Essen. Nach dem Corona-Ausbruch unter den Beschäftigten von Westfleisch im Kreis Coesfeld greift die Landesregierung durch. Lockerungen sind verschoben.

Mitten in die Lockerungsphase der Corona-Maßnahmen hat Nordrhein-Westfalen als erstes Bundesland die Notbremse wegen zu hoher Infektionszahlen gezogen. Nach dem Corona-Ausbruch unter den Beschäftigten von Westfleisch im Kreis Coesfeld griff die Landesregierung durch und schloss den Schlachtbetrieb vorübergehend.

Lockerungen in Coesfeld auf den 18. Mai verschoben

Wie NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) am Freitag mitteilte, werden zudem mehrere ab Montag vorgesehenen Lockerungen der Schutzmaßnahmen in dem Kreis im Münsterland um eine Woche auf den 18. Mai verschoben. Betroffen davon sind Lockerungen der Kontaktbeschränkungen sowie die Öffnung von Gaststätten, Tanzschulen, Fitness und Freizeitparks. Auch Geschäfte mit mehr als 800 Quadratmeter Verkaufsfläche dürfen am Montag in Coesfeld nicht öffnen.

Düsseldorf ordnete zudem an, die Mitarbeiter aller Schlachtbetriebe im Land auf das Virus zu testen. Eine entsprechende Anweisung habe das Gesundheitsministerium umgehend den zuständigen Bezirksregierungen gegeben, kündigte ein Regierungssprecher an. Man nehme die Häufung von Infektionen im Münsterland „sehr ernst“. Auch Unterkünfte von Werkvertragsarbeitern und Hygienemaßnahmen der Betriebe würden überprüft.

Infektionsfälle auch im Schwesterbetrieb im Kreis Recklinghausen

Bei Westfleisch waren bis Freitagabend 151 Infizierte von den Kreisbehörden registriert worden. Damit kämen im Kreis Coesfeld binnen einer Woche rechnerisch 61 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner. In dem Werk arbeiten 1200 Beschäftigte. Am Abend wurde zudem bekannt, dass sich in einem Westfleisch-Schwesterbetrieb in Oer-Erkenschwick im Kreis Recklinghausen weitere 33 Mitarbeiter mit dem Virus angesteckt haben. Außer im Kreis Coesfeld liegen laut Minister Laumann derzeit aber alle anderen Kreise und kreisfreien Städte in NRW deutlich unter der Corona-Obergrenze.

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Der Kreis Coesfeld wird damit zum Testfall für die neue „Corona-Notbremse“, die Bundeskanzlerin Merkel (CDU) am Mittwoch mit den Bundesländern vereinbart hatte. Demnach müssen von den lokalen Behörden Maßnahmen ergriffen werden, wenn die Zahl von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche überschritten werden. Ein „lokaler Lockdown“ in dem Kreis im Münsterland zeichnete sich zunächst jedoch nicht ab. Bei einem klar eingrenzbaren Infektionsgeschehen etwa in einer Einrichtung oder einem Betrieb können Auflagen der Behörden zur Corona-Eindämmung auch nur auf diese beschränkt werden.

Ein Westfleisch-Sprecher hatte noch am Donnerstag erklärt, die Krankheitsverläufe der betroffenen Mitarbeiter seien vergleichsweise mild. Das genossenschaftlich organisierte Unternehmen gehört mit einem Jahresumsatz von knapp 2,8 Milliarden Euro zu den größten Fleischproduzenten in Deutschland und hat weitere Standorte in NRW und in Niedersachsen.

"Keine bindende Rechtsverordnung"

Im Landkreis wurde am Freitag lange darum gerungen, wie man auf die Erhöhung der Neuinfektionen umgehen werde. Ein Kreissprecher wies gegenüber unserer Redaktion zunächst daraufhin, dass es noch keine bindende Rechtsverordnung des Landes gebe, wie bei einer Überschreitung des Wertes von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern zu strengeren Regeln zurückgekehrt werden müsse.

Landrat Christian Schulze Pellengahr (CDU) sagte, dass in den am Donnerstag gefassten Beschlüssen von Bund und Ländern ausdrücklich die Möglichkeit vorgesehen sei, die Beschränkungen auf die Ausbruchsstelle zu begrenzen, sofern der Ausbruch auf eine bestimmte Quelle zurückzuführen sei. Abgesehen von dem Ausbruch bei Westfleisch seien die Neuansteckungen im Kreis Coesfeld in den letzten Tagen stagnierend oder leicht rückläufig gewesen, so Schulze Pellengahr.

Debatte über "lokalen Lockdown"

Der Vorfall in Coesfeld wirft ein Licht auf die Diskussion über die konkrete Umsetzung der Corona-Obergrenzen. Die bange Frage lautet: Können Maßnahmen wie ein neuerlicher Lockdown auf rein kommunaler Ebene überhaupt durchgesetzt werden? Der Vorsitzende des NRW-Städtetages, Hamms Oberbürgermeister Thomas Hunsteger-Petermann (CDU) sieht die Städte und Gemeinden dafür durchaus gut aufgestellt. „Wir sind in der Lage, regional und lokal zu entscheiden. Wenn die Zahl der Neuinfektionen über die vorgesehene Grenze von 50 pro 100.000 Einwohner steigt, werden die Gesundheitsämter handlungsfähig sein“, verspricht Hunsteger-Petermann. Dabei sei es wichtig, sich regional und überregional abzustimmen.

Aus anderen Bundesländern war dagegen zuletzt Kritik an möglichen lokalen Lockdowns laut geworden. Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein (SPD) kritisierte, man verlasse damit den „Pfad der Einheitlichkeit“ endgültig. Der Krisenstab in Jena monierte, die Verantwortung werde so fast vollständig auf Kreise und Gemeinden abgewälzt. Der Deutsche Landkreistag forderte am Freitag einen flexiblen Umgang mit der Obergrenze. Auch unterhalb der Grenze von 50 Neuinfektionen gebe es keinen Grund für Entwarnung, sagte Präsident Reinhard Sager der Deutschen Presse-Agentur: „Bei einem Wert unter 50 ist das Virus noch da.“ Man dürfe sich nicht in falscher Sicherheit wiegen.

Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Fassung dieses Textes hieß es, dass im Betrieb in Oer-Erkenschwick 150 Personen mit dem Coronavirus infiziert seien. Das NRW-Gesundheitsministerium hat diese Angabe am Freitagabend auf 33 korrigiert.