Vistonas. . Die Armut hat die Bewohner der grieschischen Insel Korfu fest im Griff. Besonders den Alten geht es schlecht. NRZ-Leserin Andrea Multhaupt-Meckel aus Essen hat uns eingeladen ins kleine Dorf Vistonas im bergigen Westen der Insel, um auf das Schicksal ihrer Freunde und Nachbarn aufmerksam zu machen.

Wenn die Armut übers Land geht, greift sie sich zuerst diejenigen, die nicht mehr so gut davonrennen können. So wie jetzt in Griechenland. Die Wirtschaftskrise hat alle Menschen hier immer fester im Griff. Das bleibt nicht ohne Folgen für die Psyche. Aus Sorge ist Angst geworden, Angst um die Existenz, nicht nur um die wirtschaftliche. Vor allem viele ältere Leute wissen nicht mehr ein noch aus. NRZ-Leserin Andrea Multhaupt-Meckel aus Essen, die seit vielen Jahren mehrfach im Jahr nach Korfu fährt, sind die Schicksale ans Herz gegangen. Sie hat uns eingeladen ins kleine Dorf Vistonas im bergigen Westen der Insel, um auf das Schicksal ihrer Freunde und Nachbarn aufmerksam zu machen.

Niko Paijatakis sitzt in seinem kleinen Laden vor den Regalen mit den Konserven, den Nudeln, den Ouzo-Flaschen und neben den großen Säcken mit Bohnen und Getreide. Der 65-Jährige ist ein tief in sich ruhender Mann, der gerne singt, der gerne lebt und Auf und Ab nur zu gut kennt. 1979 etwa wurde hier auf Korfu ein James-Bond-Film gedreht, Niko fuhr sechs Wochen im Taxi die Schauspieler zum Dreh, verdiente 150 Mark am Tag, gutes Geld, er kaufte sich davon ein eigenes Taxi, später übernahm er den Laden des Vaters im Nachbarort Pagi. Jetzt steht er jeden Tag hinterm Tresen und vor harten Entscheidungen.

„Und weil ich Grieche bin“

„Ich kenne die Leute im Dorf alle gut. Ich weiß, wer nichts mehr hat. Also schreibe ich an. Immer mehr und immer mehr. Ich weiß, einige werden das nie zurückzahlen können, aber.... Ich werde aber auch weiterhin so verfahren.“ Wie lange? „Na, bis ich auch nichts mehr habe.“ Er ist nicht religiös, er sieht es als Selbstverständlichkeit. „Und weil ich Grieche bin. Ein Grieche handelt so. Früher jedenfalls.“ Das Zerbröseln der Solidarität setzt ihm zu: „Vor Weihnachten habe ich im Laden eine Kiste aufgestellt Da sollten die, die was haben, Zucker und Makkaroni für diejenigen spenden, die nichts haben. Es ist nicht viel zusammengekommen. Ich war sehr enttäuscht.“

Auch interessant

Luxusgüter wie Fleisch oder auch Metaxa verkauft er so gut wie gar nicht mehr. „Nudeln, Reis und eigenartigerweise Tierfutter.“ Zwei Möglichkeiten der Erklärung: Viele Alte in den Dörfern leben allein, die Jungen sind weg. Die Rentner haben nur noch die Tiere, geben dafür den letzten Groschen. Oder sie öffnen die Dosen für sich selbst.

Die Geschichte von Herrn Spiro

Yiota Rigopoulou (34) kennt das ganze Ausmaß des Elends. Als Sozialarbeiterin kümmert sie sich um 80 Leute in mehreren Dörfern, überwiegend Ältere. „Ich erzähl’ mal die Geschichte von Herrn Spiro. Er war etwa 80, seine Familie lebt in Athen, er war ganz allein in seinem Haus in einem Dorf. Er hat nur noch einen Raum bewohnt, eine Abstellkammer. Er erhielt 350 Euro Rente, den Strom hatte er schon lange abstellen müssen. Dann wurde die Rente wieder gekürzt, er kaufte Holz zum Heizen, das wurde ihm vor der Tür geklaut, er war auf Medikamente angewiesen, drei Mittel fürs Herz, eins gegen Prostatabeschwerden. Die konnte er sich jetzt nicht mehr erlauben. Vier Mal in der Woche habe ich ihn besucht, dann kam ich eines Tages in sein Zimmer, da lag er tot vor mir. Das Herz hatte versagt.“ Tod durch Armut.

„Wenn ich ein Gewehr hätte...“

Wer ein Medikament braucht, muss in Griechenland bar bezahlen oder beim Apotheker anschreiben lassen, was die immer seltener machen, weil sie selbst Probleme haben. Dann kann man die Rechnung bei der Kasse einreichen, doch die zahlen so gut wie nie, weil sie auch pleite sind. Yiota: „Jeden Tag sitze ich bei alten Leuten am Tisch, die mir davon erzählen, weinen und dann sagen: ‘Ich möchte sterben’. Das ist doch furchtbar.“ Yiota will dagegen kämpfen. Für die Leute. „Wir sammeln jetzt privat Medizin.“ Und für sich: „Ich kann doch noch 50 Jahre leben. Ich will auch Kinder. Ich muss nach vorne gucken.“ 900 Euro bekommt sie für den Job. Doch Ende März soll ihre Stelle gestrichen werden. Sie verliert den Job, 80 Alte verlieren Yiota.

Auch interessant

Matoula (49) und Dimitris Romeos (53) müssen jeden Monat 1200 Euro Kredit für den Umbau ihres Kafenions in Pagi abbezahlen, das sie von seinem Vater übernommen haben. Dimitris, der 30 Jahre Polizist war, könnte schon wieder die Wand hochgehen. „Meine Rente wurde auf 900 Euro gekürzt. Wie soll ich das bezahlen. Ich kann mir nichts mehr leisten. Nichts. Ich war Personenschützer, habe diese Politiker bewacht, die uns jetzt ans Messer liefern.“ Noch mehr Zornesfalten: „Wenn ich ein Gewehr hätte, ich würde nach Athen fahren und...“ Seine Frau lächelt das weg: „Dann sitzt du im Gefängnis, das bringt auch nichts. Ich musste auch meine Drogerie in der Stadt aufgeben. Niemand hat mehr was gekauft. Aber ich bin so ein Typ, ich gebe nie auf.“ Und wie wird euer Leben in zwei Jahren aussehen? Dimitris ist schneller als seine Frau: „In zwei Jahren werden wir alle tot sein. Was habe ich Böses getan? Nichts. Wir sind doch schuldlos an der Krise. Ach ja, noch eins, wenn du wieder in Deutschland bist, dann sag der Merkel: ‘Ich hasse sie’“. Damit ist Dimitris wahrlich nicht allein in Griechenland.

Mehr davon in Folge II