Frankfurt. . Der Bundesbankpräsident ist der wichtigste Währungshüter der Bundesrepublik. Im Interview mit der WAZ Mediengruppe spricht Jens Weidmann über niedrige Zinsen, die Folgen für Sparer und warum Paris seiner Vorbildrolle nicht gerecht wird.

Der Präsident geht gerne zu Fuß. Jedenfalls wenn’s nach oben geht. Jens Weidmann erklimmt die 13 Etagen bis zu seinem Büro in der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbank über die Treppen. Weidmann, Vater zweier Kinder, ist mit 45 Jahren der jüngste Bundesbankpräsident. Über seine Rolle als Hüter der Geldwertstabilität des Euro und als Mitglied im Rat der Europäischen Zentralbank sprachen Ulrich Reitz und Thomas Wels mit dem vormals engsten Wirtschaftsberater der Kanzlerin Angela Merkel.

Drei Milliarden Euro aus dem Rettungspaket für Zypern sind unterwegs. Ist das gut angelegtes Geld?

Weidmann: Die Politik hat entschieden, Zypern zu helfen. Nun kommt es darauf an, dass Zypern die Zeit nutzt, grundlegende Reformen durchzuführen und ein nachhaltiges Geschäftsmodell zu entwickeln, damit die Kredite schließlich auch zurückgezahlt werden können. Die Turbulenzen in Zypern zeigen jedenfalls, dass die Euro-Krise noch nicht zu Ende ist. Ich habe immer gesagt, wir haben es mit einem Marathonlauf zu tun, nicht mit einem Sprint.

Zypern zeigt, dass Banken abgewickelt werden können.

Ja, auch wenn der Prozess verbesserungsfähig ist …

… Sie denken an die Verunsicherung der Sparer …

… hat Zypern gezeigt, dass Banken ohne größere Erschütterungen für die Finanzstabilität abgewickelt werden können, und zwar ohne dass sofort der Steuerzahler einspringen muss. Der Fall Zypern zeigt auch: Wir brauchen mehr haftendes Kapital, und wir müssen einen verlässlichen Abwicklungsmechanismus haben mit einer klaren Haftungsreihenfolge.

Die da wäre?

Wichtig ist letztlich, dass die Investoren die Risiken ihrer Anlageentscheidung tragen und nicht Gewinne mitnehmen, Verluste aber sozialisieren. Zuerst haften die Eigentümer, also die Aktionäre, dann Anleihe-Gläubiger und Groß-Einleger mit ihren Guthaben über 100 000 Euro. Einlagen unter 100 000 Euro müssen besonders geschützt sein. Außerdem sollen die Banken einen eigenen Abwicklungsfonds aufbauen. Der Steuerzahler soll – wenn überhaupt – jedenfalls erst ganz zum Schluss haften. In Deutschland kommt hinzu, dass auch Einlagen über 100 000 Euro unter die Sicherungseinrichtungen der Banken, Sparkassen und Volksbanken fallen.

Die EZB hat jüngst eine Zinssenkung auf ein historisch niedriges Niveau bekanntgegeben. Viele Ökonomen sagen, sie wird nicht zu der bezweckten höheren Kreditvergabe an Unternehmen in den südeuropäischen Krisenländern führen.

Ich habe schon im Vorfeld gesagt, man sollte die Effekte einer Leitzinssenkung derzeit nicht überschätzen. Die eigentlichen Probleme sind fehlendes Vertrauen und umfassender Reformbedarf. Dies kann die Geldpolitik nicht lösen.

Preisbereinigt haben wir nun schon lange Minuszinsen, das kann nicht lange gut gehen.

Wir befinden uns in einer besonderen Lage. Der Konjunkturausblick im Euro-Raum hat sich eingetrübt, der Preisdruck lässt nach. Daher ist die Geldpolitik zu Recht sehr expansiv. Entscheidend ist, dass der Zins zügig normalisiert wird, wenn sich die Lage aufhellt. Der Niedrigzins ist sicherlich keine Dauerlösung.

