Essen. . Norbert Lammert (CDU) erneuert seine Kritik und sagt: „Das Ruhrgebiet will nicht erwachsen werden.“ Streit über Zusammenarbeit im Revier geht weiter.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat seine Kritik am „fehlenden Willen zur Zusammenarbeit im Ruhrgebiet“ erneuert. „Das Revier will nicht erwachsen werden. Es bleibt im Zustand der Pubertät“, sagte Lammert am Freitag in Essen bei einer Podiumsdiskussion.

Sogar der Europäischen Union mit ihren 28 Mitgliedsstaaten sei es gelungen, die Zentrale in Brüssel mit wichtigen Kompetenzen auszustatten. Im Ruhrgebiet mit seinen elf kreisfreien Städten und vier Landkreisen sei der Fortschritt hingegen „jämmerlich“.

Auch interessant

Lammert und der neue Oberhausener Oberbürgermeister Daniel Schranz (CDU) ärgern sich besonders über den Trend zu immer höheren Grund- und Gewerbesteuern sowie über den Zustand des Nahverkehrs. Schranz: „Die Nahverkehrsplanung für das Ruhrgebiet übernehmen wieder die drei Bezirksregierungen. Warum schaffen wir es nicht, das selbst zu machen?“

Die Direktorin des Regionalverbandes Ruhr, Karola Geiß-Netthöfel (SPD), sieht die Revierstädte hingegen „auf ei­nem guten Weg“ in Richtung Zusammenarbeit. In der Kultur, beim Tourismus, bei der Wirtschaftsförderung und in der Wissenschaft gebe es heute schon beachtliche Kooperationen. Das Hauptproblem der Region seien die vielen Langzeitarbeitslosen und die Verschuldung der Städte.

Vergebliche Hoffnung auf Entschuldung durch den Bund?

Dass es seine „Lebenslügen“ pflege, hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) in der WAZ dem Ruhrgebiet vorgeworfen. Die Diskussion darüber schlug hohe Wellen, und am Freitag legte der Bochumer noch eine Schippe drauf. Das Revier bleibe „im Zustand der Pubertät“, weil es die vielen Chancen, sich selbst durch Zusammenarbeit nach vorne zu bringen, nicht nutze, sagte er bei einer öffentlichen Diskussion im Essener Chorforum, zu der die CDU-Fraktion im Ruhrparlament eingeladen hatte.

Auch interessant

Seit 30 Jahren arbeite sich die Region an zwei Fragen ab, sagte Lammert: Woher bekommen wir zusätzliches Geld? Und wie bekommen wir ein besseres Image? Fragen, die aus Sicht des CDU-Politikers umsonst gestellt werden. Image-Kampagnen könnten den Ruf des Reviers nicht verbessern. Und die Hoffnung auf zusätzliches Geld zur Entschuldung könne sich das Ruhrgebiet wohl abschminken.

Dabei hält zum Beispiel der neue Oberbürgermeister von Oberhausen, Daniel Schranz, ebenfalls CDU, eine Art Schuldenschnitt für unumgänglich. „Oberhausen hat 1,9 Milliarden Euro Altschulden bei 210 000 Einwohnern. Ohne Hilfe von Land und Bund bräuchten wir Jahrhunderte, um das abzutragen“, sagte er. Lammerts Konter: „Die Verschuldung des Bundes ist höher als die aller Städte zusammen. Es wäre wieder eine Lebenslüge, von Berlin Entschuldung zu erwarten.“

„Wäre das Ruhrgebiet eine Firma, dann wäre sie pleite“

Prägnant waren auch die übrigen Diskussionsbeiträge zur Revier-Zukunft. Der Essener Immobilien-Unternehmer Eckhard Brockhoff sagte zum Beispiel: „Wäre das Ruhrgebiet eine Firma, dann wäre sie pleite. Man braucht Profis, um es zu sanieren. Ich vermisse hier aber qualifizierte Leute in der Politik.“

Auch interessant

Elmar Weiler, früherer Rektor der Ruhr-Universität Bochum: „Wissenschaft und Wirtschaft müssen noch viel besser und enger zusammenarbeiten. Wir haben bestens qualifizierte junge Menschen hier. Die Universitäten an der Ruhr haben kein Image-Problem. Wir können von hier aus jeden Top-Forscher rekrutieren, aus Harvard und aus aller Welt.

Karola Geiß-Netthöfel (SPD), Direktorin des Regionalverbands Ruhr: „Wir sind nicht mit Berlin, Hamburg oder München vergleichbar. Die Zusammenarbeit zwischen den 53 Städten im Revier funktioniert besser als früher. Haupt-Probleme sind die Langzeitarbeitslosigkeit, die hohen Sozialkosten, die Verschuldung. Wir können noch so viele Wirtschaftsflächen entwickeln, diese Probleme lösen wir damit nicht. Wichtig wäre es, mehr in die Bildung zu investieren.“

WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock, der die Diskussion moderierte, kündigte an, dass diese Zeitung die Wirkung der Lammert-Kritik weiter begleiten werde. Die Teilnehmer waren sich einig: Besondere Aufmerksamkeit verdiene die Entwicklung des Nahverkehrs in der Region sowie das Zusammenführen von Unternehmen und Hochschulen.