An Rhein und Ruhr. . Der Landschaftsverband Rheinland ehrt eine Doktorarbeit zum Thema Kirchenschließungen. Denkmalpfleger wollen sich stärker um das Thema kümmern. Besonders betroffen ist das Bistum Essen. Aktuell protestiert dort zum Beispiel die St. Barbara-Gemeinde im Duisburger Norden gegen den Plan ihre Kirche zu schließen.

„Zur Zukunft von Sakralbauten im Rheinland“ – das klingt ja noch ganz optimistisch. Doch eigentlich ist die Doktorarbeit von Martin Bredenbeck ein Dokument des Niedergangs. Auf 1450 Seiten beschreibt der Kunsthistoriker das Schicksal von - purer Zufall - 333 Kirchen im Rheinland, deren Bestand grundsätzlich bedroht ist. Bedroht, weil katholische und evangelische Gemeinden den Erhalt nicht mehr finanzieren wollen.

Der Landschaftsverband Rheinland (LVR) würdigte Bredenbecks Arbeit gestern Abend in Köln mit dem Paul-Clemen-Preis, dotiert mit 10 000 Euro. Die LVR-Denkmalpfleger bemühen sich seit drei Jahren selbst, alle Kirchen im Rheinland zu erfassen - bevor diese womöglich verschwunden sind. „50 bis 70“ der Kirchen in seiner Arbeit seien akut von Abriss bedroht oder schon abgerissen, so Bredenbeck.

Kunsthistoriker Martin Bredenbeck mit seiner 1450 Seiten starken Doktorarbeit in der Kölner St. Gertrud Kirche.
Kunsthistoriker Martin Bredenbeck mit seiner 1450 Seiten starken Doktorarbeit in der Kölner St. Gertrud Kirche. © NRZ

Gefährdet seien vor allem jüngere Kirchen sagt der Sohn eines Mülheimer Pfarrers. Nachkriegsbauten, die nach dem Zustrom von Flüchtlingen - aber auch als Zeichen des Aufbruchs nach Gründung des Ruhrbistums 1958 - gerade in den großen Städten wie Pilze aus dem Boden schossen und nun mangels Priester und Gläubigen oft nicht mehr gebraucht werden. „Auch aufgrund mangelnder Vermittlung sind viele moderne Kirchen nie richtig in den Herzen der Menschen angekommen“, nennt Bredenbeck neben Statistik und Geldnot einen weiteren Grund für die Bedrohung gerade jüngerer Kirchen.

Allein das Bistum Essen hat seit 2006 annähernd 100 Kirchen zur Disposition gestellt. Viele wurden schon stillgelegt, umgebaut oder abgerissen.

Nicht alles erhalten

„Nicht jede Kirche muss erhalten werden“, sind sich Bredenbeck und der kommissarische Landeskonservator des LVR, Ulrich Stevens, einig. Aber oft hätten die Kirchen ein Gotteshaus bislang vor allem unter Kosten-Gesichtspunkten betrachtet, so Bredenbeck. „Da ist es wichtig, den kunsthistorischen Wert zu betonen.“ Um diesen geht es auch dem LVR, der sich seit 2008 um eine Katalogisierung vor allem der jüngeren Kirchbauten bemüht.

Über Moscheen nachdenken

Wie unterschiedlich indes die Sicht von Kunsthistorikern und Gläubigen sein kann, zeigt das Beispiel der Essener St. Martin-Kirche. Den Umbau nennt Bredenbeck ein Negativbeispiel, weil der Gesamteindruck der Kirche nun völlig verloren sei. Vor Ort wurde die Neugestaltung zu einem Altenheim, in dem zumindest eine Kapelle weiter der Gemeinde zur Verfügung steht, dagegen vergleichsweise positiv aufgenommen.

Geglückt ist laut Bredenbeck die Umnutzung der von Stararchitekt Gottfried Böhm gebaute Kölner St. Gertrud Kirche, in der der LVR gestern Bredenbecks Arbeit vorstellte. Statt entstellender Umbauten wird die in nacktem Beton gehaltene Kirche nun auch für Kulturveranstaltungen genutzt.

Auch Moscheen sollten als Nutzungsraum in Erwägung gezogen werden

Bredenbeck ermuntert die Kirchen, auch über Moscheen als Nutzungsmöglichkeit für aufgegebene Kirchen nachzudenken. „Wenn man das gut moderiert, kann ein solcher Wechsel gelingen“, ist sich der Kunsthistoriker sicher. Bislang sei dies von beiden großen Kirchen in Deutschland ausgeschlossen, aber es gebe eine Reihe Beispiele, wo es aus seiner Sicht „wert gewesen wäre, dieses Experiment einzugehen“ – etwa in Sankt Albertus Magnus in Essen-Katernberg.

„Dort sind jetzt die aus dem Irak geflohenen chaldäischen Christen untergebracht, die aber keinerlei Kontakt zur muslimischen Bevölkerung dort haben“, sagt Bredenbeck. Auch die ehemalige St. Hedwig-Kirche in Düsseldorf-Eller hätte sich – schon wegen ihrer zeltartigen Dachkonstruktion – womöglich für einen Umbau zur Moschee geeignet.

Im Duisburger Norden protestieren Gläubige mit Mahnwachen und Kirchenbesetzung gegen die Schließung

Ob mit Moscheen oder nicht – Bredenbecks Arbeit dürfte mit der gestrigen Ehrung kaum beendet sein. Im Duisburger Norden etwa protestieren Mitglieder der St. Barbara-Gemeinde seit Wochen mit Mahnwachen, Kirchenbesetzung und mehreren tausend Unterschriften gegen die vom Ruhrbistum anvisierte Schließung ihrer Kirche. Beobachter fürchten gar den Auftakt zu einer neuen bistumsweiten Schließungswelle. „Das Beispiel habe ich noch gar nicht aufgenommen“, sagt Bredenbeck – und will sich in Duisburg demnächst noch einmal näher umschauen.