Essen. Die neue Weltranglisten-Erste Angelique Kerber erinnert uns daran, wie verliebt wir einst in Tennis waren. Sie verdient mehr Präsenz – ein Kommentar.

Angelique Kerber erreichte 2011 als umgesetzte Spielerin und Nummer 92 der Weltrangliste das Halbfinale der US Open. Fünf Jahre sind seitdem vergangen. Und jetzt, da die 28-Jährige aus Bremen in der Nacht zum Freitag die neue Nummer 1 im Welttennis geworden ist, als erste Deutsche seit Steffi Graf, müssen wir beschämt zu Boden blicken.

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Tennis hat in Deutschland längst die Bedeutung verloren, die der Weiße Sport in den Zeiten von Boris Becker, Steffi Graf und Michael Stich hatte. Nicht ein einziges Turnier von Weltformat findet noch auf deutschem Boden statt. Die Fernsehsender übertragen lieber Viertliga-Fußball zwischen Wuppertal und Aachen als die Auftritte von Weltstars wie Novak Djokovic, Serena Williams oder Andy Murray. Ihre beste Begründung: Der Zuschauer will es so. Ist das nicht schade?

Erinnerungen an die Schlachten von Becker und McEnroe

Angelique Kerber erinnert uns alle daran, wie verliebt wir in Tennis waren. Wie wir nachts aufstanden, um die Tennis-Schlachten von Boris Becker und John McEnroe in Hartford live am TV-Bildschirm zu erleben. Wir erinnern uns an den verrückten Jimmy Connors, der sein Publikum in Ekstase versetzte, und an das müde Lächeln von Björn Borg. Generationen von Tennis-Helden brachten uns bei, dass der Tie-Break keine Teepause ist.

Und nun Angelique Kerber. Die Zeitungen werden morgen große Fotos ihres Glücks zeigen. Das Fernsehen mitten in der Nacht Bilder von ihrem Finale bei den US Open gegen die Tschechin Karolina Pliskova. Wie im Januar, als Kerber im Finale der Australien Open aufschlug (und gewann), oder beim Olympia-Finale von Rio de Janeiro (und verlor).

Genießen wir das Steffi-Gefühl, das Kerber uns gibt!

Genießen wir diese Momente, solange Angelique Kerber uns dieses Steffi-Gefühl geben kann. Lassen wir die Hoffnung in uns keimen, dass ARD und ZDF begreifen, dass es zu ihrem Sendeauftrag auch gehört, zumindest von den Grand-Slam-Turnieren in Melbourne, Paris, London und New York mit einer Ernsthaftigkeit zu berichten, wie es die Öffentlich-Rechtlichen beim DFB-Pokal tun.

Frau Kerber ist jetzt die Nummer eins und die neue Tennis-Königin. Und am Ende des Jahres vielleicht die deutsche Sportlerin des Jahres. Und beides steht ihr zu: mehr Präsenz im deutschen Fernsehen und die Auszeichnung im deutschen Sport. Sie hat mehr verdient als nur das Preisgeld von 3,5 Millionen US-Dollar in New York. Leider sieht die Wirklichkeit etwas anders aus.

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