Gelsenkirchen. . Leben zwischen Lust und Frust: Ihr Gelsenkirchen schätzen trotz ZDF-Ranking viele. Beim Studien-Boykott des OB sind die Meinungen gespalten.

In der Deutschland-Studie des ZDF schnitt das Ruhrgebiet und besonders Gelsenkirchen 2018 desaströs ab. An der Befragung für den Familien- und Seniorenatlas, die der Sender plant, wollen Frank Baranowski und andere Revier-OB nun nicht teilnehmen. Die Reaktionen darauf sind sehr gemischt, ebenso wie die Stimmen zum Facebook-Aufruf der WAZ. Die Liebesbekundungen für Gelsenkirchen dominieren, doch es gibt auch krasse Ansagen:

Wundervolle Wanderwege und schöne Parks

© Joachim Kleine-Büning

„Es gibt wundervolle Wanderwege, die auch naturnah sind, und deswegen lebe ich gerne in Gelsenkirchen“, schreibt Laura Sprejz. „Schloss Berge, Nordsternpark, Ewaldsee, Stadtpark – man kommt überall super hin, dazu viel Grün, Halden, Veltins Arena, usw. usw.“ zählt Alexandra Wenske als Pluspunkte auf. Jürgen Bierbaum schwärmt einfach über „die Menschen“ hier und Conrad Biener stellt fest: „In den schönen Ecken sind die Mieten auch günstig.“

Ein weiterer PR-Gau aus dem Zentrum der Armut

Das alles kann Mert Kahraman nicht begeistern. Gelsenkirchen, findet er, hat „Platz 401 schon verdient. Und das sage ich als gebürtiger Gelsenkirchener. Es ist langweilig hier.“ Die Autobahnanschlüsse und Intercity-Anbindung würdigt Florian Beer. Denn: „Man kommt schnell wieder weg.“

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Den OB-Boykott halten Leser eher für kontraproduktiv: „Das ist genau die Reaktion, die wir hier nicht gebrauchen können. Ein weiterer PR-Gau aus dem Zentrum der Armut, dem Ruhrgebiet. Statt selbstbewusst und mit strategischer Kommunikation ein mediales Gegengewicht zu ZDF/Prognos schaffen, verhält man sich wie beleidigte Leberwürste aus der ersten Schulklasse. Die Inhalte der Studie geben ein objektives Bild wieder“, glaubt Franz Przechowski.

Die Probleme in der Stadt offen angehen

... und Ärger pur in Schalke-Nord. Dort steht diese Schrottimmobile, die kürzlich bei einem Stadtteilrundgang von Jugendlichen und Oberbürgermeister Frank Baranowski in Augenschein genommen wurde.
... und Ärger pur in Schalke-Nord. Dort steht diese Schrottimmobile, die kürzlich bei einem Stadtteilrundgang von Jugendlichen und Oberbürgermeister Frank Baranowski in Augenschein genommen wurde. © Olaf Ziegler

„Kopf in den Sand stecken hilft auch nicht, dadurch wird unser Gelsenkirchen nicht besser, also Stirn zeigen“, empfiehlt Toni Horta, und Benjamin Reichelt meint: „Wenn wir die Tatsachen verdrängen wird sich nichts ändern! Nutzen wir den Fokus der Öffentlichkeit, um die Probleme offen anzugehen.“ Für Osman Sengül ist das Städte-Ranking eine „lächerliche Studie. Es gibt schöne Gegenden in Buer, Erle, Horst und Bismarck. Die haben null Plan“, steht für den Gelsenkirchener fest.

Nur eine Fototapete auf einer Schimmelwand

Mit einer Spur Sarkasmus wertet Werner Callies die Situation: „Man kann ja immer noch sagen, Gelsenkirchen erreichte einen hervorragenden 401. Platz. Herne hingegen wurde nur Vorletzter...“

„Schade, wenn unser OB so denkt, wird sich hier nichts verbessern, nur weiterhin verschlechtern“, glaubt Magda Stefan.

