An Rhein und Ruhr. Osteuropäische Arbeiter in Schlachthöfen haben sich mit Corona infiziert. Ihre Unterkünfte werden kontrolliert. Probleme auch am Niederrhein.

Ende der vergangenen Woche verzeichnete das Gesundheitsamt im Kreis Coesfeld einen ungewöhnlich starken Anstieg positiv getesteter Corona-Fälle. Die Alarmglocken schrillten bei den Verantwortlichen, man begab sich auf „aktive Fallsuche“, wie es Kreissprecher Christoph Hüsing ausdrückt.

Schnell war klar: Viele der Neuinfizierten arbeiten im Schlachthof der Firma Westfleisch in Coesfeld. Und viele von ihnen sind Werkvertragsarbeiter aus Osteuropa. Einmal mehr kocht nun die Kritik an den Zuständen in der Fleischindustrie hoch.

Alle Mitarbeiter werden auf Corona getestet

Das Gesundheitsamt in Coesfeld ordnete rasch die Testung aller Schlachthof-Mitarbeiter an. Bis Freitag-Nachmittag wurden 151 von ihnen positiv getestet. 13 werden im Krankenhaus behandelt. Bis Freitag dauerte es, bis das Landesgesundheitsministerium entschied, den Betrieb mit seinen 1200 Beschäftigten vorübergehend zu schließen.

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Der Betrieb von Westfleisch in Coesfeld wurde am Freitag geschlossen, nachdem bei zahlreichen Beschäftigten das Corona-Virus nachgewiesen worden war.
Von Tobias Blasius, Michael Kohlstadt, Katrin Böcker

Bis dahin hieß es, der Schlachthof sei „systemrelevant“, weil er der Versorgung der Bevölkerung diene. An Fleisch wird aber auch nach der Schließung kein Mangel sein, machte NRW-Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) am Freitag deutlich: „Die Versorgungssicherheit ist gegeben.“

Nicht der erste von Corona betroffene Schlachthof

Der Schlachthof in Coesfeld ist nicht der erste betroffene Westfleisch-Betrieb. In Oer-Erkenschwick im Kreis Recklinghausen wurden bereits Dutzende Beschäftigte positiv getestet, aktuell sind es 33. Auch sie stammen fast ausschließlich aus Osteuropa, konkret: aus Rumänien. Der Verdacht liegt nahe, dass die Unterbringung dieser Arbeiter in Sammelunterkünften und der gemeinsame Transport zur Arbeit die Corona-Ausbreitung befördert.

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Tatsächlich, so Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) seien bei einer Begehung von Unterkünften der Coesfelder Arbeiter „viele Sachen, die nicht in Ordnung waren“, aufgefallen. Ortwin Bickhove-Swiderski, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Coesfeld, erzählte im Gespräch mit unserer Redaktion von Berichten, wonach es „Matratzenunterbringung“ geben soll, von teilweise sechs oder acht Personen, eng aufeinander.

Unterkünfte werden kontrolliert

Minister Laumann sicherte nun eine Begehung sämtlicher Unterkünfte von Werkvertragsarbeitern sowie eine flächendeckende Testung aller Schlachthof-Mitarbeiter in NRW zu, und dass die Landesregierung „sehr entschlossen in dieser Angelegenheit“ vorgehen werde. Dem Vorsitzenden des Arbeitnehmerflügels in der CDU sind die Zustände in der Fleischbranche schon seit geraumer Zeit ein Dorn im Auge.

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Er stellte sich am Freitag hinter die Werkvertragsarbeiter, bezeichnete sie als „Opfer“ und warnte eindringlich vor Lohnkürzungen angesichts der Schließung des Coesfelder Betriebs: „Ich kann dem Schlachthof nur raten, in dieser Frage großzügig zu sein. Alles andere würde ihm nicht gut tun.“

Kontrollen auch bei den Erntehelfern

Kontrolliert werden sollen nun auch die Unterkünfte der osteuropäischen Erntehelfer, wie Ministerin Heinen-Esser mitteilte. Anders als bei den Werkvertragsarbeitern müssen sich die Unterkünfte der Erntehelfer auf den Betrieben der Landwirte befinden, zudem werden die neu ankommenden Arbeiter einem Gesundheitstest unterzogen und müssen 14 Tage in Quarantäne.

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Gewerkschafter Bickhove-Swiderski berichtete im Gespräch mit unserer Redaktion zudem, dass er selbst gesehen habe, wie Kleinbusse mit Dinslakener Kennzeichen bei Westfleisch vorgefahren seien. In den Fahrzeugen hätten jeweils acht bis zehn Arbeiter in Reihen nebeneinander gesessen, mal ohne, mal mit Mundschutz: „Von Desinfektionsmittel war nichts zu sehen.“

Ein altes Thema am Niederrhein

Ob Beschäftigte des Schlachthofs im Kreis Wesel leben, wissen die dortigen Behörden allerdings nicht. Die Dinslakener Kennzeichen ließen diesen Schluss nicht zwingend zu. „Es gibt keine Meldepflicht, wir wissen nicht, ob und wo Gastarbeiter hier wohnen“, so eine Sprecherin des Kreises auf Anfrage.

Die Unterbringung von osteuropäischen Arbeitern ist bereits in den Zeiten vor Corona in den grenznahen niederrheinischen Kommunen ein Thema gewesen. Dort leben Tausende in niederländischen Betrieben beschäftigte Leiharbeiter unter oft prekären Bedingungen in heruntergekommenen Immobilien, die von Zeitarbeitsfirmen aufgekauft wurden. Allein in Emmerich sind rund 40 solcher Unterkünfte bekannt. Häufig leben dort mehrere Menschen in einem Raum.

Fleischbranche kritisiert die Maßnahmen

„Wir haben bereits darüber gesprochen, was wir tun können, wenn Menschen aus diesen Unterkünften positiv getestet werden“, so Emmerichs Bürgermeister Peter Hintze. Es ist ein Blindflug: Da die Menschen jenseits der Grenze arbeiteten, habe man keinen Überblick, wo sie genau beschäftigt seien und wie die Arbeitsbedingungen in den jeweiligen Betrieben seien. Nötigenfalls müssten nach positiven Tests ganze Häuser unter Quarantäne gestellt werden, um eine Ausbreitung des Virus zu vermeiden, so der Emmericher Bürgermeister.

Die Fleischbranche reagierte mit Kritik auf die angekündigten Tests und Unterkunftsbegehungen: „Ich wundere mich, dass unsere Branche hier unter Generalverdacht gestellt“ wird, sagte Clemens Tönnies, Chef des größten deutschen Fleischkonzerns, dem Westfalenblatt. Das Unternehmen Westfleisch ließ eine Anfrage unserer Redaktion bis Freitagabend unbeantwortet.