Ruhrgebiet. . Immer mehr Bomben aus dem Weltkrieg müssen entschärft werden. Die gute Bau-Konjunktur ist schuld – und verursacht immer wieder Verkehrschaos.

Der Kampfmittelräumdienst Westfalen bittet um Verständnis: Neun Wochen länger als üblich dauere die Bearbeitung von Anträgen derzeit – so viele Bomben müssen entschärft werden. Auch im Rheinland ist die Zunahme an Evakuierungen, Straßensperrungen, Bahnumleitungen nicht nur gefühlt. Es müssen tatsächlich mehr Weltkriegsblindgänger entschärft werden. In den vergangenen vier Jahren hat sich die Zahl der Bombenfunde in NRW bereits fast verdreifacht auf 2811 im Jahr 2018, ein erneuter Anstieg für dieses Jahr ist absehbar. Hauptgrund für den Entschärfungs-Boom: Das Baugewerbe brummt.

Am heftigsten betroffen ist Essen. Gab es hier im Jahr 2016 nur acht Bombenfunde und 2017 neun, waren es in diesem noch jungen Jahr bereits zehn Blindgänger. Zuletzt wurden am Dienstag (7. Mai) im Essener Ostviertel gleich zwei Fünf-Zentner-Weltkriegsbomben mit Aufschlagzünder entdeckt. Natürlich auf einer Baustelle, bei Sondierungsarbeiten.

„Es wird tatsächlich viel mehr gebaut“, sagt Stadtsprecherin Silke Lenz, „vor allem aber im Herzen der früheren Kruppschen Fabrik.“ Die riesige Waffenschmiede war im Weltkrieg ein Hauptziel der Alliierten. Dort, im Krupp-Gürtel nördlich der City, entsteht gerade mit „Essen 51“ ein neuer Stadtteil, die Bomben Nummer sieben und acht sind hier im April gefunden worden.

Manche Bombe erweist sich als hartnäckig

Gefährliche Langzeitzünder erschweren Bombenentschärfung

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    Die eigentliche Entschärfung dauert meist nur wenige Minuten, 21 waren es am Montag in Oberhausen. Einige Tage zuvor widersetzte sich eine 250-Kilo-Bombe in Bochum allerdings hartnäckig. Sechs Meter tief lag sie in der Erde. Um an sie heranzukommen, musste das Grundwasser abgepumpt, um sie kontrolliert zu sprengen, der Luftraum gesperrt werden.

    Doch jeder dritte Bombenfund ist zufällig und die Sprengmeister müssen ad hoc reagieren, wenn zum Beispiel ein Bagger auf einen Blindgänger trifft. Am Ostersonntag war es allerdings ein Hobbygärtner, der in Essen (!) einen metallischen Gegenstand entdeckte. Die Bombe hatte zum Glück ihren Zünder verloren und konnte einfach abtransportiert werden, dem Stadtteil Frohnhausen blieb die dritte Evakuierung binnen weniger Tage erspart.

    Entschärfungen müssen ad hoc stattfinden

    So routiniert die Städte, der Kampfmittelräumdienst und die Revierbürger auch sind bei Entschärfungen und den damit verbundenen Einschränkungen, Sperrungen und Umleitungen: Es gibt zwei Faktoren, die die Lage verschärfen.

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      Die Entschärfungen müssen schneller stattfinden als früher. 2014 hatte zunächst die Bezirksregierung Düsseldorf verfügt, dass Bomben immer so schnell wie möglich zu entschärfen seien, selbst wenn sie nicht bewegt wurden und keinen unberechenbaren Säurezünder haben – eine Regelung, die viel Kritik auf sich gezogen hatte, aber heute im ganzen Land gilt. Innerhalb weniger Stunden eine Entschärfung zu stemmen, „bedeutet personell einen ungeheuren Kraftakt“, sagt Silke Lenz. Zum Beispiel werden „auch Ehrenamtliche bei den Hilfsorganisationen aus ihrem Tun herausgerissen“. Und nicht selten fallen heute Entschärfungen, die vor dem Erlass anders geplant worden wären, in Hauptverkehrszeiten. Risikominimierung sorgt für Verkehrschaos.

