die Fraunhofer-Gesellschaft etwa beschäftigt sich schon lange mit der Pflege von morgen, in ihrem „inHaus“ am Duisburger Uni-Campus zeigt sie bereits einige technische Innovationen. Gleich nebenan entwirft die Innenarchitektin Katharina Höfer seit über 15 Jahren Seniorenheime. Hier sind zehn Ideen für das Pflegeheim der Zukunft aus Theorie und Praxis.
1. Der Self-Check-in
Am Flughafen ist sie bereits Standard, die eigenständige Anmeldung durch den Kunden. Im Pflegeheim sind es die Besucher, die sich derzeit anmelden, identifizieren und in Listen eintragen müssen. Nur so sind im Falle des Falles Infektionsketten nachvollziehbar. Das bindet jedoch Personal und verursacht Kontakte. Wolfgang Gröting, Leiter des inHaus-Zentrums, bleibt gleich zu Beginn der Ausstellung vor einem „Gesundheitsterminal“ stehen. Das Start-Up DeGIV aus Kamp-Lintfort hat es für Apotheken konzipiert, um unter anderem Rezepte zu scannen. In Sachsen ist es bereits in mehr als hundert Einrichtungen im Einsatz. Zur Identifizierung sind eine Porträtkamera, ein Unterschriftenfeld und Sensoren für den Elektronischen Personalausweis und die Gesundheitskarte verbaut. Der Clou: Es ist alles datenschutzkonform geregelt.
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„Man könnte auch einen Gesundheitscheck einbauen“, sagt Gröting. „Mit einer Wärmebildkamera ließe sich Fieber feststellen. Und in einem anderen Projekt haben wir es geschafft, aus dem normalen Kamerabild die Atemfrequenz abzulesen. Die Muster lassen Rückschlüsse auf Erkältungskrankheiten zu.“
2. Der Kommunikationsroboter
Die Erwartungen an Roboter sind meist sehr hoch, die wenigsten können sie erfüllen. „Temi“ versucht gar nicht erst, wie ein Mensch zu wirken (wie das Konkurrenzprodukt Pepper, der hier auch rumfährt); Temi wirkt wie ein selbst fahrendes Computer-Tablet. Und viel mehr kann er auch nicht, aber das eröffnet dennoch viele Möglichkeiten. Die Tochter zum Beispiel kann sich einen Zugang geben lassen und per App eine Skype-Video-Verbindung zu ihrem Vater im Heim aufbauen, ohne dass dieser einen Knopf drücken muss. Ihr Gesicht wird auf dem schwenkbaren Tablet zum Kopf des Roboters. Sie kann ihn fernsteuern. Temi könnte auch Besucher in Empfang nehmen und registrieren. Er kann Botengänge zu vorprogrammierten Punkten erledigen und Medizin oder Kiosk-Produkte bringen. In den USA und Asien ist er schon im Einsatz, im nächsten Jahr soll er auch in der EU die Zulassung bekommen und für 4000 Euro auf den Markt kommen – ein Bruchteil dessen, was ähnliche Roboter bislang kosteten.
3. Antibakterielle Materialien
„Wir werden wahrscheinlich einen Schub bei antimikrobiellen Beschichtungen erleben“, glaubt die Innenarchitektin Katharina Höfer. „Die Produkte gibt’s alle, auch auf dem deutschen Markt. Ich habe sie zwar schon oft vorgeschlagen, am Ende aber kaum eingebaut. Es besteht ein hoher Kostendruck.“ Ob sich das nun ändert? Auch Gröting hat im inHaus-Zentrum speziell beschichtete Paneele und sogar Bücherregale, deren Streben gleichzeitig unauffällige Haltegriffe sind, auch diese antibakteriell beschichtet. Auch solche Türklinken gibt es längst.
4. Desinfektionskontrolle
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Einen Desinfektionsspender kann jeder aufhängen, doch wie stellt man sicher, dass vor allem das Personal ihn nutzt? Schon wegen des Datenschutzes ist eine zentrale Speicherung nicht möglich, sie wirft aber auch juristische und ethische Fragen auf. Es gehe eher darum, dem Bewohner selbst die Kontrolle zu geben, erklärt Gröting. Warum also nicht dem Pfleger einen Button mit Display geben, der einen Smiley zeigt, wenn er sich in einem Zeitraum X desinfiziert hat?
