Berlin. Produkte mit Eiweiß-Zusatz stapeln sich in den Supermarktregalen. Aber für Spirulina-Pulver und Co. Geld ausgeben? Das Angebot im Check.
Sie werden beworben als der Stoff für mehr Muskeln, mehr Kraft, sogar mehr Schönheit und Gesundheit: Proteine, also Eiweiß. Früher zog da der allgemeine Werbeslogan der Lebensmittelindustrie „Fleisch ist ein Stück Lebenskraft“, üblicherweise: das Steak. Heute, wo ein Übermaß an Fleisch als nicht gesund, der Verzehr vielen auch aus Tier- und Umweltgründen unbehaglich scheint, ist das anders. Es bleibt auch nicht bei Fisch. Heute türmen sich in den Supermärkten Heuschrecken-Riegel, Spirulina-Pulver, das Milchprodukt Skyr. Darauf Label wie: „High-Protein“, „Reich an Protein“, „Proteinquelle“. Ist das mehr als nur Marketing?
Ohne Proteine geht es nicht, das ist außer Frage. „Der Mensch braucht sie“, sagt Antje von Gahl von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Er baue mit den Proteinen Muskeln auf. Eiweiße seien auch Grundbausteine von Knochen oder Bindegewebe und für viele lebensnotwendige Funktionen wie Blutgerinnung und Immunsystem unentbehrlich.
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Eiweiß: Wann ist der Aufdruck „High Protein“ erlaubt?
Nur: Die Fitnessstudios hätten den Appetit auf eine Extraportion Protein geweckt, Pulver und Shakes angepriesen. Das war schon vor einigen Jahren. Dann sei dieser Trend im klassischen Lebensmittelhandel angekommen. Nun prange auf Produkten im Kühl-, im Müsli-, im Quengelwarenregal, in Supermärkten, in Drogerien das Etikett „Proteinquelle“. Diese Angabe dürften Produkte tragen, wenn mindestens 12 Prozent des Energiegehaltes aus Protein stammen, ab 20 Prozent sei auch der Aufdruck „High-Protein“ erlaubt. Für Verbraucher ist schwer zu erkennen, was taugt. Das Angebot aber lässt sich grob sortieren.
Der Klassiker: Quark, ein tierisches Lebensmittel mit natürlicherweise hohem Proteingehalt, der heute gerne besonders beworben wird, auch wenn Veganer zu ihm genauso wenig greifen wie zum Steak. Immer öfter steht im Kühlfach daneben der Skyr. Das Milchprodukt kommt ursprünglich aus Island und wird als proteinreiche Alternative zu Joghurt gehandelt.
Gegen Skyr sei nichts einzuwenden, sagt Gahl: „Als Naturprodukt ohne Frucht- und Zuckerzusatz ist er von den Nährwerten vergleichbar mit Magerquark und Magerjoghurt.“
Die Herausforderung: Seit 2021 dürfen die ersten Lebensmittel aus essbaren Insekten in der EU verkauft werden. Auf dem Speiseplan zum Beispiel erlaubt: Mehlwürmer, Wanderheuschrecken, Hausgrillen. Zu haben sind sie, so die Verbraucherzentralen, als ganzer Snack, in Schokolade oder Honig, verarbeitet als Insektenmehl in Nudeln oder eben in Proteinriegeln und -pulvern.
Proteine allein machen es nicht
Nur Proteine zu sich nehmen? Für den Aufbau und Erhalt von Muskeln reicht das laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung nicht. Dafür müsse sich der Mensch auch bewegen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt pro Woche mindestens 2,5 Stunden moderat oder 1,25 Stunden intensive körperliche Aktivität auszuüben. (HG)
Eine Fleischalternative gilt als Proteinquelle der Zukunft
Noch mag das vielen Menschen hierzulande nicht so recht schmecken. Doch gelten Insekten als Proteinquelle der Zukunft. Die Verbraucherzentralen erklären: „Werden Insekten gefriergetrocknet, erhöht sich deren Proteinanteil. So haben Mehlwürmer gefriergetrocknet einen Proteinanteil von 50,9 Prozent statt 18,7 Prozent frisch.“ Frisches Rindfleisch hingegen habe 22,3 Prozent, Schweine- und Hühnerfleisch 22,8 Prozent Eiweiß.