Dennoch sieht es so aus, als hätte die EZB ihre letzte Patrone im Kampf gegen die Krise verschossen.

Die Geldpolitik ist weiter handlungsfähig. Wir müssen aber zweifelsohne die Risiken negativer Realzinsen im Auge behalten.

Die Teuerung frisst an den Sparguthaben in Deutschland.

Das stimmt. Das spürt jeder, der derzeit etwas Geld zur Seite legen möchte: Der reale Werterhalt von Vermögen ist schwierig geworden. Auch den Lebensversicherern fällt es schwerer, den Garantiezins zu erwirtschaften. Auf der anderen Seite wird der Konsum angeregt, und Unternehmen können jetzt günstiger investieren, was auch in Deutschland die Konjunktur stützt. Die Sparer müssen sich aber darauf verlassen können, dass wir die geldpolitischen Zügel anziehen, sobald der Inflationsdruck wieder zunimmt.

Sehen Sie eine drohende Blase bei den Immobilienpreisen?

Wir müssen darauf achten, dass uns die Niedrigzinsen nicht an anderer Stelle neue Probleme schaffen. Deshalb beobachten wir die Entwicklung am Immobilienmarkt sehr genau. Seit drei Jahren steigen die Preise in Deutschland stark – vor allem in Ballungsräumen. Allerdings hatten wir davor ein Jahrzehnt lang stagnierende Preise. Im Moment ist die Entwicklung kein Problem für die Finanzstabilität, sie hat aber zweifellos eine sozialpolitische Dimension.

Die Zinsen sind in den Euro-Ländern höchst unterschiedlich. Wenn ein Mittelständler in Italien oder Spanien das Mehrfache an Zinsen zahlen muss wie im Norden, verzerrt das den Wettbewerb.

Nein, da wäre ich vorsichtiger. Ein einheitliches Zinsniveau kann nicht Ziel der Geldpolitik sein und ist auch nicht Zeichen eines funktionierenden Binnenmarkts. Der Zins für ein Investitionsvorhaben ist Ausdruck für die Chancen und Risiken, die mit dem Vorhaben verbunden sind. Sind die Aussichten für ein Unternehmen schlechter als für ein anderes Unternehmen, so drückt sich das zu Recht in unterschiedlichen Zinsen aus. Hier spielt natürlich auch das wirtschaftliche und politische Umfeld in den jeweiligen Ländern eine Rolle.

Aber sind die Zinsunterschiede nicht ungewöhnlich groß?

Es ist doch inzwischen weitgehend Konsens, dass die Finanzkrise auch dadurch entstanden ist, dass die Kreditzinsen in den verschiedenen Ländern nicht die unterschiedlichen Risiken widergespiegelt haben und es daher zu den Übertreibungen gekommen ist, unter denen wir heute leiden.

Der Zins als Barometer einer Volkswirtschaft?

Gewissermaßen ja. Wir sollten daher keinen Anspruch auf einheitliche Zinsen erheben. Zinsen haben eine Steuerungsfunktion. Wer hohe Schulden hat, muss hohe Zinsen zahlen und hat einen weiteren guten Grund, Schulden abzubauen.

Das heißt für Europa?

An einem Abbau der Verschuldung führt kein Weg vorbei. Und dazu gehört auch, dass Banken weniger Kredite vergeben. Flankierend muss die Politik grundlegende Reformen angehen, um damit die Wachstumsperspektiven zu verbessern.

Und der Maßstab ist Schröders Agenda 2010, inklusive späterer Abwahl.

Der Weg in Deutschland ist keine Blaupause für andere, unterstreicht aber, dass sich Reformen auszahlen. Deutschland galt als der kranke Mann in Europa, heute haben wir es in einigen Regionen bereits zur Vollbeschäftigung gebracht.

Und die Regierung Schröder zur Abwahl. Reformen haben politische Preise?

