Essen/Köln. Was ist eigentlich ein Fahrrad? Darüber streiten in diesen Tagen Verkehrsverbände, Politiker, Vertreter von Blinden und Freizeit-Radler. Sie müssen klären, welche Räder in Zügen mitfahren dürfen. Die Diskussion treibt teils absurde Blüten: Plötzlich könnten auch Bobbycars als Fahrrad durchgehen.
Eins ist klar: E-Bikes sind in Nahverkehrszügen verboten. Sie gelten als Kraftfahrzeug, nicht als Fahrrad. Daher haben die elektrisch betriebenen Zweiräder in Zügen nichts verloren - auch in Zukunft nicht. Das geht aus einem Entwurf zur Neuregelung der Mitnahmebedingungen hervor. Doch mit welchen Maßnahmen die Verkehrsverbünde überfüllte Züge entlasten wollen, stößt auf Kritik. Vertreter des Landtags zeigen sich irritiert: Die momentane Planung gehe "völlig am geänderten Mobilitätsverhalten der Menschen vorbei", sagt Arndt Klocke (Grüne).
Immer mehr ältere Menschen sind auf elektrisch betriebenen Fahrrädern unterwegs, den so genannten E-Bikes. 125.000 Stück sollen in diesem Jahr allein in NRW verkauft werden. Menschen mit bestimmen Behinderungen können sogar auf den Motor angewiesen sein: Wer beispielsweise an einer Muskelerkrankung leidet, die auf halber Strecke zuschlägt, der kommt dank E-Bike trotzdem sicher zurück nach Hause.
Nach neuer Definition wäre auch ein Bobbycar ein Fahrrad
Für behinderte Zweirad-Nutzer wünscht sich der ADFC, dass die vorgeschlagene Neuregelung nachgebessert wird. "Es handelt sich schließlich nicht um ein Massenphänomen", erklärt NRW-Landesgeschäftsführer Ulrich Kalle. Nicht einmal jedes Tausendste Fahrrad ist laut ADFC-Schätzungen ein sogenanntes S-Pedelec mit Versicherungskennzeichen. "Daher besteht aus unserer Sicht keine Notwendigkeit, diese wenigen Nutzer außen vorzulassen", sagt Kalle.
Für Otto-Normalverbraucher sei die vorgeschlagene Definition von "Fahrrad" ohnehin nicht nachvollziehbar. Muskelbetrieben, einsitzig, mit maximal zwei Achsen dürfen sie sein - laut dem Kompetenzcenter Marketing NRW (KCM), dem Sprachrohr der Verkehrsverbünde. Demnach dürfen Fahrgäste keine motorbetriebenen oder versicherungspflichtigen Ein- und Zweiräder mitnehmen.
"Da ist doch Streit vorprogrammiert, wenn Schaffner und Fahrgast sich uneinig sind oder beide nicht genau Bescheid wissen", sagt Ulrich Kalle und kritisiert: "Unter die neue Definition fallen auch Rollstühle und Bobbycars. Da hat jemand seine Hausaufgaben nicht gemacht."
Tandemmitnahme für Sehbehinderte: Verkehrsverbände rudern zurück
Das KCM signalisiert Gesprächsbereitschaft. "Unser Ziel ist ja, Streitigkeiten zu vermeiden. In der Vergangenheit gab es immer wieder Diskussionen zwischen Fahrgästen oder mit dem Kontrollpersonal", beschwichtigt Sprecher Holger Klein.
In einem Punkt sind die Vertreter von VRR und Co bereits zurückgerudert: Menschen mit Schwerbehindertenausweis dürfen weiterhin mit Tandem in den Zug einsteigen. "Alles andere wäre ein Unding gewesen", betont Günter Gajewski. Der Gelsenkirchener sitzt im Landesvorstand des Blinden- und Sehbehindertenverbands Westfalen. Zunächst sollten auch Tandems in Zügen verboten werden, um mehr Platz in den vollen Bahnen zu schaffen. Dagegen liefen sämtliche Blindenverbände Sturm und sind nun laut Gajewski "zufrieden, dass wenigstens reagiert wird."
Pilotversuch zum Tandem-Transport wäre denkbar
Dem ADFC hingegen geht die Ausnahmeregelung für Menschen mit Handicap nicht weit genug. Ein Tandem sei nur etwa ein Drittel länger als ein normales Fahrrad, berichtet Ulrich Kalle. "Wenn die wenigen Leute, deren Hobby Tandemfahren ist, jetzt also auf zwei Soloräder umsteigen, dann nehmen sie im Zug mehr Platz weg."
Der ADFC-Chef, der selbst passionierter Tandem-Fahrer ist, betont zudem, niemand wolle Busse und Straßenbahnen mit den Zweisitzern belagern: "Es geht uns ausschließlich um die Mehrzweckabteile im Zug."
Wenn tatsächlich viele Leute ihr Tandem mitnehmen wollen, dann könnten die Verkehrsverbände auch hier nachbessern. "Denkbar wäre etwa ein Pilotversuch", sagt Holger Klein vom KCM. Bevor die veränderten Mitnahmebedingungen am 1. Januar 2013 in Kraft treten, müssen alle Verkehrsunternehmen in NRW sowie die Kölner Bezirksregierung zustimmen.