Bochum. . Das Landgericht Bochum hat entschieden: Die Bahn muss auch an Altstrecken für Schallschutzfenster zahlen. Doch bei der Lärmsanierung setzt die Bahn auf den Faktor Zeit. Rund 100 Millionen Euro stehen jährlich für den Schallschutz zur Verfügung - das reicht nicht weit.
Neue Töne im oft lautstark geführten Zwist zwischen Bahnanrainern und der Deutschen Bahn: Das Landgericht Bochum hat jetzt erstmals geurteilt, dass auch Bewohner an Altstrecken ein Recht auf so genannten „passiven Lärmschutz“ haben. Das bedeutet: Die Bahn muss Anwohnern Schallschutzfenster bezahlen, wenn der Lärmpegel bestimmte Grenzwerte überschreitet.
Geklagt hatten acht Anwohner einer Güterzugstrecke zwischen Oberhausen-Osterfeld und Hamm, das Urteil des Landgerichts Bochum (AZ: I-6O 443/09) differenziert allerdings: In drei Fällen entschied das Gericht im Sinne der Kläger, in zwei weiteren Fällen gab es einen Teilerfolg, weil zumindest nachts der Grenzwert durch die Züge überschritten wird. Und drei weitere Kläger in dem Verfahren gingen leer aus. Sie, so der Klägeranwalt Matthias Möller-Meinecke, hatten keinen Rechtsschutz für eine Klage auf passiven Lärmschutz. Der Forderung nach aktivem Lärmschutz durch Herabsetzung der Geschwindigkeit der Züge auf 30 km/h kam das Bochumer Gericht jedoch nicht nach.
Die beklagte DB Netz AG will sich zu dem Urteil nicht äußern, ehe nicht die schriftliche Urteilsbegründung vorliegt. Es darf jedoch als sicher gelten, dass das Unternehmen den Instanzenzug bemüht und in Berufung vor dem Oberlandesgericht Hamm geht.
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Denn die Auswirkungen des Urteils für die Bahn wären gravierend. Würde es rechtskräftig, dürften entlang viel befahrener Schienenstrecken zahlreiche Anwohner ebenfalls Schallschutz für ihre vier Wände fordern. Rechtsanwalt Möller-Meinecke, der nach eigenen Angaben zahlreiche Verfahren gegen die DB Netz führt – mit beträchtlichen Erfolgen –, sieht die Bahn als Aktiengesellschaft in der Pflicht, Rückstellungen zu bilden für den Fall, dass es zu einer entsprechenden Klagewelle kommt.
Gerade entlang des deutschen Teilstücks der Betuwe-Linie zwischen der Landesgrenze bei Emmerich-Elten und Oberhausen lebt eine mindestens fünfstellige Zahl von Anwohnern in dem Lärmkorridor von 300 Metern links und rechts der Trasse, wie es bei der Hamm-Osterfelder-Bahn ist. Nach Einschätzung des Anwalts wäre der Kostenaufwand an der Betuwe-Linie so beträchtlich, dass der Plan einer Neubaustrecke entlang der Autobahn A3 finanziell günstiger wäre als der Ausbau der Altstrecke durch die Stadtkerne von Emmerich, Wesel, Voerde, Dinslaken und Oberhausen
Mit dem Thema Lärm liegen der DB viele Menschen in den Ohren
Mit dem Thema liegen der DB Netz AG viele Menschen in den Ohren: Der zunehmende Güterverkehr auf der Bahn, der vor allem nachts abgewickelt wird, bringt die Menschen um den Schlaf. Eine Bahnsprecherin der DB Netz beteuerte, man sei bei der Lärmsanierung an bestehende Gesetze gebunden – und meint damit die Haushaltsgesetze. Denn bislang fließen jährlich rund 100 Millionen Euro in den Topf für Lärmsanierungen entlang der Strecken.
Was meist mit dem Bau wenig attraktiver Lärmschutzwände gleichzusetzen ist. Immerhin: Demnächst sollen die Trassenpreise der DB Netz AG gestaffelt werden: Laute Güterzüge zahlen dann mehr, das Geld fließt in weitere Lärmschutzprojekte, so die DB Netz AG
Schritt für Schritt tut die Bahn also etwas – und spielt dabei vor allem auf Zeit. Zum einen bemüht sie den Instanzenzug. Zum anderen kommt ihr dabei entgegen, dass die Gerichte oft lang brauchen. Der jetzt abgeschlossene Prozess in Bochum dauerte schon in erster Instanz rund fünf Jahre. Daran sind nicht unbedingt die Gerichte Schuld. Klägeranwalt Matthias Möller-Meinecke: „Es ist schwer, geeignete Gutachter zu finden.“
Denn viele Lärmschutzexperten haben schon in Diensten der Bahn gestanden, kommen als unabhängige Sachverständige nicht infrage. Wer dann noch übrig ist, winkt häufig wegen Überlastung ab. Denn wird ein Gutachten nicht zeitgerecht geliefert, droht ein Ordnungsgeld. Auch in dem jetzt in erster Instanz abgeschlossenen Prozess in Bochum wurde der Sachverständige gewechselt.
Bahnlärm wird nicht gemessen, sondern berechnet. Dafür muss der Gutachter wissen, wie viele Züge in welcher Länge mit welchem Tempo über die Gleise rumpeln. „Diese Daten rückt die Bahn nur sehr ungern raus“, murrt Möller-Meinecke. Die Bahn bestreitet dies: Diese Daten würden selbstverständlich zur Verfügung gestellt.
Abschaffung des Schienenbonus kommt für die Betuwe zu spät
Die Sprecherin der DB Netz AG betont: Ab 2015 werde der Fördertopf für Lärmsanierungen um rund 20 Millionen Euro erhöht. Mit deutlich schnelleren Sanierungen ist nicht unbedingt zu rechnen: Für viele Bauarbeiten entlang der Strecke braucht es ein eigenes Planfeststellungsverfahren. Und da die Strecken für den Zeitraum der Bauarbeiten an den Lärmschutzwänden für den Zugverkehr gesperrt werden müssen, ist auch für die Fahrplaner der Bahn ein deutlicher Vorlauf erforderlich.
Besonders ärgerlich für die Anwohner entlang der sogenannten Betuwe-Linie von der Landesgrenze bei Emmerich-Elten bis Oberhausen: Dort wird jetzt zwar ein drittes Gleis gebaut, und damit handelt es sich auch für die Bahn um eine Neu- und Ausbaustrecke, bei der dann auch der Lärmschutz miteingerechnet werden muss. Der Planungsbeginn für diese Strecke ist jedoch bereits erfolgt – und damit profitiert die Bahn entlang dieser Strecke noch vom sogenannten Schienenbonus: Züge dürfen danach rund 5 db(A) lauter sein als der Straßenverkehr, Flughäfen oder Ähnliches.
Dieser „Schienenbonus“, den die Bahn früher sogar mit 10db(A) veranschlagt hatte, wird zum 1. Januar 2015 abgeschafft – gilt jedoch dann erst für alle Projekte, die neu beantragt werden. Der Zug für eine leisere Betuwelinie ist somit schon abgefahren.