      Evakuierung trifft auf Ignoranz

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      Zudem stören immer wieder ignorante Menschen die Arbeit. So war es Mitte April in Bottrop, als ein Mann in der Welheimer Mark sich zwei Stunden lang vehement weigerte, seine Wohnung zu verlassen. So war es kurz zuvor in Fronhausen, als drei Anwohner einfach wieder in den Evakuierungsbereich liefen. Einer hatte gar versucht, mit seinem Auto die Sperrung zu durchdringen. „Da werden unsere Mitarbeiter in Gefahr gebracht“, erklärte Ordnungsdezernent Christian Kromberg. Da die Stadt eine Zunahme solcher Fälle verzeichnet, hatte sie das Strafmaß für solche Vergehen auf die Höchststrafe von 1000 Euro angehoben. Strafen von mehreren hundert Euro will Kromberg nun auch verhängen.

      Die Helfer bekommen die kuriosesten Begründungen für solche Weigerungen zu hören, berichtet Essens Stadtsprecherin Silke Lenz. „Ich würde jetzt mal gerne das Fußballspiel zu Ende gucken“ oder „Ich habe hier schon gelebt, als die Bomben gefallen sind“. Ignorante Haltungen fänden sich in allen Altersgruppen und Bevölkerungsschichten. Es handelt sich weiterhin um Einzelfälle, aber jeder hat Folgen.

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      Autofahrer stehen im Stau, Bahnreisende am Gleis, hunderte andere Evakuierte müssen warten, ehrenamtliche Helfer werden länger von ihrer Arbeit fortgehalten und nicht zuletzt, betont Lenz, seien Verzögerungen auch ein Sicherheitsrisiko für die Entschärfung selbst. „Die Sprengmeister haben einen langen Tag, es kann Müdigkeitserscheinungen geben.“ Je kälter und dunkler es wird, desto heikler wird die Entschärfung. „Man muss sich klarmachen, dass sie mit ruhiger Hand arbeiten.“

      >> Info: Blindgänger für über tausend Jahre im Erdreich

      Etwa 675.000 Tonnen Bomben wurden zwischen 1939 und 1945 über NRW abgeworfen, fast ein Viertel davon auf das Ruhrgebiet. Das entspricht nach Schätzungen etwa 800.000 Fliegerbomben. Experten gehen davon aus, dass fünf bis 20 Prozent davon „blind“ gegangen sind.

      Auf das Essener Stadtgebiet fielen fast 40.000 Tonnen, auf Duisburg etwa 30.000 Tonnen, für Dortmund werden 20.000 Tonnen geschätzt und für Bochum 10.000 Tonnen.

      Entsprechend werden allein in Essen noch Zigtausende Blindgänger vermutet. Bei dem aktuellen Tempo der Entschärfungen liegt also noch Arbeit für über Tausend Jahre im Erdreich.

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        2018 kostete die reine Kampfmittelbeseitigung (ohne Kosten für Evakuierung, Feuerwehr etc.) 22,3 Millionen Euro. Etwa ein Viertel trägt der Bund, der Rest das Land. In diesem Jahr gab es fast 12.000 Einsätze vor Ort. Zufallsfunde machen etwa sieben Prozent der Bombenfunde aus, aber fast ein Fünftel der Einsätze. Die Zahl der Anfragen für Baustellen hat sich in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdreifacht von 10.000 auf 34.000.

        Der Kampfmittelräumdienst bei den Bezirksregierungen Düsseldorf und Arnsberg prüft die Baustellen anhand von Luftbildern der Alliierten, die diese direkt nach den Bombardierungen geschossen haben. Ist auf diesen alten Fotos ein großer Krater zu sehen, bedeutet dies: Bombe explodiert. Ein kleiner Krater bildet einen Verdachtsmoment, der eine Sondierung vor Ort nach sich zieht.