Ruhrgebiet. . Die Bewertung von Hotels und Gastronomie im Internet kann Umsatz bringen oder Existenzen vernichten. Das führt zur Frage: Wie zuverlässig ist sie?

„Oh Gott, wo bin ich hier nur gelandet?“ fragt Stefanie S.. „Nie wieder“ hat Drake gleich mit sechs Ausrufezeichen versehen, und Frank R. warnt: „Meiden Sie dieses Haus“. Dieses Haus, das ist ein in die Jahre gekommenes Drei-Sterne-Hotel in Essen-Rüttenscheid und dümpelt beim Bewertungsportal „Tripadvisor“ in der Essener Hotelliste auf Platz 68 herum. 69 und 70 sind für 68 kein Trost: Das sind zwei unbenotete Unterkünfte. Einem Café am Westfalenpark geht es als Schlusslicht der Dortmunder Restaurant-Hitliste auf Platz 365 nicht besser: „Widerlich“ fasst die meisten Kommentare zusammen. Urteile mit existenzbedrohender Qualität: Umfragen zeigen, dass nahezu jeder vorab liest, worauf er sich in Hotels oder Restaurants einlässt.

Aber wie verlässlich ist das Urteil von Übernachtern und Essern?

Restauranttester Christian Rach schimpfte unlängst publikumswirksam im Fernsehen über „Idioten, die mit dem Knüppel draufhauen“, als er vernichtende Kritiken am Essener Restaurant „Löwen“ persönlich unter die Lupe nahm. „Was da leichtfertig hingeschrieben wird, steht ewig im Netz und kann Leute ruinieren“, polterte der Profi. Und Ulrich Reinhardt, wissenschaftlicher Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen, monierte kürzlich im „Tagesspiegel“, dass Nutzer vor allem aus dem Bauch heraus urteilen. „Das Essen in einem Restaurant kann sehr gut sein, die Atmosphäre gemütlich, die Stimmung toll. Wenn der Kellner aber beim Bezahlen unfreundlich war“, so Reinhardt, „folgt die schlechte Bewertung, weil der Gast sich Luft machen will.“

Wem soll man glauben, außer dem Kunden?

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Von Oliver Kauer-Berk und Julia Gresförder

Florian Bauhuber, Geschäftsführer des Tourismus-Zukunft-Instituts räumt im Gespräch mit der WAZ zwar ein, dass gegen schlechte Bewertungen „kein Kraut gewachsen ist“ und man sich als Gastronom oder Hotelier nur gegen faktisch falsche Behauptungen wehren könne. Er hält die Bewertungsportale aber für einen Gewinn und die Texter für fähig, zu differenzieren. „Das ist eine wertvolle Einschätzung von Einzelpersonen ohne Alternative. Wem soll man denn sonst glauben -- dem Hotelier, der sagt, dass alles schön ist bei ihm?“ Bauhuber glaubt zudem, dass die Leser reifer geworden seien: „Mittlerweile wissen die genau, wer schreibt, können es einschätzen und ordnen es ein.“ Über die Macht der Portale gebe es keinen Zweifel: „Die Kundensicht ist definitiv reiseentscheidend.“

Unverschämte Gäste: Upgrade oder schlechte Noten

Dass der Übernachtungsgast sich dessen bewusst ist, bekommen Anbieter auch zu spüren. „Es gibt Kunden, die verlangen ein hochwertigeres Zimmer ohne Aufpreis und drohen ansonsten mit einer schlechten Bewertung“, berichtet ein Düsseldorfer Hotelier, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte: „Es ist eine Plage geworden.“ Auch Wirte können nie sicher sein, dass ihnen nicht der Konkurrent eins auswischen will und sich die Anonymität im Netz zunutze macht.

Tripadvisor, größtes Reiseportal der Welt und mittlerweile 14 Milliarden Dollar wert, zählt rund 260 Millionen Besucher im Monat, die auf mehr als 225 Millionen Erfahrungsberichte samt Fotos zugreifen können. Restaurant-Kritik.de, Deutschlands größtes Gastronomieportal, listet immerhin 300 000 Bewertungen zu 10 000 Lokalen auf. „Yelp“ und „Qype“ heißen andere, gut besuchte Wegweiser durchs deutsche Angebot. Dass für viele Nutzer die gebündelten Lobeshymnen oder Meckerattacken mittlerweile wichtiger sind als beispielsweise die offizielle Sterne-Vergabe des Hotel- und Gaststättenverbandes DeHoGa, überrascht Bauhuber nicht: „Bei den Sternen geht es um die grundsätzliche Einschätzung der Standards, in den Portalen findet die qualitative Einschätzung statt.“ Und dass ein top geführtes ZweiSterne-Haus mehr Charme versprühen kann, als eine heruntergewirtschaftete Drei-Sterne-Herberge, kann jeder Reisende bestätigen.

Branche muss lernen, mit den Noten umzugehen

Beim DeHoGa hat man längst seinen Frieden mit den Portalen gemacht, die bei Hoteliers und Wirten oft genau so beliebt sind wie Mäuse in der Küche. „Es ist ja müßig zu lamentieren“, sagt NRW-Sprecher Thorsten Hellwig, „man muss lernen, damit umzugehen“. Die Kombination aus objektiven Kriterien und subjektiven Eindrücken sei aber „eine ganz gute Mischung“. 30, 40 Bewertungen sollten es allerdings schon sein, damit aus addierter Subjektivität etwas halbwegs Objektives werden kann.

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Kritik sei per se unangenehm, sagt Hellwig, doch er empfehle den Kritisierten, die Chance darin zu sehen. „Es sind Informationsgeschenke, die man filtern muss, und dann kann man sie nutzen, um Dinge zu verbessern.“ Es sei in Deutschland ja eher unüblich, im Lokal zu sagen, was einem nicht gefallen habe. Hellwig kennt auch die Nachteile der Bewerterei: „Schlimm ist es, wenn eine Negativspirale im Netz entsteht und Menschen in ein Restaurant gehen und sich dann in etwas Negativem bestätigt fühlen, was sie sonst vorher nicht gedacht hätten.“

Gute Bewertungen im Verkauf

Wo Macht ist, lauert Missbrauch, auch wenn die Portale mit Filtern in ihrer Software versuchen, Benotungsscharlatane auszusortieren und der Schmu an Gewicht verliert, sobald hunderte Urteile gesammelt sind. Nicht alle Fälschungen fallen freilich auf. Stiftung Warentest lancierte vor einer Weile fingierte Meinungen, ein kleiner Teil immerhin schaffte es vorbei an den Prüfern.

Restaurantbesitzer berichten von Angeboten, Bewertungen zu kaufen. „Tripadvisorsuccess“ aus New York bot laut „Süddeutscher Zeitung“ auf der Internetseite „sechs garantiert positive Bewertungen im Monat“ für 749 Dollar. Dem Hotel in Essen würde das nicht mehr helfen. Die Seite wurde stillgelegt.