Agia Thekla. . Reporter Matthias Maruhn besuchte zwei Frauen, Jahrgang 1958, die der Wirtschaftskrise auf der Mittelmeerinsel Zypern die Stirn bieten. Sie fangen nochmal ganz von vorne an.

Der Wind weht weich und warm von Afrika über den Strand, das Mittelmeer murmelt das Lied von der Sorglosigkeit, und die Sonne wird durch ein Blätterdach angenehm gedimmt. Das Leben ist in so einem Moment viel zu leicht für schwere Themen, aber Andreas Limbourides, gerade 50 geworden, macht sich gewaltige Sorgen. Nicht nur um seine paradiesgleiche Ferienanlage, sondern mehr noch um das ganze Land, um Zypern. Stunden hat er über die Probleme des Lebens in der Krise gesprochen, über Banken-Pleiten und Politiker-Possen, jetzt hat er eine bessere Idee: „Lass uns losfahren, ich will den Zeitungslesern erklären, warum wir die Krise meistern werden, weil die Zyprer nämlich fleißige Menschen sind.“

Querstrich im Auftragsbuch

Nicht weit im nächsten Dorf leben Katina und Marinos Pétrou, sie Mitte, er Ende 50, zwei Kinder, vier Enkel. Marinos hat ein mittelständisches Bauunternehmen gehabt, 15 Angestellte, viele Aufträge, dann brach mit der Krise der Markt weg. Jetzt hat er noch ein kleines Haus in der Nachbarschaft und danach nur einen Querstrich im Auftragsbuch. Sein Bautrupp ist auf zwei geschrumpft. Auf seinen Bruder und auf seine Frau, auf Katina, die jetzt jeden Tag acht Stunden auf Gerüsten turnt, Speis anrührt, Steine schleppt und mauert.

Über die Strapazen will sie gar nicht reden, nein, sie fühle sich noch stark genug und Arbeit sei sie eh gewohnt, schon als Achtjährige musste sie nach der Schule Körbe flechten, der Mutter helfen, da der Vater ein Lump war. Mit 13 war Schluss mit Schule, fortan hat sie auf den Kartoffelfeldern geackert, sich mit 15 verlobt, mit 19 Marinos geheiratet, gemeinsam eine Familie gegründet und den Betrieb von Null aufgebaut.

Vom Leben betrogen

Jetzt sitzt ihr Mann, ein kräftiger Mann mit Schwielen an den Händen, am Tisch und schweigt. Er lächelt, doch seine Augen wandern immer wieder in eine dunkle Ferne. Katina muss das Reden übernehmen: „Wir hatten beide vor wenigen Jahren noch das Gefühl, es geschafft zu haben. Und dann ist da plötzlich nichts mehr. Du wachst morgens auf und dein Leben hat keine Zukunft mehr. Wenn du mit Mitte 50 wieder ganz von vorne anfangen sollst, fühlt du dich schon ein wenig vom Leben betrogen.“

Vor allem, wenn’s um die Kindeskinder geht. „Ich habe immer für alle gekocht. Die Familie kam zusammen, wir haben gegessen. Jetzt habe ich weder Zeit noch Geld. Oma arbeitet, Oma kocht nicht mehr.“ Wie das im Ländlichen so üblich ist, leidet die Familie nicht wirklich Hunger. Da sind eigene Hühner, da ist ein großer Gemüsegarten, Brot wird selbst gebacken. „Im Supermarkt hole ich nur noch Milch und Zucker. Alles andere mache ich selbst.“ Nach Feierabend.

Sammelkisten im „Lidl“-Markt

Andreas fährt weiter durchs Land. Wir kommen an einem Lidl-Supermarkt vorbei. Am Eingang stehen große Kisten. Hier werden Lebensmittel-Spenden für die noch Ärmeren gesammelt. An den Schulen werden privat Frühstückspakete verteilt. Ein Sandwich, eine Orange für jeden. Ältere Schüler verzichten am Geburtstag auf Geschenke, bitten um Spenden für diesen Zweck. Zypern hilft sich selbst.

Zurück ans Meer, auf einer Landzunge steht das „Dimitris“, ein Fischrestaurant direkt am Wasser. Mirulla Masia ist die Wirtin und ebenfalls Jahrgang 58. „Ich war 17 und mein Mann Christos 21, als wir uns trafen. Wir haben hier mit einer Plane, einem Gaskocher und Holzkohle angefangen. Schon bald kamen die Leute von weiter her, um bei uns frischen Fisch zu essen, die Touristen folgten nicht lange danach.“ Sieben Tage, jeden Mittag, jeden Abend. „Wir haben für vier gearbeitet. Aber den Job habe ich geliebt. Und jede Nacht bin ich im Meer schwimmen gegangen.“

Sie bauen an, sie bauen um, ein richtiges Restaurant entsteht und sechs Kinder werden geboren, sie wachsen zwischen Töpfen, Tischen und dem Meer auf wie nun die vier Enkel. Alles ist Glück, bis eine Diagnose die Familie zu Boden zwingt: Christos erkrankt an Krebs. Er kämpft, Mirulla pflegt und fleht, aber Christos stirbt, drei Jahre ist das her. Mirulla sagt nur: „Ein guter Mann, ein gutes Herz.“

„Mal einen Tag frei“

20 Monate hat sie das „Dimitris“ damals schließen müssen, dann startet sie wieder durch. Und kriegt eine Breitseite von der Euro-Krise. Die Nachbarn haben kein Geld mehr, auch die Touristen bleiben fort, immer mehr Tische jeden Abend leer. „Ich aber will nicht klagen. Die Rechnungen kann ich derzeit noch bezahlen.“ Einen Wunsch? „Einmal einen Tag frei haben. Und in aller Ruhe schwimmen gehen...“

Wir sitzen wieder am Strand. Andreas grübelt aufs Meer hinaus und sagt dann mehr zu sich: „Ich weiß, dass ich ein Optimist bin. Und wenn ich diese Leute sehe, dann bin ich mir ganz sicher, dass wir es schaffen.“ Er schaut auf, lächelt kurz, nickt zur Bestätigung.