Das Aufschieben von Reformen führt nur zu noch größerem Anpassungsbedarf in der Zukunft. Das sehen wir doch gerade.

Was sagen Sie den Regierungen in Ländern mit 50 Prozent Jugend-Arbeitslosigkeit?

Die Jugend-Arbeitslosigkeit in einigen Ländern ist in der Tat dramatisch. Kurzlebige Konjunktur- und Ausgabenprogramme und immer höhere Schulden für nachfolgende Generationen schaffen aber keine nachhaltigen Arbeitsplätze, die dringend benötigt werden. Gerade für junge Menschen kommt es auf die Perspektive an. Und diese können nur wettbewerbsfähige Unternehmen und eine gesunde Wirtschaftsstruktur bieten. Eine Reformpause wäre deswegen nicht hilfreich.

Zum Beispiel in Frankreich.

Als Schwergewicht in der Währungsunion hat Frankreich eine besondere Vorbildfunktion. Gerade jetzt, da wir uns schärfere Regeln zum Defizitabbau gegeben haben, sollten wir deren Glaubwürdigkeit nicht dadurch in Frage stellen, dass wir deren Flexibilität voll ausreizen. Was wir jetzt brauchen ist Vertrauen in die Sanierung der Staatsfinanzen.

Wegen solcher Argumente wird Deutschland als Zuchtmeister einer harten Spardoktrin empfunden.

In einer Vertrauenskrise muss man glaubwürdig aufzeigen, wie die drückenden Staatsschulden zurückgeführt werden können. Frankreich hat zwar in den vergangenen Jahren sein Haushaltsdefizit verringert, nach der Prognose der EU-Kommission beläuft es sich in Frankreich in diesem Jahr aber immer noch auf knapp 4 Prozent und wird im nächsten Jahr sogar wieder leicht steigen. Das ist für mich kein Sparen. Verabredet hatten die Mitgliedstaaten mittelfristig ausgeglichene Haushalte. Um Vertrauen zurückzuerlangen, dürfen wir Regeln nicht nur aufschreiben und ihre Einhaltung in der Zukunft versprechen, sondern müssen sie auch mit Leben füllen.

Sie kämpfen für deutsche Interessen?

Ich kämpfe für die Stabilität unserer gemeinsamen Währung. Eine funktionierende Währungsunion setzt voraus, dass die Mitgliedstaaten ihre Verantwortung ernst nehmen, dazu gehören eben auch solide Haushalte und Wettbewerbsfähigkeit.

Es gibt auch Erfolge vorzuweisen?

Ja, natürlich. Die Unternehmen werden wieder wettbewerbsfähiger, und Spanien zum Beispiel exportiert inzwischen mehr als vor der Krise. Die ersten Schritte sind also gemacht, aber es ist noch ein weiter Weg zu gehen.

Sie sind gegen den unbegrenzten Aufkauf von Staatsanleihen, weil das den Reformdruck nimmt?

Das Aufkaufen von Staatsanleihen kuriert allenfalls Symptome, aber nicht Ursachen. Darüber sind wir uns im EZB-Rat einig. Damit kann man höchstens Zeit kaufen, geht aber das Risiko ein, dass der Reformdruck in den betreffenden Ländern schwindet.

Das ist aber nicht Ihr einziger Einwand?

Mit den Käufen von Staatsanleihen übernehmen wir als Notenbanken auch die damit verbundenen Risiken in unsere Bilanz. Insoweit wird dadurch eine Gemeinschaftshaftung der Steuerzahler in Europa hergestellt. Das führt dazu, dass Grenzen zwischen der Geldpolitik der EZB und der Finanzpolitik der Nationalstaaten verwischen.

Was wäre so schlimm an einer Rückkehr zur D-Mark?

Der Euro ist unsere Währung. Ich setze mich entschieden für den Erhalt der Währungsunion als Stabilitätsunion ein. Der Zerfall des Euro würde zu drastischen Verwerfungen führen. Den Zusammenhalt der Währungsunion sicherzustellen ist aber letztlich Aufgabe der Politik, wir als Notenbank sind für Geldwertstabilität zuständig.

