Essen. Das Schwurgericht Essen will den “Ehrenmord“-Prozess nicht platzen lassen. Mehrere Maßnahmen sollen vor dem Coronavirus schützen.
Das "Ehrenmord"-Verfahren mit rund 50 Prozessbeteiligten in Essen droht durch das Coronavirus zu platzen. Mit mehreren Maßnahmen will das Schwurgericht jetzt das vorzeitige Ende verhindern. Dafür sollen Dolmetscher und Justizwachtmeister aus dem Saal verbannt und der Raum besser gelüftet werden.
Seit über einem Jahr hat das Gericht an 53 Sitzungstagen gegen zuletzt elf aus Syrien stammende Angeklagte verhandelt. Es geht um die Attacke vom 31. Mai 2018 in einem Essener Hinterhof an der Steeler Straße. Laut Anklage hatten die Mitglieder einer Großfamilie auf einen 19 Jahre alten Essener Landsmann mit Holzlatten eingeprügelt und ihn mit einem Messer verletzt, weil er die angebliche "Ehre" der Familie beschmutzt hatte.
Verhältnis mit einer Frau aus dem Clan
Sein Vergehen: Er hatte mit einer jungen Frau aus dem Clan ein Verhältnis, obwohl sie verheiratet war. Nur knapp überlebte der junge Mann den Anschlag.
Das Schwurgericht hat jetzt Sorge, dass das Verfahren kurz vor der Urteilsverkündung platzen könnte. Nicht nur, dass die umfangreiche Beweisaufnahme mit Zeugenvernehmungen wiederholt werden müsste. In diesem Fall stellt sich auch die Frage, ob die Haftbefehle gegen sieben Angeklagte, die seit fast zwei Jahren in U-Haft sitzen, weiter in Kraft bleiben.
Haftbefehle könnten aufgehoben werden
Es könnte sein, dass ein Teil von ihnen frei käme. Nicht unwahrscheinlich, dass sie sich einem neuen Verfahren nicht stellen und in ihr Heimatland fliehen. Die brutale und feige Tat, die von den Angeklagten gefilmt wurde und für Empörung in der Öffentlichkeit sorgte, bliebe dann ungesühnt.
Klar ist aber auch, dass es in Saal N001 angesichts der Corona-Pandemie so nicht weiter gehen darf. Allein die Anklagebank ist mit elf Beschuldigten sowie jeweils zwei Verteidigern und Vertrauensdolmetschern überfüllt. Der Mindestabstand von eineinhalb Metern lässt sich nicht einhalten.
Staatsanwältin will bis zu elf Jahre Haft
Eigentlich steht der Prozess kurz vor dem regulären Abschluss. Staatsanwältin Birgit Jürgens hat bereits bis zu elf Jahre Haft gefordert, die Verteidiger haben plädiert und neun Angeklagte ihr letztes Wort gehalten. Zuletzt sind auch Befangenheitsanträge gegen die Kammer und Anträge auf Aussetzung des Verfahrens wegen der Coronakrise zurückgewiesen worden.
Jetzt steuert das Gericht gegen. Richter Jörg Schmitt teilte den Prozessbeteiligten mehrere Maßnahmen mit. So sollen ab dem nächsten Sitzungstag, 9. April, künftig die Vertrauensdolmetscher in einen anderen Saal gehen und der Übersetzung durch die Gerichtsdolmetscher per Funk lauschen. Künftig sollen nur noch sieben Justizwachtmeister im Saal bleiben, der Rest draußen. Dafür soll die Saaltüre offen bleiben, um so bei geöffneten Fenstern für eine gute Durchlüftung zu sorgen.
Zahl der Zuhörer wird halbiert
Schließlich soll die Zahl der Zuhörer halbiert und die vier nicht inhaftierten Angeklagten im Saal vor den Zuhörerreihen mit ihren Verteidigern Platz nehmen. Dadurch sei auf der Anklagebank Platz genug, um zwischen Angeklagten und Verteidigern räumliche Distanz herzustellen. Extra angeschaffte "Plexiglasschutzscheiben", so heißt es in der Anordnung, sollen für weitere Sicherheit auf der Anklagebank sorgen.
Rechtsanwalt Aykan Akyildiz, der das Opfer als Nebenkläger vertritt, begrüßt die Maßnahmen im Prinzip. Er erwartet aber neue Anträge einiger Verteidiger gegen die Anordnung. Das werde das Verfahren erneut verzögern. Er fragt sich, warum das Gericht nicht durch gesetzlich zulässige "Abtrennungen" aus dem Großverfahren mehrere kleine Verhandlungen zum Urteil führe. Sein Mandant hoffe jedenfalls auf einen schnellen Abschluss des Verfahrens.