Essen/ Gladbeck. Im Einsatz drangen die SEK-Beamten in seine Wohnung ein. Da feuerte der Angeklagte. Sechs Schüsse. Jetzt steht er in Essen vor Gericht.

Ein Rambo ist er nicht. Aber als am 4. Dezember vergangenen Jahres morgens um sechs Uhr SEK-Beamte in sein Haus in Gladbeck eindrangen, schoss der Angeklagte sofort. Einen Polizisten traf er, verletzte ihn leicht. Seit Mittwoch muss der 51-Jährige sich vor dem Landgericht Essen wegen versuchten Totschlags verantworten.

Zum Prozessauftakt gesteht Mohamed A. über seinen Verteidiger Matthias Meier die Schüsse. Er sei in Panik geraten, als plötzlich die Scheiben in seinem Haus zersplitterten und vermummte Männer eindrangen. Irgendwann habe er aber erkannt, dass es Polizisten sind und sofort die Ceska-Pistole weggeworfen. Meier: "Er hat sich dann ergeben."

Kugel traf SEK-Beamten "Nummer 160"

Die von Staatsanwältin Julia Schweers-Nassiv verlesene Anklage nennt die SEK-Beamten nicht mit Namen, sondern mit Nummern. Jörg Schmitt, Vorsitzender des Essener Schwurgerichtes, erläutert das: "Diese Spezialkräfte treten nicht gerne in der Öffentlichkeit auf." So ist lediglich zu hören, dass Mohamed A. zuerst auf "Nummer 150", der im Garten stand, geschossen hat, danach auf "Nummer 160" am Wohnzimmerfenster.

Eine der Kugeln traf "Nummer 160" seitlich am Brustkorb. Weil der Beamte eine Schutzweste trug, hinterließ das Projektil nur einen Bluterguss. Der Angeklagte, Vater von neun Kindern, kann sich glücklich schätzen, dass er nicht von Polizeikugeln durchsiebt wurde. Denn die Beamten reagierten besonnen, obwohl er das Feuer auf sie eröffnete.

Angeklagter stand unter Polizeischutz

Dass Mohamed A. in Panik geriet, als in seinem Wohnhaus das Fensterglas mit einem lauten Knall zersplitterte, ist sogar nachvollziehbar. Denn der Mann aus dem Stadtteil Ellinghorst, gebürtig aus Montenegro, stand seit mehreren Tagen unter Polizeischutz, weil er Streit mit zwei anderen Familien hatte. Die eine lebt in Holland, die andere in Berlin. Es ging um Geld.

Nachbarn hatten nach dem Schusswechsel der WAZ erzählt, dass der Angeklagte einen regen Handel mit hochwertigen Autos betreibe. Oft seien Kaufgespräche auf der Straße geführt worden, dicke Geldbündel hätten den Besitzer gewechselt. Sie hatten auch häufig Fahrzeuge mit holländischem Kennzeichen gesehen.

Videos mit Morddrohungen

Offenbar gab es da Streit. Ein Beamter der Recklinghäuser Mordkommission erzählt am Mittwoch, dass die Familien sich gegenseitig Videos zugeschickt und mit dem Tode bedroht hätten: "Es hieß, bestellt schon mal Särge. Auch Waffen wurden gezeigt." Mohamed A. hatte wohl deshalb die Polizei eingeschaltet, die fortan stündlich einen Streifenwagen am Haus vorbei fahren ließ.

Verständlich, dass Mohamed A. in diesen Tagen um sein eigenes Leben und das seiner Familie fürchtete. Rechtsanwalt Meier: "Fatalerweise hat er sich deshalb einige Tage zuvor die Waffe besorgt. Das tut ihm leid, das würde er heute nicht mehr machen."

SEK suchte Pistole im Haus des Angeklagten

Auslöser des SEK-Einsatzes war allerdings die Anzeige der Berliner Familie. Sie hatte der Polizei berichtet, dass Mohamed A. eine scharfe Waffe besäße. Nach dieser Pistole suchten die Spezialkräfte mit Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichtes Essen.

Ungewöhnlich für ein Verfahren vor dem Schwurgericht, wo es immer um Mord und Totschlag geht: Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung einigten sich offiziell auf ein Strafmaß. Es soll zwischen vier und sechs Jahren Gefängnis liegen. Richter Schmitt machte klar, dass diese Verständigung die Ausnahme und vor dem Hintergrund der echten Bedrohung zu sehen sei.

Die Coronakrise sorgt zudem dafür, dass die Gerichte an einem schnellen Abschluss interessiert sind. Insgesamt nur drei Prozesstage sind angesetzt. Mohamed A. zeigte sich auch kooperativ: 3000 Euro Schmerzensgeld will er dem angeschossenen Polizisten bezahlen. 500 Euro hatte die im Zuhörerbereich sitzende Familie bereits mitgebracht.