Ruhrgebiet. Kaum eine Klinik bietet klimatisierte Zimmer. Und wenn, sind sie meist Privatpatienten vorbehalten. Der gesetzlich Versicherte muss schwitzen.
Kreislaufkollaps, Kopfschmerzen, Schwindel und Unwohlsein – die Hitze bringt spürbar mehr Patienten in die Notaufnahmen des Ruhrgebiets. Vor allem sind es ältere Menschen, die zu wenig getrunken haben. Aber Clemens Kill, Leiter der Notaufnahme im Uniklinikum Essen, hat bei der ersten Hitzewelle im Juni zwei Patienten gehabt, die das Pech hatten, in einer überhitzten Dachgeschosswohnung zu wohnen. „Sie legen sich abends ins Bett und erleiden einen Hitzeschlag, weil die Körpertemperatur auf über 41 Grad steigt. Das ist als würden Sie in einer Sauna einschlafen.“ Die Patienten waren nicht mehr bei Bewusstsein, „es war absolut lebensbedrohlich. Das sieht man in Deutschland in der Tat selten.“
Dies sind jedoch Einzelfälle. Die Mehrzahl der Betroffenen schafft den Weg in die Ambulanz durchaus allein. „Bei Temperaturen von über 30 Grad beobachten wir in der Regel einen Anstieg von Patienten mit hitzebedingten Krankheitsbildern von etwa zehn Prozent“, sagt Klaus Kisters, Chefarzt der Inneren Medizin am St. Anna Hospital in Herne. Die Aufnahme immerhin ist immer klimatisiert, so ist es vorgeschrieben für alle „Funktionsbereiche“ eines Krankenhauses. Auf der Intensivstation, im Operationssaal oder „in der Röhre“ des Computertomographen muss niemand schwitzen. Auf den Stationen sieht das anders aus.
Die Zweiklassengesellschaft der Klimatisierung
Nur in einigen Krankenhäusern gibt es „Komfortstationen“ oder Wahlleistungszimmer, die wiederum nur manchmal klimatisiert oder mit Ventilatoren ausgerüstet sind. Eine Statistik darüber existiert nicht. Doch wo es sie gibt, „können gesetzlich Versicherte davon nur selten Gebrauch machen“, sagt Manuela Anacker vom Sozialverband VdK. Privatpatienten haben in aller Regel den Vortritt. „Man kann hier schon von Zweiklassenpatienten sprechen“, sagt die Sozialreferentin. Der VdK, mit zwei Millionen Mitgliedern größter Sozialverband des Landes, will das Thema Klimatisierung bei der nächsten Krankenhausplanung diskutierten.
Doch selbst bei Neubauten hat eine Klimatisierung nicht immer Priorität. So bekommt auch die moderne Kinderklinik, die bis 2023 am Uniklinikum Essen entsteht, künstliche Kühlung nur, wo vorgeschrieben. Allerdings, gibt Kliniksprecher Thorsten Schabelon zu bedenken, seien neue Gebäude auch viel besser energetisch isoliert und neben dem Kosten- gebe es auch den Umweltaspekt. „An 350 Tagen wird die Klimaanlage eher nicht gebraucht. Und bei älteren Gebäuden ist für eine Nachrüstung oft kein Platz da.“ Auch die Wahlleistungszimmer an der Uni-Klinik seien nicht klimatisiert, soweit zu überblicken.
„Die Hitze ist furchtbar“, entfährt es Schwester Nathalie Volkert auf M20, der Internistischen der Augusta Kliniken in Bochum. Dabei ist die Temperatur hier am Donnerstagmittag zwar erhöht, aber noch so erträglich, dass die Patientin Regina Behnke, 86, sagt: „Ich habe keine Beschwerden. Aber ich schlafe viel, wahrscheinlich wegen der Hitze.“ Vor einer Darmspiegelung darf sie nichts trinken, darum bekommt sie eine extra Infusion.
Trinken, immer trinken, ist das Wichtigste
Zwar ordnen die Ärzte in der Tat vermehrt Infusionen an, doch fordern Volkert und ihre Kolleginnen die Patienten vor allem auf, viel zu trinken. Und damit das auch geschieht, bringen sie die Flaschen direkt ans Bett. Patienten werden mit feuchten Tüchern oder mit kühlendem Aktivgel abgerieben, müssen noch aufmerksamer betreut werden als sonst, die Fenster werden morgens geschlossen, die Vorhänge zugezogen – die Hitze bedeutet mehr Wege, mehr Stress für das Personal. Klimatisiert ist hier kein Zimmer. „Wir prüfen es bei Neubauten. Aber technisch und wirtschaftlich ist es nicht abbildbar, den gesamten Bestand umzurüsten“, sagt Hendrik Schöpper von der Geschäftsleitung.
Ein leichter Schweißfilm liegt auf allen Gesichtern. Und dann ist letzte Nacht auch noch der Ventilator im Dienstzimmer ausgefallen. Aber dafür gibt es Mangolassi und Melone aus der Küche. Das macht die Augusta-Klinik nun seit drei Jahren für ihre Mitarbeiter, wenn es besonders heiß wird – als kleines Dankeschön, aber Nathalie Volkert schätzt es auch als Erinnerung: „Man vergisst manchmal, selbst genug zu trinken.“
Die Patienten bekommen zwar keine besondere Kost für heiße Tage. „Aber der Sommerplan ist schon darauf ausgelegt“, erklärt Küchenchef Ralf Meyer. Selbstgemachter Yogurt mit Fruchtpüree ist angesagt. Es sei auch nicht so, dass viele Leute nach Salattellern fragen, sagt Meyer: „Man kennt es aus den Hotels: Egal wie heiß es ist, Schweinebraten läuft immer gut.“ Die Küche ist übrigens auch klimatisiert, man merkt es nur nicht. Es ist ein bisschen wie bei der Deutschen Bahn: Die Klimaanlagen sind nicht auf echte Hitze ausgelegt. (mit Lina Wiggeshoff und Marcus Schymiczek)
>> Info: Auf ältere Menschen acht geben
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz mit Sitz in Dortmund appelliert an die Bürger, in der Hitzewelle älteren Menschen zur Seite zu stehen. „Besonders für alte und pflegebedürftige Menschen ist die Hitzewelle eine Gefahr“, sagt der Vorstand der Stiftung, Eugen Brysch. „Ihr Kreislauf kann sich nur noch schwer an die Hitze anpassen.“ Gerade jetzt brauche es „aufmerksame Nachbarn, die ihre Hilfe anbieten“.
Brysch rät dazu, die Augen offenzuhalten und geschwächten Menschen zu helfen, denen man auf der Straße begegnet. In der Nachbarschaft könne man fragen, ob die älteren Mitbürger etwas zu trinken benötigen oder ihnen auch beim Verdunkeln der Wohnung helfen. „Der Schutz vor Sonne ist wichtig“, unterstreicht Brysch. Gerade älteren Menschen fehle oft das Durstgefühl. (epd)