„Es gibt auch schon Roboter, die Zimmer abfahren und mit UV-C-Licht desinfizieren, welches Viren und Bakterien töten kann.“ Eine dänische Entwicklung, vor allem in China ist sie bereits im Einsatz.
5. Die Haustechnik
Höfer sieht nicht „den großen Aufschlag“, sie glaubt, dass sich die (Innen-)Architektur in vielen kleinen Schritten verbessern wird. Es gibt so viele Stellschrauben und Möglichkeiten. In den Raum gedacht: Könnte man nicht mit der Lüftung Barrieren schaffen, die Luft im einen Raumteil anders umzuwälzen als im anderen? Aber vielleicht gibt es ja auch bald Virus-Schutzhauben für Besucher, so dass wieder Berührung stattfinden kann. Denn das muss ja das eigentliche Ziel sein. „Berührung“, sagt Höfer, „ist etwas ganz Existenzielles, besonders wenn man Angst hat. Kontaktlosigkeit ist nicht im Sinne der Bewohner.“
6. Sprachsteuerung
Kontaktlos ist das Zauberwort der Corona-Ära. Privatanwender steuern bereits lange Licht, Musik oder Heizung mit Sprachbefehlen. In Heimen oder Krankenhäusern jedoch sucht man digitale Assistenten wie Alexa oder Siri vergeblich – obwohl die Technik auch ohne Corona mehr Selbstbestimmung brächte. Auch Türen ließen sich so steuern oder Personal rufen.
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„Aus Datenschutzgründen will man das nicht“, erklärt Gröting. Darum hat sein Innovationszentrum vor zwei Jahren mit dem Bochumer Bergmannsheil versucht, eine lokale Sprachsteuerung zu programmieren. Es sollten vier Sprachbefehle erkannt werden, um Kopf- und Fußende eines Krankenbettes hoch und runter zu fahren. „Es war nur ein Studentenprojekt“, erklärt Gröting, „aber es war schwierig, die Sprache in der nötigen Qualität zu erkennen. Es gibt aber so große Fortschritte in dem Bereich, dass es heute wahrscheinlich klappen würde.“ Allerdings scheiterte das Projekt auch an einer DIN-Norm. Nach der darf sich das Bett nur bewegen, wenn eine Hand das Bedienteil berührt. Fazit: Es ist eher eine Frage der Bestimmungen als der Technik.
7. Öffnung zum Leben
Ein Video aus Spanien hat Katharina Höfer inspiriert: „Ein Heim hat von seiner Terrasse aus, alle Nachbarn auf ihren Balkonen, Stadtteil-Bingo per Megaphon gespielt. Das ist möglich, wenn Seniorenheime baulich und kulturell ins Quartier integriert werden, sagt Höfer. Sie hat zum Beispiel in Duisburg das AWO-Seniorenzentrum Im Schlenk mitkonzipiert. „Die Zimmer zur lauten Hauptstraße waren als erste weg.“ Zugehörigkeit zu schaffen, ist auch eine städtebauliche Aufgabe.
8. Mehr Freiraum
„Die Leute kommen auch weniger raus in Corona-Zeiten“, sagt Gröting. Speziell bei dementen Menschen ist das ohnehin ein Problem, denn sie brauchen viel Betreuung, sie könnten ja „türmen“ . Es gibt bereits eine Menge Lösungen, (mit dem Einverständnis der Bevollmächtigten) GPS-Chips als Armband oder an der Kleidung zu befestigen. Doch neigen Demente dazu, sich unbekannter Gegenstände zu entledigen. „Eine Firma hat nun ein Ortungs-Pflaster entwickelt, das im Prinzip unmerkbar am Rücken angebracht werden kann“, zeigt Gröting neue Ansätze auf.
9. Natur im Zimmer
Eine Lösung ganz und gar untechnischer Natur zu diesem Thema hat Gröting auch in seine Ausstellung geholt: Ein rollbares Hochbeet, ein Blumenkasten, in den man Pflanzen und Kräuter zum Fühlen und Schmecken setzen könnte.
10. Mehr Personal
Bei aller Begeisterung für die technischen Möglichkeiten: „Was Corona am meisten lehrt, ist, dass der Personalschlüssel vernünftig aufgestellt sein muss“, sagt Höfer. Dann kann man den Bewohner besser das geben, was ihnen in dieser Zeit wohl am meisten fehlt: Kontakt. Emotionalen Beistand. Auch bei mehr Spaziergängen im Freien. Etwas, was auch ohne Corona sinnvoll wäre.