Berlin. Nina und Robert leben vegan. Auch ihre Kinder bekommen keine tierischen Produkte auf den Teller. Was Ärzte zu ihrer Ernährung sagen.
Mit ihren sechs Jahren hat Emilia noch nie Fleisch gegessen, auch keinen Fisch, Eier oder Käse probiert. „Einmal hat sie bei ihrer Oma Kuhmilch getrunken, aber das fand sie ganz eklig“, sagt ihre Mutter Nina. Auch ihr dreijähriger Sohn Ben isst nichts, was von einem Tier stammt, nicht mal Honig kommt auf sein Frühstücksbrötchen. Damit ernährt sich die komplette Familie vegan, verzichtet also auf alle tierischen Produkte. Auf ihrem Speiseplan stehen rein pflanzliche Gerichte.
Seit fast zwölf Jahren lebt das Ehepaar Nina und Robert aus Bayern vegan. Weil sie Bedenken vor Hasskommentaren haben, möchten sie hier nicht mit Nachnamen erwähnt oder mit Bild gezeigt werden. Denn für ihre Entscheidung, auch ihre Kinder vegan zu ernähren, ernten sie oft kritische Blicke und werden sogar beleidigt. „Das Thema triggert sehr viele Menschen. Manche wollen uns belehren, andere werfen uns Kindeswohlgefährdung vor“, sagt Robert, der aus ethischen Gründen nichts vom Tier essen möchte.
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Noch vor der gemeinsamen Beziehung lebten Nina und Robert vegetarisch, aßen kein Fleisch oder Fisch. Mit Ende 20 entschied sich das Paar dann gemeinsam dafür, konsequent auf alle tierischen Produkte zu verzichten. „Und als ich schwanger wurde, war es für uns klar, dass wir auch unsere Kinder vegan ernähren möchten, denn wir wollten ihnen von Anfang an unsere Werte mitgeben“, berichtet Nina. Bereits in ihrer Schwangerschaft musste sie besonders auf eine ausreichende Nährstoffzufuhr achten. Noch öfter als bei anderen Schwangeren wurde bei Nina eine Blutabnahme angeordnet, um die kritischen Werte wie Eisen oder B 12 zu kontrollieren. Denn die wissenschaftliche Empfehlung für Schwangere lautet: Möglichst nicht vegan ernähren.
Kinderärzte raten von veganer Ernährung für Kinder ab – vor allem bei den Kleinsten
„Ich habe Folsäure und Eisen in Tablettenform genommen und einmal im Monat habe ich zusätzlich eine B12-Infusion erhalten“, berichtet die heute 38-Jährige. Nach ihrer eigenen Aussage hatte sie zwei unkomplizierte Schwangerschaften und Geburten. „Ich bin überzeugt, dass meine Ernährung, die sehr viel Gemüse und Hülsenfrüchte enthält, dazu beigetragen hat, dass ich mich wohl und fit in den Schwangerschaften gefühlt habe“, sagt Nina.
Trotzdem wurden die Eltern sowohl bei Schwangerschafts- als auch später bei Kinderuntersuchungen regelmäßig von den Ärzten darauf hingewiesen, dass eine vegane Ernährung aus medizinischer Sicht nicht ausreichend ist, um den Nährstoffbedarf von Schwangeren und Kindern zu decken. „Wir nehmen Nährstoffmangel sehr ernst und achten explizit darauf, dass sowohl wir als auch unsere Kinder gut versorgt sind“, versichert Robert. Der 37-Jährige ist der Meinung, dass eine vegane Ernährung sowohl Erwachsenen als auch Kindern besser tut als eine omnivore, also eine Mischkost.
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Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen teilt diese Meinung ausdrücklich nicht und spricht sogar eine klare Warnung vor der veganen Ernährung von Kindern aus – vor allem bei den Kleinsten. „Zu keinem Zeitpunkt reagiert der Organismus empfindlicher auf Nährstoffmangel als im Kleinkind- und Säuglingsalter“, sagt Verbandssprecher und Kinderarzt Jakob Maske. Bei einer rein pflanzlichen Ernährung sei die Versorgung mit Vitaminen, Eiweiß und bestimmten Fettsäuren sowie Spurenelementen kritisch. Besonders ein Mangel von Vitamin B12 kann lebensgefährlich werden. „Eine Unterversorgungen mit Vitamin B12 kann im Wachstum befindliche und daher besonders empfindliche Organe eines Säuglings oder eines Kleinkindes auf Dauer schädigen“, mahnt der Kinderarzt. Vor allem die neurologische Entwicklung könnte durch eine Unterversorgung dauerhaft gefährdet werden.
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Vegane Eltern: Warum sie ihre Kinder regelmäßig zur Blutabnahme schicken
Warum Kinderärzte vor allem die Versorgung mit B12 bei Veganern so kritisch sehen, liegt an der Tatsache, dass das Vitamin nicht in pflanzlichen Lebensmitteln vorkommt. „B12 ist an verschiedenen Stoffwechselvorgängen beteiligt, wie der Blut- und Zellbildung, ist aber auch besonders wichtig für das Nervensystem“, erklärt Jakob Maske. Während ein Vitamin B12-Mangel bei Erwachsenen womöglich erst nach Jahren zu Symptomen wie Müdigkeit, Gedächtnisschwäche oder depressiven Verstimmungen führt, könne ein Mangel bei Kindern schnell neurologische Entwicklungsstörungen verursachen. „Wir sprechen dabei von neurologisch Schäden, die irreversibel sind“, warnt der Kinderarzt.
