Berlin. Eltern können mit Kindern Glück trainieren, sagt Forscher Tobias Rahm. Er hat an Grundschulen Glück unterrichten lassen und gibt Tipps.

„Glück lässt sich trainieren. Und je früher wir damit beginnen, desto besser“, sagt Tobias Rahm. Der Wissenschaftler vom Institut für Pädagogische Psychologie der TU Braunschweig hat Glück auch in der Schule lernen lassen. Im Interview erklärt er, wie Glücksunterricht funktioniert und wie Eltern ihren Kindern helfen können, Glück zu empfinden.

Herr Rahm, können Sie definieren, was Glück ist?

Tobias Rahm: Darauf gibt es sehr komplexe Antworten. Ich sage immer: Glück heißt gute Gefühle zu haben und gut mit negativen Gefühlen umgehen zu können. Glück heißt aber auch, zu einer positiven Bewertung im Leben zu kommen und in einer Umgebung zu leben, in der ich meine Potenziale entfalten kann.

Sie sagen, dass wir Glück trainieren können. Wie?

Rahm: Glückstraining funktioniert vor allem über Reflexion. Das heißt: Ich muss angeregt werden, über Dinge nachzudenken und ehrlich Bilanz zu ziehen. Oft stecken wir zeitlich in einem so engen Korsett, dass wir Prioritäten falsch setzen: Wir arbeiten ein Programm ab, statt zu verändern, was uns nicht gefällt.

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Glück zu trainieren heißt, ehrlich Bilanz zu ziehen

Welche Fragen sollten wir uns zum Glücksichsein stellen?

Rahm: Was macht mir positive Gefühle und welche Vorteile hat es, öfter positive Gefühle zu haben? Das gleiche können wir mit den unangenehmen Gefühlen machen. Wie können wir es schaffen, aus ungewollt negativen Emotionen wieder herauszukommen? Dabei geht es nicht darum, dass wir uns nicht ärgern dürfen oder auch mal traurig sind. Es geht mehr um eine Bilanz meiner Lebenszufriedenheit. Habe ich das, was ich brauche? Und ist es das, was ich will? Sich solche Gedanken bewusst zu machen, fördert das Glücksempfinden.

Sie haben gemeinsam mit Carina Mathes das Projekt Glückskompetenz in der Grundschule ins Leben gerufen. Können Sie das Projekt kurz beschreiben?

Rahm: Wir haben Studierende dafür ausgebildet, im Beisein von Lehrkräften an Grundschulen in Braunschweig insgesamt elf Glücksstunden durchzuführen. Die Termine erstreckten sich über insgesamt drei Monate.

Was waren die Inhalte der Glücksstunden?

Rahm: Die Schülerinnen und Schüler haben sich damit beschäftigt, was Glück eigentlich ist. Was gehört für sie dazu, was sind Erlebnisse, bei denen sie so etwas fühlen? Sie haben aber auch etwas gelernt, über neuronale Plastizität zum Beispiel. Was es bedeutet, wenn ich Dinge übe und wiederhole. Und das kann man ja auf das Empfinden guter Gefühle anwenden. Wenn ich meine Aufmerksamkeit darauf richte und dem häufiger nachspüre, ist es für unser Gehirn einfacher, diese Bahnen zu reaktivieren und dieses Gefühl wieder zu empfinden.

Tobias Rahm
Glück ist erlernbar, sagt Tobias Rahm vom Institut für Pädagogische Psychologie der TU Braunschweig. © TU Braunschweig | Markus Hörster

Sie haben das Projekt auch wissenschaftlich ausgewertet. Mit welchem Ergebnis?

Rahm: Es gab zwei signifikante Ergebnisse: Einen Monat nach Ende des Programms haben die Kinder der Glücksklasse weniger von negativen Emotionen berichtet als die Kinder der Kontrollklasse. Und ein weiterer Effekt zeigte sich an einer Bewertung durch die Eltern. Die Eltern der Kinder der Glücksklasse haben das psychische Wohlbefinden ihrer Kinder höher eingeschätzt als die Eltern der Kontrollklasse.

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In welcher Form können Eltern ein Glückstraining begleiten oder unterstützen?

Rahm: Wir wissen, dass Glückserleben, Resilienz und Bindungssicherheit bei Kindern vor allem durch die Elternhäuser geprägt werden. Sie haben einen großen Einfluss. Wir haben deshalb die Eltern ermutigt mitzumachen. Wir haben ein Video zur Verfügung gestellt und nach jeder Stunde einen Elternbrief nach Hause geschickt. Eltern sollten Fragen stellen: Welche Glückstipps habt Ihr heute bekommen? Oder sie sollten mit den Kindern gemeinsam darüber nachdenken, was Glück ist. Einmal sollten sie auch am Abendbrottisch davon berichten, was ihnen am Tag Gutes widerfahren ist und ihr Kind dann auch danach fragen.

Funktioniert die Unterstützung von Kindern vor allem über Gespräche?

Rahm: Nicht nur. Ein praktischer Vorschlag beispielsweise war das Basteln einer Familienschatztruhe. Da kommt Positives hinein, um gute Erinnerungen zu schaffen - schöne Fotos, ein netter Brief, beliebte Andenken. Diese positiven Dinge kann man dann zu bestimmten Anlässen wieder auspacken. So kultiviert man positive Gefühle und gute Geschichten. Gut angekommen ist aber auch die Anleitung für eine Traumreise, also eine Imaginationsübung. Dabei schließen die Kinder die Augen und reisen zu schönen Orten, an denen sie sich sehr wohlfühlen. Bei Bedarf können sie diese Orte dann wieder aufsuchen.

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Schule in Australien lehrt zweimal pro Woche positive Bildung

Ab welchem Alter kann ich Glück trainieren?

Rahm: Wir können schon in der Kindheit und Jugend die Weichen stellen für gutes Emotionsmanagement. Und dafür, dass wir Bescheid wissen über unsere Stärken und Glücksquellen. Das strahlt ins Leben ab. Und man kann auch mit jüngeren Kindern schon über positive Gefühle oder Erinnerungen sprechen oder diese spielerisch behandeln.

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Warum ist das aus Ihrer Sicht wichtig?

Rahm: Ich will an dieser Stelle sagen, dass ich glaube, dass das in Familien, Kindergärten oder Schulen durchaus schon passiert. Wir sollten aber expliziter Räume dafür schaffen.

Was schwebt Ihnen vor?

Rahm: Es gibt eine Schule in Australien, die das Fach positive Bildung lehrt. Das belegen Schülerinnen und Schüler von der Vorschule bis zur Abschlussklasse, zwei Stunden pro Woche. Und man weiß aus wissenschaftlichen Auswertungen, dass sich dieses Fach positiv auf viele Lebensbereiche auswirkt. Ich bin absolut überzeugt, dass das der richtige Weg ist.

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Wenn wir eine Gesellschaft haben wollen, in der es weniger Depression und mehr Wohlbefinden gibt, dann müssen wir in der Schule ansetzen. Glücks- und Präventionsunterricht ist ein Gebot der Stunde, vor allem in einer Zeit sich überlappender Krisen, die Kinder und Jugendliche psychisch sehr belasten. Je mehr wir belastete Kindheiten zulassen, desto mehr fällt uns das Jahrzehnte später auf die Füße.