Essen. . Wozu „Diversity Management“? Die Beauftragten der drei Hochschulen in Essen über das Selbstverständnis ihrer Arbeit, „Gedöns“-Klischees und die Nachteile der Studienreform.

Diversity Management ist ein neues Schlagwort. Wie geht man mit dem Vorwurf um, das sei doch nur „Gedöns“ im Sinne des früheren Kanzlers Gerhard Schröder?

Ute Klammer: Dieser Vorwurf ist mir persönlich noch nie gemacht worden, auch wenn es natürlich bei Fragen der Mittelverteilung auch bei uns gelegentlich Meinungsverschiedenheiten gibt.

Karoline Spelsberg:
Man muss seine Arbeit manchmal begründen. Gerade, weil wir an der Folkwang Uni schon einen sehr hohen Anteil an ausländischen Studierenden haben. Folkwang ist international ausgerichtet – das verleitet manche zu dem Glauben, dass man schon eine Internationalisierungsstrategie hat. Wenn also das Phänomen Diversity so augenfällig ist, ist das Anliegen von Diversity Management nicht immer sofort nachvollziehbar.

Wie sieht denn Diversity Management bei Ihnen konkret aus, Frau Spelsberg?

Spelsberg: Ein Aspekt ist die Frage: Was bedeutet Vielfalt für die Ausgestaltung von Lernangeboten? Wir setzen digitale Arbeitsmappen in Lehrveranstaltungen ein, sogenannte E-Portfolios. Hier kann man alles festhalten, was je künstlerisch und wissenschaftlich produziert wurde. Die Mappen sind für jeden Seminarteilnehmer einsehbar. So wird die künstlerische Entwicklung eines jeden Studierenden und die Vielfalt erkennbar. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung, nicht mehr nur reine Ergebnisse. Zu Ende gedacht: Die E-Portfolios sind Reflektionsmedium, könnten anstelle eines Lerntagebuchs verwendet werden.

Frau Seng, wozu braucht die FOM Hochschule ein Diversity Management?

Anja Seng: Die FOM versteht sich auch als Schnittstelle zwischen Forschung, Lehre und Praxis. Besonders Firmen versprechen sich unser gezieltes Diversity Management mehr Möglichkeiten zum Austausch untereinander, gegebenenfalls auch mit Studierenden, um dabei zu lernen, wie die Potenziale der Vielfalt auch im eigenen Unternehmen besser genutzt werden können. Auch in der Studienpraxis ist Diversity Management wichtig: Zunächst lenken wir den Fokus auf die Unterstützung von Frauen. Wir führen in der FOM Frauenforen durch, in Essen in diesem Jahr schon zum zehnten Mal: Referentinnen sprechen unter anderem auch darüber, wie man bzw. frau sich besser selbst vermarkten kann oder ihre Gehaltsvorstellungen durchsetzt. Im Herbst planen wir eine große Podiumsdiskussion mit Teilnehmern, die sich in der bundesweiten Diskussion um Frauenquoten in Firmen hervorgetan haben. Das wird sicher spannend.

Frau Klammer, wie misst man den Erfolg von Diversity Management?

Klammer: Das sind verschiedene Aspekte. Zum Beispiel: Stellt sich eine Hochschule als so offen dar, dass Studieninteressierte mit unterschiedlichen Voraussetzungen dazu animiert werden, sich an dieser Hochschule einzuschreiben?

Sie spielen auf die Imagekampagne ihres Hauses an und ihren neuen Claim „Offen im Denken“.

Klammer: Ja. Man kann aber auch Resultate betrachten – von Umfragen, was die Zufriedenheit von Studierenden und Personal angeht. Und man kann Abschlussquoten betrachten, besonders von jenen, die weniger gute Voraussetzungen für einen Studienerfolg mitgebracht hatten als andere. Eine Hochschule mit gutem Diversity-Management bringt sehr unterschiedliche Studierende zu einem Abschluss. Es geht übrigens nicht nur um Studierende mit Migrationshintergrund. Unsere Universität belegt unter den großen deutschen Universitäten einen Spitzenplatz in Bezug auf den Anteil von ausländischen Absolventen. Einen Nachholbedarf haben wir bei jenen, die hinausgehen: Zu wenige Studierende verbringen eine Zeit im Ausland.

Was tun Sie dagegen?

Klammer: Wir ermutigen grundsätzlich jeden Studierenden, eine Zeit im Ausland zu verbringen. Und wir starten das Programm „Internationalisation at Home“. Die Internationalität des Campus’ soll stärker genutzt werden, ausländische und migrantische Studierende sollen ihre kulturellen Erfahrungen stärker einbringen können, sodass einerseits ihre Integration verbessert wird. Und andererseits deutsche Studenten davon profitieren. Zum Beispiel durch Tandem-Programme, die ausländische Studierende gezielt mit deutschen Studierenden zusammenbringen.

