Düsseldorf. Schockanrufe treiben Opfer emotional in die Hölle. Eine Familie hat das durchgemacht. Sie will warnen. Denn Schockanrufe können jeden erreichen.
Als am vergangenen Freitag um 9.45 Uhr bei Karina S. (Name geändert) in Düsseldorf das Telefon klingelte, sah sich die zweifache Mutter wie vom Schlag getroffen. Der Anrufer kam gleich auf den Punkt: „Wir haben Ihren Sohn hier auf der Intensivstation. Er liegt im Koma.“
Der Anrufer stellte sich als „Prof. Weber von der Uniklinik Düsseldorf“ vor, erläuterte die medizinische Diagnose von S.’ Sohn – „mit Atemnot eingeliefert“ – und nutzte die erzeugte Aufregung offenbar auch dazu, weitere Auskünfte zu sammeln. Den Vornamen von S.’ Sohn dürfte er etwa erfahren haben, als S. ihrem Ehemann zurief, der anwesend war: „Noah ist im Krankenhaus!“
Schockanruf: Sohn liegt im Koma, Klinik benötigt 35.000 Euro für Medikament
Sohn Noah, den seine Mutter noch einhalb Stunden zuvor bei bester Gesundheit in die Ferienbetreuung seiner Grundschule gebracht hatte, sei in ein künstliches Koma versetzt worden, „für vorerst 72 Stunden“, habe der Anrufer mitgeteilt. Zudem sei er „schwer mit Corona infiziert“. Er könne daher nicht besucht werden in der Klinik: „Ich muss ihnen leider sagen, es sieht sehr schlecht aus“, habe der Anrufer gleich mehrmals erklärt - und S. an den Rand eines Nervenzusammenbruchs getrieben.
Im Verlauf des weiteren Gesprächs habe er aber Hoffnung auf Rettung für Noah gemacht: Es gebe die Möglichkeit, ein Corona-Medikament aus der Schweiz einfliegen zu lassen. Der Hubschrauber sei startbereit, aber S. müsse sicherstellen, dass die notwendigen 35.000 Euro für das Medikament bezahlt werden.
Rückruf-Idee war die Rettung
Ihr Mann übernahm schließlich das Telefonat. Nach weiteren Minuten tiefer Sorge um Sohn Noah rang er dem Anrufer ab, das Gespräch zu beenden, um ihn danach zurückzurufen und erhielt vom angeblichen Prof. Weber die Telefonnummer der Zentrale des Uniklinikums. Zuvor war der Anrufer noch so dreist, S.’ Mann um Ruhe zu bitten: „Er sagte, er könnte mich nicht verstehen, weil meine Frau so laut schreit.“
Weitere Anrufe ergaben danach: Die Uniklinik Düsseldorf mochte zwar keine Auskunft über einen möglichen Mitarbeiter dieses Namens geben. „Doch die Zentrale versicherte uns, dass niemand mit Namen unseres Sohnes frisch eingeliefert worden sei“, erinnerte sich Karina S.’ Mann. Schließlich habe sich auch Noahs Ferienbetreuerin in der Schule nach mehrfachen Versuchen gemeldet und versichert: „Mit Noah ist alles in Ordnung.“
Kriminalpolizei warnt: „Ein Schockanruf kann jeden erreichen“
„Uns saß noch nach Stunden der Schreck in den Knochen“, berichtete das Paar Tage später: „An Arbeiten war an dem Tag nicht mehr zu denken.“ Sie hätten nie erwartet, Opfer eines Schockanrufs zu werden, sagten beide - den Begriff hätten sie bis dahin noch nicht mal gekannt: „Deshalb wollen wir davor warnen, sich durch solche Anrufe nicht in die Irre treiben zu lassen.“
„Ein Schockanruf kann jeden erreichen“, sagt Markus Gerards, Leiter des Kriminalkommissariats 31 im Polizeipräsidium Düsseldorf, wo derartige Betrugsvergehen verfolgt werden. Täter agieren vermutlich aus Callcentern, meist in Polen oder der Türkei. Es seien am besagten Tag noch weitere Schockanrufe in Düsseldorf gemeldet worden, sagt Gerards - auch vom vermeintlichen „Prof. Weber“ von der Uniklinik.
Schockanruf: Gespräch beenden, auflegen!
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Die Geschichten dieser Telefonbetrüger variierten je nach dem, mit wem sie es am Telefon zu tun hätten, sagt die Polizei. „Unter den gemeldeten Anrufen war auch die schluchzende angebliche Tochter dabei, die vorgab, einen schweren Unfall gebaut zu haben und nur mit einer hohen Kaution vor der Haft bewahrt werden zu können.“ Und wer bei einem solchen Anruf angibt, zum Beispiel gar keine Tochter zu haben, wird versucht, auf andere Art hinters Licht geführt zu werden, sagt Gerards. Sein Rat: „Gespräch beenden, Telefonhörer auflegen und sich im Zweifel rückversichern - etwa bei der genannten Tochter!“
Dass im Telefondisplay dabei womöglich eine offizielle Telefonnummer erscheint, mitunter gar die „110“ der Polizei, die bei derartigen Anrufen von der echten Polizei gar nicht angezeigt wird, sei ein „Fake“, sagt Gerards: „Täter wollen damit eine trügerische Sicherheit geben., Doch die Nummern sind manipuliert.
Meist bleibt es beim Betrugsversuch
„In über 90 Prozent der Taten bleibt es beim Betrugsversuch“, sagt Gerards - es komme also zu keinem Geldtransfer. Von Opfern müsse man dennoch sprechen, denn „die Angerufenen werden emotional in Grenzbereiche geführt“, die man niemandem wünschen möchte, meint der 58-jährige Kriminalbeamte.
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Bei Schockanrufen kühlen Kopf zu bewahren sei schwer, sagt Gerards, doch es lohne sich immer wieder vor solchen kriminellen Masche des Telefonbetrugs wie auch Enkeltrick oder falsche Polizisten zu warnen, meint Gerards: „Damit etwas im Hinterkopf steckt.“ Wer einmal an der Angel dieser Täter ist, könne sich nur schwer befreien. Solche Telefonate könnten über Stunden laufen bis Opfer ‘willenlos’ sind und Tätern Geld oder Wertsachen aushändigen. Komplizen würden dabei die Rolle vermeintlicher weiterer Amtsträger spielen: Polizeibeamte, Staatsanwälte oder ähnliches.
Schockanruf: „Die Täter sind immer überzeugend“
„Die Täter sind immer überzeugend“, meint Gerards. Wie erfolgreich sie sind, „hängt von ihrem Gegenüber ab.“ Ältere Menschen seinen meist nicht mehr so „handlungsschnell“, beschreibt Gerards, mitunter führt auch ein ausgeprägteres „Obrigkeitsgefühl“ dazu, dass sie Anrufe vermeintlicher Amtspersonen als „echt“ ansehen.
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Der Schockanruf weckte bei Karina S. im Nachhinein Ängste: „Wussten die Täter, dass sie einen Sohn hat?“, fragt sie. Wurde die Familie im Vorfeld ausspioniert? „Davon muss man nicht ausgehen“, sagt Markus Gerards: „Sie arbeiten Telefonlisten ab.“ Die Nummer der Opfer generiere womöglich ein Computer oder Täter pickten sich irgendwelche Personen aus Telefonbuchdateien heraus. „Anders als beim Enkeltrick, sind hier aber nicht Menschen im Fokus der Täter, deren Vornamen darauf hindeuten, dass es sich um Senioren handeln könnte“, erklärte Gerards: „Ein Schockanruf hat nichts mit dem Alter zu tun.“