Auch die vegane Ernährungsberaterin Nanine Roth hält einen Nährstoffmangel für gefährlich. „Ein Defizit an essenziellen Nährstoffen kann aber bei allen Ernährungsformen auftreten“, macht die Ernährungsberaterin klar. Seit 14 Jahren ernährt sie sich vegan. Auch ihre beiden Kinder (5 und 3 Jahre) essen nur pflanzliche Kost. In ihrer Arbeit berät sie Familien, die ihre Kinder vegan ernähren möchten und berichtet von immer mehr interessierten Eltern. Laut einer repräsentativen Forsa-Umfrage aus dem 2023 ernähren sich etwa drei Prozent der Deutschen mittlerweile vegan. „Vegane Ernährung kann durchaus den Nährstoffbedarf von Kleinkindern, aber auch von größeren Kindern und Schwangeren decken, wenn man einige Regeln beachtet. Dazu gehört auch eine Supplementierung von B 12 sowie regelmäßige Blutabnahme“, sagt Nanine Roth.
Einmal im Jahr lässt sie ihre Blutwerte ärztlich kontrollieren. Auch bei ihren beiden Kindern lässt sie eine Blutabnahme durchführen. „Gerade in der Kindheit sind jährliche Checks empfehlenswert, um einem möglichen Nährstoffmangel rechtzeitig zuvorkommen zu können“, erläutert die Ernährungsberaterin. Grundsätzlich hält sie eine regelmäßige Blutabnahme bei allen Kindern für sinnvoll: „Gerade Eisenmangel ist in der Kindheit und Pubertät nicht selten.“ Auch Nina und Robert gehen mit ihren Kindern jährlich zum ärztlichen Check-up.
Vegane Kinder: „Die bekommen jeden Tag ein Gummibärchen mit B12“
Um den Bedarf an Vitamin B12 zu decken, nehmen sowohl die Kinder von Nina und Robert als auch von Nanine Roth täglich Nahrungsergänzungsmittel. „Die bekommen jeden Tag ein Gummibärchen, das mit B12 angereichert ist. Das funktioniert ganz unkompliziert“, erzählt die vegane Ernährungsberaterin. Nina und Robert verabreichen ihren Kindern einen B12-Vitaminsaft.
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Auch der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen rät dringend zu einer B12-Supplementierung, falls Eltern ihre Kinder vegan ernähren möchten. Kinderarzt Jakob Maske hält eine Supplementierung trotzdem nicht für optimal: „Eine richtige Dosierung von Vitaminen und Spurenelementen lässt sich nur schwer ausrechnen. Außerdem ist auch die Verfügbarkeit der Nährstoffe anders. Zum Beispiel kann der Körper Eisen aus tierischen Lebensmitteln deutlich besser aufnehmen als aus vielen Präparaten.“
Sowohl Nanine Roth als auch die Eheleute Nina und Robert beteuern, dass ihre Kinder optimal versorgt. „Ich würde nie die Gesundheit meiner Kinder aufs Spiel setzen, wenn ich nicht vollkommen sicher wäre, dass sie genügend Nährstoffe bekommen“, erläutert Nanine Roth. Sie weißt daraufhin, dass die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) die vegane Ernährung für Kinder nicht mehr kategorisch ablehnt, „sondern eben sich nich dafür ausspricht, das es noch keine ausreichende Studienlage dazu gibt.“
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Kinderarzt Jakob Maske hält dagegen eine flexitarische Ernährung, bei der viele pflanzliche Lebensmittel, aber ab und zu Fisch oder auch Fleisch gegessen wird, für Kinder und Jugendliche am besten. „Es ist durchaus verständlich, wenn man aus Umweltgründen sich vegan ernähren möchte. Aus gesundheitlichen Gründen empfehlen wir Kinder- und Jugendärzte diese Ernährungsform aber nicht“, macht der Mediziner klar.
Doch wie gestaltet sich der vegane Alltag mit Kindern? Essen sie alle Gemüsesorten und greifen selbst zu Tofu? „Ja, unsere Kinder sind es von Anfang an gewohnt, bunt zu essen. Vegane Ernährung ist ja sehr vielschichtig. Man muss sich nicht nur von Brokkoli und Reis ernähren“, sagt Robert. Um den Nährstoffbedarf bei veganen Kindern zu decken, empfiehlt die Ernährungsberaterin viele Hülsenfrüchte in den Speiseplan zu integrieren: „Hülsenfrüchte wie etwa Kichererbsen, Linsen oder Bohnen sind nicht nur sehr gute Eiweißlieferanten, sie sind auch reich an Eisen, Calcium und Zink“. Lust auf tierische Lebensmittel hätten ihre Kinder nicht, sagt die Ernährungsberaterin. „Sie sind es gewohnt, immer eine Alternative zu haben – ob süß oder herzhaft.“
Nina und Robert würden ihre Kinder am liebsten bis zu ihrer Jugend vegan ernähren. „Dann können sie selbst entscheiden, ob sie weiterhin vegan leben möchten oder doch etwas vom Tier essen möchten“, sagen die Eltern.