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Damit sind Insekten als Fleischalternative sehr interessant, zumal ihre Produktion als umweltfreundlicher gilt. Vorsichtig solle allerdings sein, wer allergisch auf Muscheln, Krebstiere oder Hausstaubmilben reagiert, erklärt Karen Ildico Hirsch-Ernst, Expertin des Bundesinstituts für Risikobewertung. Insekten hätten ähnliche Proteine. Darum sei auch ein Blick auf das Produkt entscheidend. Insekten müssen, sind sie in einem verpackten Lebensmittel enthalten, auf der Zutatenliste auftauchen.
Die Unscheinbaren: Algen werden gern als echtes Kraftpaket angepriesen, als Protein-Star unter ihnen gilt Spirulina. Grundsätzlich wird unterschieden zwischen den winzig kleinen Mikroalgen und den großblättrigen Makroalgen. Zu letzteren gehören etwa die Rotalge Nori, die zu Blättern gepresst Sushi-Rollen zusammenhalten, die Braunalge Wakame, die die japanische Misosuppe würzt oder die Grünalge Ulva, also der Meeressalat.
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Die Spirulina ist eine Mikroalge. Sie wird als Nahrungsergänzung in Form von Tabletten, Presslingen, Pulver oder Flocken angeboten. Bei den Verbraucherzentralen allerdings heißt es: „Das prinzipiell hochwertige Eiweiß ist aufgrund der geringen Tagesmengen als Nahrungsergänzungsmittel (2 Gramm) bedeutungslos.“
Ernährungsexpertin Gahl erklärt: „Ein Erwachsener braucht täglich etwa 0,8 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht, wer 68 Kilo wiegt, also 54 Gramm Protein pro Tag.“ Für diese Menge reichten über den Tag verteilt zum Beispiel zwei Scheiben Vollkornbrot mit Erdnussmus zum Frühstück, sie brächten 15 Gramm Protein, plus 250 Gramm Ofenkartoffeln mit 150 Gramm Quark zum Mittag, die 25 Gramm ausmachten, und am Abend dann 150 Gramm gegarte Linsen, so dass nochmal 14 Gramm hinzukämen.
Dieses Risiko bergen „High-Protein“-Produkte
„Selbst Menschen, die aufgrund ihres Alters oder bei Leistungssport einen höheren Proteinbedarf haben, können ihn über herkömmliche proteinreiche Lebensmittel decken“, sagt Gahl. Darunter könnten dann auch eigentlich Altbekannte sein: Linsen oder Erbsen. Linsen und Erbsen hätten lange den Ruf eines Arme-Leute-Essen gehabt. Heute nicht mehr, mittlerweile würden Linsen selbst zu Nudeln verarbeitet.
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High-Protein-Produkte würden sogar ein Risiko bergen: Sie lieferten meist mehr Protein, als nötig sei. Der Körper baue überflüssiges Protein ab, der dabei entstehende Harnstoff müsse mit dem Urin ausgeschieden werden. Gesunden Erwachsenen schade das nicht, Menschen mit eingeschränkter Nierenfunktion aber schon. Viel Wasser zu trinken sei bei hoher Proteinzufuhr in jedem Fall wichtig. Das Geld für die Produkte, die mit der „Extra-Portion-Eiweiß“ beworben werden, lasse sich besser sparen. Gahl: „Ein Proteinporridge mit 28 Gramm Protein kostet zum Beispiel 1,40 Euro pro 100 Gramm. Bio-Haferflocken mit 13 Gramm Protein sind ab etwa 20 Cent für 100 Gramm zu haben.“
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