Gelsenkirchen/Ruhrgebiet. In Gelsenkirchen ist die Zahl illegal abgestellter, Parkraum raubender Autos explodiert. Doch Hauptstadt der Schrottautos ist eine andere.
„Du hast einen roten, runden Aufkleber am Auto entdeckt und fragst dich, was dieser bedeuten soll?“ So und ähnlich stimmen die Seiten von Schrotthändlern den Suchenden ein auf die traurige Erkenntnis: Sein Auto gilt dem Ordnungsamt als „Abfall“, wenn es nicht innerhalb von meist vier Wochen entfernt worden ist. Steht allerdings auch auf dem signalroten Aufkleber, den Gelsenkirchen nun rekordverdächtige 3500-mal verteilt hat.
3500 abgemeldete Kraftfahrzeuge und Anhänger am Straßenrand – damit kommt ein Schrottauto auf 74 Einwohner! Kann das sein?
Ja. Die Stadt bestätigt diese enorm hohe Zahl. Sie hat sich innerhalb von sieben Jahren verdreifacht. Und Gelsenkirchen ist nicht einmal der Spitzenreiter, auch wenn sich die Lage im Revier differenziert darstellt.
Essen ist wohl heimliche Schrottauto-Hauptstadt
Auch in Essen werden seit Jahren vermehrt Schrottautos gefunden und gemeldet, die wertvollen Parkraum blockieren und in manchen Fällen das Auge beleidigen. Waren es im Jahr 2016 noch 4.300 Meldungen, sind in 2019 bis einschließlich Oktober schon 6900 Fälle in Essen aufgelaufen. Geht man für die restlichen zwei Monate von einer gleichbleibenden Quote aus, wäre Essen mit einem illegal abgestellten Fahrzeug auf 70 Einwohner noch vor Gelsenkirchen die Schrottauto-Hauptstadt des Ruhrgebiets.
In Duisburg dagegen ging die Zahl der abgemeldeten Fahrzeuge nach einem kontinuierlichen Anstieg über Jahre zurück auf nur noch 2186 in 2019 bis Mitte Dezember – was auf die Einwohner gerechnet nur etwa ein Drittel der beiden Nachbarstädte ausmacht. (2018 waren es noch 3051 Schrottautos.) Auf ähnlichem Niveau bewegt sich Bochum mit rund 1740 Fällen. Auch Herne komme seit Jahren konstant auf etwa 1000 Fälle, erklärt Stadtsprecher Christoph Hüsken. In Dortmund ist die Zahl der illegal abgestellten Autos sogar in den vergangenen fünf Jahren von einem ohnehin niedrigen Niveau von 2435 gesunken auf 2136 im vergangenen Jahr.
Allerdings sind all diese Zahlen nur bedingt aussagekräftig, denn eine unterschiedliche Kontrolldichte und das Meldeverhalten der Bürger führt sehr schnell zu großen Unterschieden. Während Essen „keine belastbare Erklärung“ hat für die steigenden Zahlen, findet Gelsenkirchen gleich vier Gründe:
- Das Bedürfnis nach Ordnung und Sauberkeit sei gestiegen, „die Leute sehen genauer hin“, sagt Stadtsprecher Oliver Schäfer. Die Mängelmelder-App der Stadt funktioniert offenbar auch so gut, dass inzwischen rund 60 Prozent der Fälle über „GE-meldet“ kommen.
- Die Stadt hat ihren Ordnungsdienst aufgestockt auf 30 Beschäftigte (2021 wird die Zahl nochmals auf dann 50 erhöht). Ebenso ist die Zahl der Politessen (männlich: „Politeure“) von 26 auf 40 Köpfe gestiegen. Und die neue Quartiershilfe mit 65 Mitarbeitern achtet ebenfalls auf verlassene Pkw.
- Viele Zuwanderer, insbesondere aus Rumänien und Bulgarien, kennen möglicherweise nicht die Regeln für das Abstellen von nicht angemeldeten Fahrzeugen.
- „Manche Kleinhändler stellen auch ihre Fahrzeuge in den öffentlichen Raum“, sagt Schäfer. Er weiß von etwa zehn Fällen mit jeweils mehreren Fahrzeugen.
Das sei „natürlich keine Bagatelle“, erklärt Stadtsprecher Schäfer denn Parkraum werde auch in Gelsenkirchen vielerorts knapp. Die Zahl der zugelassenen Fahrzeuge sei in den vergangenen zehn Jahren um 13.000 gestiegen. Auch darum hätten die Beschwerden zugenommen.
Gelsenkirchen geht rigoros vor gegen die Sünder
Und aus diesem Grunde geht Gelsenkirchen inzwischen rigoros vor gegen die Abstellsünder. Auf Beschwerden per App reagiert die Stadt innerhalb von 24 Stunden. Stellt der Mitarbeiter dann fest, dass eine Gefahr von dem abgemeldeten Auto ausgeht – da reicht es schon, wenn die Fahrzeugtür nicht abgeschlossen ist und Bremsen gelöst werden könnten –, wird sofort abgeschleppt. Ebenso wenn die Identifikationsnummer abgeklebt worden ist.
In der Regel hat der Halter aber vier Wochen Zeit – viele lassen diese verstreichen. Dann gilt das Auto offiziell als Abfall und kommt an den Haken. Die Stadt versucht dann noch, den Besitzer und Verursacher der Müllsituation ausfindig zu machen – was auch meist gelingt. Die Gebühr dafür fällt mit 278,50 Euro recht saftig aus. Zum Vergleich: Bochum berechnet bis zu 113 Euro, Duisburg 200 und Herne 250 Euro. Hinzu kommen Abschleppkosten (ca. 200 Euro) und Lagerung. Läuft Öl aus oder wird die Umwelt in anderer Form geschädigt, drohen noch einmal 500 Euro Geldstrafe.
Es stellt sich natürlich die Frage, warum die Halter ihr Auto nicht selber entsorgen lassen, Schrotthändler zahlen ja sogar bis zu 300 Euro dafür (bei Kleinwagen aber meist weniger, manchmal ist auch nur die Entsorgung kostenlos). Offenbar haben die allermeisten Wagen noch einen Wert, denn nur in rund 100 Fällen in Gelsenkirchen haben die Halter ihr Auto nicht ausgelöst – dann wird es tatsächlich verschrottet, „egal ob Golf oder Porsche“, so Schäfer. „Die Stadt darf sich nicht bereichern.“ Allerdings kommt der verlassene Porsche in der Realität einfach nicht vor.