Würden Sie sich eine Vertiefung der Union etwa mit einer gemeinsamen Finanz- und Wirtschaftspolitik wünschen?

Es wurden bei Gründung der Währungsunion zwei Modelle diskutiert: das Modell mit eigenverantwortlichen Nationalstaaten, die nicht füreinander haften, und das einer politischen Union. Europa hat sich für den ersten Weg entschieden, auch sehe ich derzeit keine politischen Mehrheiten für einen weitgehenden Verzicht auf nationale Souveränität. Mit den Krisenmaßnahmen übernehmen wir aber immer mehr Haftung. Es kommt jetzt darauf an, Haftung und Kontrolle wieder in die Balance zu bringen.

Deshalb ist auch die Ausgabe gemeinsamer Staatsschuldpapiere, die Eurobonds, für Sie kein Weg?

Die gemeinsame Haftung könnte nur der letzte Schritt am Ende eines Integrations-Prozesses sein. Sie würden ja ohne gemeinsame Kontrolle auch keine gemeinsame Kreditkarte mit Ihren Nachbarn teilen wollen.

Ist der Euro bei Merkel in guten Händen?

Die Frage erweckt den falschen Eindruck, die Bundesregierung sei alleinverantwortlich für die Krisenlösung im Euro-Raum. Wir haben eine gemeinsame Verantwortung für einen funktionierenden institutionellen Rahmen der Währungsunion und unterstützen die Anpassungen in den Krisenstaaten. Aber letztlich muss jedes einzelne Land sein Haus selbst in Ordnung bringen.

Sie waren Sherpa bei Bundeskanzlerin Merkel – und sind es noch?

Ich war der persönliche Beauftragte der Bundeskanzlerin zur Vorbereitung der G20- und G8-Gipfel. Heute bin ich Bundesbankpräsident, und damit sehe ich mich als Beauftragter der Bevölkerung für Preisstabilität.

Würden Sie sich eine Vertiefung der Union etwa mit einer gemeinsamen Finanz- und Wirtschaftspolitik wünschen?

Es wurden bei Gründung der Währungsunion zwei Modelle diskutiert: das Modell mit eigenverantwortlichen Nationalstaaten, die nicht füreinander haften, und das einer politischen Union. Europa hat sich für den ersten Weg entschieden, auch sehe ich derzeit keine politischen Mehrheiten für einen weitgehenden Verzicht auf nationale Souveränität. Mit den Krisenmaßnahmen übernehmen wir aber immer mehr Haftung. Es kommt jetzt darauf an, Haftung und Kontrolle wieder in die Balance zu bringen.

Deshalb ist auch die Ausgabe gemeinsamer Staatsschuldpapiere, die Eurobonds, für Sie kein Weg?

Die gemeinsame Haftung könnte nur der letzte Schritt am Ende eines Integrations-Prozesses sein. Sie würden ja ohne gemeinsame Kontrolle auch keine gemeinsame Kreditkarte mit Ihren Nachbarn teilen wollen.

Ist der Euro bei Merkel in guten Händen?

Die Frage erweckt den falschen Eindruck, die Bundesregierung sei alleinverantwortlich für die Krisenlösung im Euro-Raum. Wir haben eine gemeinsame Verantwortung für einen funktionierenden institutionellen Rahmen der Währungsunion und unterstützen die Anpassungen in den Krisenstaaten. Aber letztlich muss jedes einzelne Land sein Haus selbst in Ordnung bringen.

Sie waren Sherpa bei Bundeskanzlerin Merkel – und sind es noch?

Ich war der persönliche Beauftragte der Bundeskanzlerin zur Vorbereitung der G20- und G8-Gipfel. Heute bin ich Bundesbankpräsident, und damit sehe ich mich als Beauftragter der Bevölkerung für Preisstabilität.