Gerade jetzt, appelliert Bea Heim in ihrem Beitrag, „sollte man die Gelegenheit nutzen und auf die Probleme des Ruhrgebiets aufmerksam machen. Angefangen mit dem Solidaritätszuschlag bis zu Kooperation zwischen den Städten der Metropole Ruhr auf allen Ebenen und Gebieten. So lange man Konkurrenzkämpfe zwischen den Städten austragen wird, wird sich das Ruhrgebiet zwischen 390 und 401 auf der Liste platzieren. Man merkt doch, dass das ganze Ruhrgebiet angehängt wird. Es hilft auch nicht, etwas infantil zu sagen. es gibt ja ,auch schöne Ecken’ in GE. Es ist dann nur eine Fototapete auf einer Schimmelwand.“

Und so reagiert die lokale Politik auf die Weigerung

Oliver Wittke, Parlamentarischer Staatssekretär der CDU im Bundestag.
Oliver Wittke, Parlamentarischer Staatssekretär der CDU im Bundestag. © Heinrich Jung

Vor „Realitätsverweigerung“ warnt Oliver Wittke die Revieroberbürgermeister. Der Staatssekretär und Gelsenkirchener CDU-Bundestagsabgeordnete appelliert: „Die Veränderung zum Besseren beginnt mit der Akzeptanz der Realität.“ Und genau das verweigerten die Oberbürgermeister mit einer Absage an eine weitere Studie von ZDF und Prognos. Wittke: „Auch andere Untersuchungen bescheinigen unseren Städten Defizite. Da hilft es nicht, mit der rosaroten Brille umherzulaufen, da muss man an den Themen arbeiten“.

In Gelsenkirchen bedeute das beispielsweise, die Entwicklung des Hochschulstandorts voranzutreiben. „Die WH ist ein ungeschliffenes Juwel“, aber sie sei kaum eingebunden in die Stadt, das Campus-Projekt komme nicht voran, ebenso die Idee eines angedockten Gewerbepark für Start-Ups aus dem Hochschulbetrieb. Defizite sieht Wittke auch bei der Perspektivplanung für den großen Kraftwerksstandort Scholven „Es gibt noch keine Verabredung, was mit der großen Fläche künftig geschieht.“

SPD-Fraktionschef findet Verweigerung richtig

 
  © Ziegler

Mit seiner Kritik an der Verweigerungshaltung des OB positioniert Wittke die CDU – und steht damit recht alleine da: „Es ist ist sinnfrei, sich an solchen Umfragen zu beteiligen, wenn man die Kriterien für falsch hält“, stellt Peter Tertocha, Fraktionssprecher der Grünen im Stadtrat fest. Bei den angelegten Kriterien käme „Gelsenkirchen auf jeden Fall unter die letzten zehn Prozent. Und andere Kriterien kommen völlig zu kurz“. Welche, nennt SPD-Fraktionschef Klaus Haertel: „Das Musiktheater oder der Zoo fielen bei der letzten Studie zum Beispiel aus der Bewertung, weil nicht jede Stadt, jeder Kreis so eine Einrichtung hat.“ Die Verweigerung des Oberbürgermeisters, an einer weiteren Studie teilzunehmen, „kann ich voll nachvollziehen“, sagt Haertel. „Man kann nicht alles mit sich machen lassen. Mit beleidigter Leberwurst hat das nichts zu tun.“

Linke-Politikerin: Ein neoliberales Disziplinierungsmittel

Bettina Angela Peipe, Stadtverordnete, Die Linke.
Bettina Angela Peipe, Stadtverordnete, Die Linke. © Martin Möller

„Diese ganzen Prognosen sind Quatsch. Die brauche ich nicht“, sagt Martin Gatzemeier. Der Linke-Stadtverordnete sieht es wie Fraktionskollegin Bettina Peipe. Für sie sind „solche Rankings neoliberales Disziplinierungsmittel“, mit denen Lokalpolitiker letztlich unter Zugzwang gesetzt würden. Peipe: „Wir haben Parameter in der Stadt.“ Mit und an denen solle gearbeitet werden. „Ich glaube nicht, dass uns dabei solche Prognosen helfen.“