Ruhrgebiet. . Alles richtig gemacht, bescheinigt sich das ZDF in einem Antwortbrief an die Stadtspitzen des Reviers. Die boykottieren eine Umfrage des Senders.
Das ZDF antwortet auf den Boykott des Ruhrgebiets an zwei geplanten Sendungen. Oberbürgermeister und Landräte sahen die Region in der „Deutschlandstudie“ des ZDF vom Mai 2018 falsch beurteilt und negativ dargestellt. Als der Sender nach ähnlichem Muster nachlegen wollte mit „Familienatlas“ und „Seniorenatlas“, verweigerten die Revierchefs im April dieses Jahres geschlossen die Teilnahme an einer Umfrage durch das Meinungsforschungsinstitut Prognos und kritisierten „das Zweite“ in einem Brief scharf. Nun liegt das Rückschreiben der Redaktion vor – es wird die Stadtspitzen wohl nicht umstimmen.
Alles richtig gemacht?
Denn sachlich im Ton, beharrlich in der Sache, erklären ZDF-Chefredakteur Peter Frey und Prognos-Geschäftsführer Christian Böllhoff im Kern, alles richtig gemacht zu haben. Die Deutschlandstudie habe versucht, „eine Messlatte zu bieten“, um Lebensverhältnisse vergleichen zu können und dabei Daten „ausschließlich aus qualitativ hochwertigen Quellen“ verwendet wie etwa den Statistischen Landesämtern. Dann wird es dialektisch: Die Studie erhebe „ausdrücklich nicht den Anspruch, eine Aussage darüber zu treffen, wo die Lebensqualität hoch ist und wo nicht.“ Diese hänge von einer Menge subjektiver – größtenteils nicht messbarer – Faktoren ab. „Die Studie will aber aufzeigen, welche objektiven Rahmenbedingungen für Lebensqualität in unserem Land vorliegen.“
Kurzer Faktencheck: Hier schwurbeln das ZDF und sein Dienstleister Prognos. Die Webseite zur Deutschlandstudie ist überschrieben mit „Wo lebt es sich am besten?“ In der Unterzeile wird klar suggeriert, dass es sich um ein Ranking zur Lebensqualität handele: „Wie schneidet Ihr Wohnort“ ab? Erst im Kleingedruckten, unter einem Info-Knopf, versteckt im vierten Reiter, ist diese feinsinnige Unterscheidung zu finden, die den meisten Lesern und Zuschauern entgangen sein dürfte. Die Deutschlandstudie stellt sich als harte Rangliste dar. Und die Ruhrgebietsstädte belegen sämtliche hinteren Plätze: Oberhausen: 398. Duisburg: 399. Herne: 400. Gelsenkirchen 401 – Letzter.
Das Heimatgefühl wird auch durch Zahlen verletzt
Die TV-Dokumentation zur Studie habe Ergebnisse herausgegriffen und eingeordnet „- immer mit Respekt vor dem Heimatgefühl vieler Menschen“, schreiben ZDF und Prognos weiter. So sei im Falle Gelsenkirchens die Arbeitslosigkeit thematisiert worden. „Stärker herausgearbeitet wurde aber in der Dokumentation die Frage, was die Menschen an ihrer Region schätzen und wie das große Wir-Gefühl im Ruhrgebiet zu erklären ist“ ... „Bei einer Umfrage in der Gelsenkirchener Innenstadt zeigen die befragten Menschen ihre Verbundenheit zur Heimat, loben Freizeitangebote wie Kinos und Parks oder die Fußballvereine im Revier.“
Angekommen ist in Gelsenkirchen als Botschaft dennoch: Platz 401 von 401. Die Bürger reagierten mit der Kampagne #401, Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD) schlug vor, das Sendezentrum des ZDF von Mainz nach Gelsenkirchen zu verlegen und gehörte zu den Wortführern des Boykotts, der in der Stadt freilich nicht unumstritten ist. Im Brief der Stadtspitzen hieß es: „Ihre Studie vermag bedauerlicher Weise nicht abzubilden, was die Menschen in unseren Städten und Kreisen vor Ort aus den oben skizzierten Rahmenbedingungen machen und wie sie ihr Lebensumfeld und dessen Qualität positiv - und oftmals ehrenamtlich - gestalten.“ Weitere Kritik bezog sich auf den Umgang mit statistischen Daten an drei Beispielen. Auch hierauf geht das ZDF ein.
Der Teufel steckt im Detail
1. Bei der „Ärztlichen Versorgung“ schnitt das Ruhrgebiet schlecht ab. Allerdings hatte das Revier bis Ende 2017 den Status einer Sonderregion, in der aufgrund der Bevölkerungsdichte 20 Prozent weniger Hausärzte pro Kopf vorgesehen waren. Innerhalb von zehn Jahren soll dies nun angeglichen werden. Prognos hatte Zahlen von 2014 und 2015 genutzt – „zum damaligen Zeitpunkt waren es die aktuellsten Daten, die flächendeckend einen Vergleich“ ermöglichten. Erst in zukünftigen Daten werde die Angleichung ab 2018 sichtbar werden.
2. Hagen als besonders waldreiche Großstadt belegt in der Kategorie „Freizeit und Natur“ nur Platz 321. Die Stadtchefs kritisieren, dass hier auch Indikatoren wie Wahlbeteiligung und Ganztagsbetreuung einfließen. ZDF und Prognos verteidigen das Vorgehen. Man habe aus 53 Merkmalen drei Rubriken gebildet und diesen „möglichst griffige Namen“ gegeben, die das Hauptthema abbilden, aber nicht alle eingeflossenen Indikatoren abbilden. Bundesweit liegt Hagen beim Waldanteil nur auf Rang 86. Dafür schneidet es schlecht ab zum Beispiel bei den Erholungsflächen (377), den Sonnenstunden pro Jahr (378) und der Wahlbeteiligung, die gleich zweimal einfließt zur Bundestagswahl (360) und zur Kommunalwahl (329).
3. „Den Verfassern der Begleittexte der Deutschland-Studie scheint die Unterscheidung zwischen den Kreisen und den kreisangehörigen Kommunen, nach denen sie benannt sind, nicht klar zu sein“, schrieben die Stadtchefs, ohne ein Beispiel zu nennen. Wohl auch deshalb können ZDF und Prognos diese Kritik „nicht nachvollziehen“.
Nicht alle Städte kennen den Brief
ZDF-Chefredakteur Peter Frey und Prognos-Chef Christian Böllhoff werben abschließend um die Teilnahme an künftigen Studien, bei denen zusätzliche Daten über einen Fragebogen von den Städten eingeholt werden sollen – keine Neuerung gegenüber der Anfrage vom April. Kurios: Der Antwortbrief des ZDF liegt der Stadt Hagen, beim Boykott federführend, laut Eingangsstempel bereits seit dem 29. April vor. Allerdings wurde er offenbar nicht an alle beteiligten Städte weitergeleitet und auch nicht im Kommunalrat besprochen. Ausgerechnet in der Gelsenkirchener Verwaltung zeigte man sich am Donnerstag überrascht von der Existenz des Schreibens. Oberhausen teilt auf Nachfrage mit, dass das Schreiben deutlich nach dem 17. Mai einging – die Frist, die ZDF und Prognos den Städten zu einer Teilnahme gesetzt hatten. Hernes Oberbürgermeister Frank Dudda teilte erst Mitte dieser Woche mit, er wolle auch künftig das auf Ranglisten basierende Format des ZDF boykottieren.