Seng: Das Thema Ausland bzw. Internationalität wird auch an der FOM immer wichtiger. Wir bieten entsprechende Programme an, haben Kooperationen mit den USA, Spanien, China und Russland, die sowohl kürzere als auch längere Aufenthalte ermöglichen - denn da muss natürlich der Arbeitgeber mitspielen, unsere Studierenden sind ja berufstätig.

Frau Spelsberg, ist Bildungsgerechtigkeit an der Folkwang Universität ein Thema?

Spelsberg: Es ist eine sehr sozialromantische Vorstellung, die die Gesellschaft von staatlichen Kunsthochschulen hat – die Vorstellung, alle Studierenden sein aus gutbürgerlichem Hause und bekommen Klavierunterricht seit ihrem dritten Lebensjahr. Dem ist so nicht. 30 Prozent unserer Studierenden sind aus dem Ausland, vor allem aus Asien, Südamerika und Osteuropa. Darunter sind viele Schwellenländer. Nur Stipendienprogramme ermöglichen es vielen dieser Studierenden überhaupt, ihren Studienalltag in Deutschland bestreiten zu können. Die sind finanziell in keinster Weise abgesichert. Bei uns ist der Zugang zu einem Studium über Begabung möglich, nicht über formale Abschlüsse – das ist Bildungsgerechtigkeit im weitesten Sinne.

Aber bestimmte Haushalte können Begabungen ihrer Kinder doch besser erkennen und fördern als andere.

Spelsberg: Das stimmt. Wir bräuchten mehr solcher Programme wie „JeKi“ (ein obligatorisches Instrumentenprogramm für alle Grundschüler im Ruhrgebiet, d. Red.).

Klammer: Damit sehen sich alle Hochschulen konfrontiert: Im Grunde müssen wir Bildungsketten aufbauen, die im Kindergarten beginnen bis zum Hochschulsystem. Dem sind in Deutschland vielfältige Schranken gesetzt. Es gibt keine Anschlüsse nach Abschlüssen, die Übergänge sind aber oft entscheidende Weichenstellungen. Das geht bis in die Ebene der Ministerien, in der das Schulministerium ein ganz anderes Universum darstellt als das Wissenschaftsministerium. Da sind kaum Durchlässigkeiten. Aber wir brauchen zunehmend Menschen mit akademischer Bildung, es darf uns niemand verloren gehen. Deswegen gehen wir als Hochschule schon in die Schulen hinein, locken mit Schnupper- und Schülerstudium. Wir haben das Leuchtturmprojekt „Chance hoch 2“ aufgelegt, das Schüler ab Klasse 9 bis zu einem ersten Hochschulabschluss begleitet. In die Kindergärten können wir nicht auch noch gehen, das überfordert unsere Ressourcen. Da sind wir auf Kooperationen angewiesen, zum Beispiel mit den Städten.

Seng: Auch wir arbeiten mit Stipendien für Oberstufen-Schüler, um ein „Schnuppern“ in die Welt des Studiums zu ermöglichen. Das kommt sehr gut an.

Klammer: Wir haben in den Fächern der Romanistik jetzt Auslandsaufenthalte zur Pflicht gemacht. Das war bislang nicht so. Doch besonders dort, wo Sprachen studiert werden, halten wir einen Aufenthalt im Sprachraum für sehr wichtig. Die Umstellung auf Bachelor und Master, die eine internationale Mobilität zum Ziel hatte, hat bisweilen übrigens das Gegenteil bewirkt: Die Verdichtung des Studiums führt dazu, dass es für Studierende vielfach schwieriger geworden ist, ein Zeitfenster für ein Auslandssemester zu finden. Das ist bundesweit so

Spelsberg: Das beobachten wir an unserer Hochschule auch. Grundsätzlich plädiere ich weniger für den defizitorientierten Ansatz, sondern kulturelle Vielfalt bietet Chancen: Wer Vielfalt nur als Mängel begreift, die ausgeglichen werden müssen, wird nicht erfolgreich sein. Falsch ist ein Wohlwollen, das subtil Defizite vermutet. Das ist wie mit den Anfängen der Gleichstellungsarbeit: Auch da mussten wir viel erklären, dass es nicht um die Förderung von Frauen geht, bloß des Geschlechts wegen. Es geht darum, sich der Andersartigkeit stärker bewusst zu werden und sie anzuerkennen.

Klammer: Die Arbeit in heterogenen Gruppen ist vielleicht schwieriger. Aber die Ergebnisse sind besser. Und das ist es, was letztendlich zählt.