Essen. Auch nach Angelique Kerbers erfolgreicher Tennis-Saison und der Top-Platzierung in der Weltrangliste, bleibt der Tennis-Boom in NRW-Clubs bislang aus.

Spiel – Satz – Sieg: Als erste deutsche Tennis-Spielerin erklimmt Angelique Kerber die Weltspitze nach Steffi Graf. Das Turnierjahr war aus deutscher Sicht überaus erfolgreich und packend. Kerber gewann zwei von drei Grand-Slam-Finals, errang Silber bei den Olympischen Spielen in Rio und krönte sich zum Abschluss zur Weltranglistenersten. Aber das reicht nicht aus, um Nachwuchsspieler für den Tennissport zu gewinnen.

Becker und Graf waren zuverlässige Publikums-Garanten

Steffi Graf hatte in den 1980er Jahren mit Boris Becker einen wahren Tennis-Boom ausgelöst. Tausende junge Spieler zog es in die Tennisvereine, die genauso spielstark und berühmt werden wollten, wie ihre Idole Graf und Becker. Aber Deutschland ist längst keine Tennis-begeisterte Nation mehr. Der Ruhm der Alt-Spieler ist Geschichte, erfolgreiche Talente danach gab es kaum noch – zumindest keine, die die Massen mitreißen konnten.

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Die Mitgliedszahlen sind rückläufig: seit 1995 gehen dem Deutschen Tennis Bund (DTB) Spieler verloren. Von fast 2,3 Millionen Tennisspielern 1994 sind 22 Jahre später nur knapp 1,4 Millionen Spieler übrig geblieben, fast 300.000 davon in NRW. Der Tennis-Hype flaute spürbar in den 90ern ab, nachdem sich Becker, Graf und Co. aus dem Tennissport zurückgezogen hatten. Es gab keine Spieler mehr, für die das deutsche Herz höher schlug. Nun steht Kerber im Rampenlicht. Schafft es die junge Deutsche den Sport populärer zu machen?

„Im Moment sieht es eher nicht danach aus“, sagt Nora Kortländer vom Westfälischen Tennis-Verband (WTV) in Kamen, der mit über 128.000 aktiven Spielern der viertgrößte deutsche Verband ist. Insgesamt gehören 18 Verbände zum DTB, der nach eigenen Angaben der mitgliederstärkste Tennisverbund weltweit ist.

Bislang noch kein deutscher Tennis-Boom in Sicht

Trotz Kerbers großer Erfolge, schaffte es der DTB nicht, mehr Spieler für den Sport zu begeistern. Mit 0,88 Prozent Mitglieder-Schwund, ist der deutschlandweite Abgang von 12.496 Spielern aber geringer, als in den fünf vorigen Jahren, in denen jährlich etwa zwei Prozent der Mitglieder den Tennisschläger an den Nagel hängten. In den NRW-Verbänden sind es dagegen mit knapp 4000 Mitgliedern rund 1,4 Prozent weniger als noch im Vorjahr.„Unsere Zahlen sind zwar leicht rückläufig, aber nicht so stark wie sie es mal waren“, sagt Kortländer. „Viele neue Mitgliedschaften sind sicherlich der Person Angelique Kerber zu verdanken.“

Die kleinen Vereine spüren bisher keinen Auftrieb. „Der große Hype ist ausgeblieben, zumindest im letzten halben Jahr kamen nicht mehr Mitglieder zu uns“, sagt Ilona Grüneboom vom Professional Management Team Ruhr (PMTR). Die Tennis-Akademie, mit Standorten in Duisburg, Mülheim und Düsseldorf, ist Anlaufpunkt für junge und alte Tennisbegeisterte. „Der Boom könnte sich jetzt nach dem neuerlichen Erfolg Angelique Kerbers niederschlagen, aber bis Mitte des Jahres waren unsere Zahlen stabil.“

Langfristig sei es außerdem schwer die Jugend für den trainings-intensiven Sport zu motivieren, denn die jungen Spieler müssten für die Tennisausbildung viel Freizeit opfern. „Unser Schulsystem mit Ganztags-Auslastung erschwert die Förderung im Sport“, erklärt Grüneboom vom PMTR.

Die Tennis-Minis könnten langfristig für Aufwind sorgen

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Kleine Zuwächse kann der DTB aber auch in diesem Jahr vermelden. Bei den Unter-Sechsjährigen sind es 862 junge Spieler mehr als im Vorjahr. „Wir machen schon in den Kindergärten Werbung und bieten ein Bewegungsabzeichen für die Konditionsförderung an“, sagt WTV-Sprecherin Kortländer. Es könnten auch tennisspielende Eltern sein, die den Nachwuchs zum Sport mit der grünen Filzkugel animieren. Einen weiteren Zuwachs gibt es bei den Über-60-Jährigen. Kortländer: „Immer mehr Senioren halten sich mit Tennis fit.“ Dazu gestoßen sind in dieser Altersgruppe deutschlandweit 3347 Spielerinnen und Spieler.

Die Zahlen belegen, dass Tennis kein Breitensport mehr ist. Und so tun sich auch die Medien schwer, in Fußball-Deutschland über irgendeinen anderen Sport so intensiv zu berichten. Gleiches gilt für die Fernseh-Sender. In den öffentlich-rechtlichen Kanälen ist Tennis nicht mehr vertreten, Spartensender wie Eurosport fangen das Interesse auf. „Tennis findet im Fernsehen kaum statt“, sagt Kortländer. Dennoch schlugen sich bei Kerbers US-Open-Sieg 1,06 Millionen Tennis-Fans die Nacht um die Ohren. Ein großer Erfolg für Eurosport. Anscheinend aber zu wenig Zuschauer, um für die großen Sender interessant zu sein.

Dem Tennis fehlen medienwirksame Werbegesichter

Auch die Werbebranche ist bislang nicht auf Frau Kerber als Testimonial angesprungen. Hier sind andere Sportler im Fokus gewesen: Die Klitschko-Brüder, die ungesunde Creme-Biskuits verschlingen, Sebastian Vettel, der den besten Reifen-Händler empfiehlt oder die Biathleten, die regelmäßig alkoholfreies Gerstenbräu genießen. Junge Menschen werden über die Medien auf Sportarten aufmerksam. Fehlt das öffentliche Interesse komplett, wird dieser Sport kaum hohen Zulauf erwarten können.

Sportler und Prominente nutzen Kanäle wie Facebook, Instagram oder Twitter zur Eigenvermarktung. Diese Plattformen werden zwar von Kerber auch bedient, jedoch erreicht sie bislang über Facebook mit knapp 800.000 Followern weit weniger Menschen, als es Tennisgrößen wie der Spanier Rafael Nadal oder die Amerikanerin Serena Williams mit über 14 und rund 5 Millionen Anhängern schaffen. Das mag daran liegen, dass beide zuletzt genannten Tennis-Asse schon seit längerer Zeit ganz oben in der Weltspitze mitspielen. Auf der anderen Seite könnte Kerber ihre Aktivität in den sozialen Medien sicherlich noch steigern.

Und trotzdem: die Aufmerksamkeit, die Graf und Becker in den 1980er und 90er Jahren zuteil wurde, wird es in dieser Form wohl nicht mehr geben. „Ob Kerber es in der kommenden Zeit schaffen wird, Tennis wieder attraktiver zu machen, bleibt abzuwarten", resümiert Kortländer. So lange sie auf der Gewinner-Welle surft, stehen die Chancen dafür jedenfalls besser als zuvor.