Düsseldorf. Asiatische Länder kommen bis dato deutlich besser durch die Corona-Pandemie als wir. Das kann auch an Mentalitäts-Unterschieden liegen.

In Europa steht Deutschland in der Corona-Pandemie vergleichsweise gut da. Die Zahl der Toten in Verbindung mit Covid-19 etwa ist bei uns dreieinhalbmal niedriger als in Großbritannien. Doch der Blick nach Asien zeigt: Deutschland ist alles andere als ein Pandemie-Vorbild. Kann das vielleicht auch daran liegen, dass es Mentalitätsunterschiede bei den Menschen gibt?

Beispiel Vietnam: Das Land hat etwa 12 Millionen mehr Einwohner als Deutschland, aber in Sachen Corona zählt man dort laut Johns Hopkins Universität seit Pandemie-Beginn 1351 Infizierte und 35 Todesfälle. Alleine in NRW sind es inzwischen mehr als 270.000 bestätigte Infektionen und über 3700 Tote.

Das öffentliche Leben laufe in Vietnam weitgehend normal, berichtete jüngst die „Zeit“-Journalistin Vanessa Vu, die familiäre Wurzeln in Südostasien hat. „Viele asiatische Länder (haben) einen konsequenten Maßnahmenkatalog umgesetzt und nicht wie hier nur häppchenweise neue Regeln vorgetragen“, schreibt Vu. Und die Menschen dort? Sie „reißen sich zusammen und tragen ihren Teil dazu bei, die Gemeinschaft gesund und die Pandemie kurz zu halten“. (externer Link)

Corona: Wer gegen Regeln verstößt, wird von der Gruppe gemaßregelt

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Blick nach Japan: „Beim Mund-Nase-Schutz lässt sich der Unterschied zwischen den Kulturen sehr gut zeigen“, sagt Prof. Harald Conrad, Geschäftsführer des Instituts Modernes Japan an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, der zwölf Jahre in Japan gelebt hat: „Dort trägt man auch so häufiger Masken, um andere zu schützen. In Deutschland stand zumindest am Anfang der Epidemie im Vordergrund, ob man sich damit selber schützen kann.“

Japan ist eine „Gruppen-Gesellschaft“, erklärt Conrad: „Man ist in seinem eigenen Verhalten sehr stark der Gruppe verpflichtet“. Zwar sei das Vertrauen in die Regierung in Japan laut Conrad „auch nicht besonders hoch, aber die Menschen haben bisher die von der Politik getroffenen Entscheidungen akzeptiert und fügen sich dem, was dort als notwendig erachtet wird.“ Auch ist das Distanzverhalten in Japan anders: Händeschütteln ist nicht üblich und man hält gewöhnlich mindestens zwei Armlängen Abstand zueinander, bei uns nur eine.

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Auch Japan kam bis dato auffallend gut durch die Pandemie. Allerdings sind dort die Infektionszahlen zuletzt deutlich nach oben geschnellt, berichtet die Zeitung „Die Welt“. (externer Link) Laut der Johns Hopkins Universität, die weltweit alle Zahlen zu Corona sammelt, wurden in Japan bis dato aber erst gut 151.000 Infizierte registriert. In Deutschland sind es seit Pandemie-Beginn über 1,1 Millionen, während Japan über 40 Millionen mehr Einwohner hat.

„Wir sind es gewohnt, die eigenen Ziel über die der Gruppe zu stellen“

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Was ist in Deutschland anders? „Wir leben in einer individualistisch geprägten Kultur“, beschreibt Prof. Petia Genkova, Psychologin aus Essen, die an der Hochschule Osnabrück Wirtschafts-Psychologie lehrt. „In der individualistischen Kultur sind wir es gewohnt, die eigenen Ziele über die der Gruppe zu stellen. Die starke Bedeutung der Selbstentfaltung hat auch etwas mit Egoismus zu tun. Es ist ein Zeichen einer individualistischen Kultur, dass man seine Freiräume sucht, dass man sich nicht gerne an Normen hält“. Und im Zweifel sind die anderen schuld...

An der Reaktion auf Regeln zeige der Vergleich der Kulturen einen klaren Unterschied: „Individuelle Meinungen zu äußern und Kritik zu üben (Textlink) ist bei uns viel öfter verbreitet als in asiatischen Kulturen, sagt Genkova. Dies gilt ebenfalls, wenn wir die Regeln hinterfragen“. Coronaschutzmaßnahmen, die von der Politik zur Bewältigung der Pandemie aufgestellt werden, können deshalb in vielen Fällen einen psychologischen Effekt zur Folge habe, den man ‚Reaktanz‘ nennt“, erklärt Genkova: „Regeln werden automatisch abgelehnt, weil wir sie als Einschränkung empfinden.“

Wie man durch die Krise kommt? – „Pass Dich an“

Wenn sogenannte Querdenker und andere bei uns den Sinn der Maßnahmen hinterfragen, sich nicht anpassen wollen und sich etwa der Maskenpflicht hartnäckig widersetzen, ist das laut Genkova Ausdruck von Stress: „Die Pandemie ist für uns alle eine bedrohliche Situation, die man auf Dauer nicht aushalten kann“, sagt sie.

Es gibt drei Bewältigungs-Strategien bei Stress, beschreibt die Psychologin:

  • Flucht – man verlässt die Situation. „Doch vor Corona kann letztlich niemand flüchten, es ist eine weltweite Pandemie“, meint Genkova.
  • Bewältigungsstrategie – „Man versucht, die Regeln zu ändern: Etwa indem man die Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen nicht akzeptiert, weil man seine bisherige Lebensweise aufrecht halten möchte.“
  • Verhalten anpassen – aus Sicht von Genkova wäre dies letztlich die zu empfehlende Strategie: „Die psychologische Regel wäre: Pass Dich an, wenn Du die Situation selbst nicht verändern kannst.“

Leidensdruck ist entscheidend, sein Verhalten zu ändern

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Genkova glaubt nicht, dass sich die Corona-Pandemie nachhaltig auf unser kulturelles Verhalten auswirkt: „Wir werden dadurch nicht zu einer kollektivistischen Gesellschaft“, meint sie - zumal wir historisch keine guten Erfahrungen damit verbinden, wenn man die Nazi-Zeit als Beispiel nimmt.

„Menschen ändern sich nicht, außer sie haben einen Leidensdruck, durch den man sich gezwungen sieht, seine Komfortzone zu verlassen“, sagt Genkova. Leidensdruck könne entstehen, indem man bei einem Regelverstoß erwischt wird und Strafe zahlen muss, wenn ein nahe stehender Mensch schwer an Covid-19 erkrankt „oder man sich auf andere Weise plötzlich direkt betroffen sieht“.

Doch auch der Vergleich zweier sogenannter individualistischer Kulturen offenbart unterschiedliche Mentalitäten: Im Vergleich etwa mit den USA ist die sogenannte Unsicherheitsvermeidung in Deutschland sehr ausgeprägt – in Japan sogar noch höher, haben Forscher herausgefunden (externer Link). „Man versucht Risiken im Voraus zu minimieren, sich ‘zu versichern’, dass nichts passiert“, erklärt Genkova. Mit Blick auf die Corona-Pandemie heißt das: In Deutschland lassen sich viel mehr Menschen aus Sorge etwa vor Ansteckung dazu anleiten, Maske zu tragen und Kontakte einzuschränken, als etwa in den USA.