Berlin. Auch wenn sie es nicht zugeben: Nicht selten haben Eltern ein Lieblingskind. Wie sie trotzdem allen Kindern gegenüber fair bleiben.
Auf die Frage, ob sie ein Lieblingskind haben, antworten die meisten Eltern vermutlich mit einem Nein. Dabei es ist gar nicht so selten, dass Eltern sich zeitweise einem Kind näher fühlen als seinen Geschwistern. Doch wie kann sich so eine Bevorzugung auf die Kinder auswirken? Und was können Eltern tun, um fair zu bleiben?
Wieso ein Kind zum Lieblingskind wird, hat unterschiedliche Gründe. Das Lieblingskind kann auch phasenweise wechseln. Denn: Es ist nicht ungewöhnlich, dass Eltern sich für einen gewissen Zeitraum einem Kind zugewandter fühlen. Das kann zum Beispiel daran liegen, dass ein Kind in einer schwierigen Phase mehr Aufmerksamkeit braucht als die anderen. Oder Eltern fühlen sich in ihren Interessen mit einem Kind etwas stärker verbunden. So auch bei Lena E., die in ihrer Kindheit das Gefühl hatte, dass ihre Eltern den Bruder bevorzugten.
Auch interessant
Lieblingskind: Bevorzugung zeigt sich ganz unterschiedlich
Ungleiche Behandlung kann sich dabei ganz unterschiedlich zeigen: „Bevorzugung zeigt sich oft auf subtile Weise, zum Beispiel durch mehr Zuwendung oder Zeit“, erklärt Yvonne Zeisig, leitende Psychologin am Vivantes Humboldt-Klinikum in Berlin. Oder sie zeige sich durch weniger Strenge in Konflikten. „Ein Kind wird vielleicht bestraft, während ein anderes nur ermahnt wird.“ Auch Lena erlebte dies in ihrer Familie: „Ich hatte das Gefühl, dass unsere Eltern meinen Bruder mehr gelobt haben.“
Doch nicht nur Eltern gehen mit ihren Kindern manchmal unterschiedlich um. „Auch Verwandte können Kinder unterschiedlich behandeln“, sagt Zeisig. Wie stark das auffällt, hängt davon ab, wie eng die Beziehung zu den Verwandten ist. „Mein Bruder hat viel Zeit mit unseren Großeltern verbracht, auch, weil er der Erstgeborene ist“, erinnert sich Lena. Sie seien zusammen in den Urlaub gefahren, hätten Interessen geteilt. „Natürlich hatte er dadurch einen höheren Stellenwert als ich.“
Geschlechterrollen: So stark beeinflussen sie die Entwicklung
Oft spielen auch gesellschaftliche Erwartungen eine Rolle, zum Beispiel durch das Geschlecht des Kindes. Hier beeinflussen patriarchale Rollenvorstellungen noch immer die Erziehung. Denn: Kinder orientieren sich an ihren Eltern als Vorbilder. Einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft zufolge übernehmen in vielen deutschen Haushalten Frauen noch immer einen Großteil der Haus- und Care-Arbeit. Wachsen Kinder in einem Haushalt mit klassischer Rollenverteilung auf, übernehmen sie manchmal diese Muster.
- Besondere Beziehung: Paar mit 30 Jahren Altersunterschied: „Man wird abgestempelt“
- Geliebte packt aus: So funktioniert meine Affäre mit einem vergebenen Mann
- Toxische Beziehung: Ist mein Partner ein Narzisst? Psychiater nennen Warnsignale
- Krise nach Geburt: Baby da, Liebe weg? Wenn Paare die Realität einholt
Auch in finanziellen Fragen zeigen sich Unterschiede: Laut einer Studie des Max-Planck-Instituts gibt es eine „Gender-Gift-Gap“. Demnach erhielten Frauen 37 Prozent weniger Schenkungen und 13 Prozent weniger Erbschaften als Männer. Solche Ungleichheiten können Spannungen zwischen Geschwistern weiter befeuern.
Auch interessant
Gleichzeitig gibt es auch subtilere Unterschiede in der Erziehung: Während Eltern Mädchen häufig dazu erziehen, zurückhaltend und vernünftig zu handeln, wird bei Jungen wilderes Verhalten eher toleriert. Einer Studie des ifo Instituts zufolge können solche Vorurteile Kinder in ihrer Entwicklung stark beeinflussen. Selbst scheinbar harmlose Kommentare wie „Für ein Mädchen kannst du gut klettern!“ vermitteln, dass bestimmte Fähigkeiten für das Kind ungewöhnlich seien. Das kann das Selbstbild und die Vorstellungen darüber, was die Gesellschaft von ihnen erwartet, nachhaltig prägen. „Es ist wichtig, sich als Familie auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder zu konzentrieren und solche Erwartungen gegebenenfalls auch einzudämmen“, sagt Zeisig.
Diese Folgen kann die ungleiche Behandlung haben
Denn: Ungleiche Behandlung belastet die Kinder. „Wenn ein Kind benachteiligt wird, leidet oft sein Selbstwertgefühl,“ sagt Zeisig. Langfristig könne das zu psychischen Problemen wie Depressionen führen. Auch Lenas Selbstbewusstsein litt unter der ungleichen Behandlung. „Ich habe verinnerlicht: Leistung bedeutet Liebe. Bis heute fällt es mir schwer, meinen eigenen Selbstwert unabhängig von der Anerkennung anderer zu sehen“, sagt sie. „Ich vergleiche mich ständig mit meinen Geschwistern.“ Solche Vergleiche können zu langfristigen Problemen in der Beziehung zwischen den Geschwistern führen. Gerade in Situationen wie Fragen über die Pflege der Eltern oder das Erbe können sie wieder aufflammen.
Doch auch für das Lieblingskind gibt es Nachteile: „Oft müssen sie die Eltern stärker unterstützen, sei das emotional oder in der Pflege“, sagt Anna-Lena Zietlow, Professorin für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie an der TU Dresden. Dieser Druck könne bei ihnen ebenfalls psychische Probleme auslösen.
Streit unter Geschwistern: Wie Eltern fair bleiben können
Wenn Eltern merken, dass sie ein Kind bevorzugen, sei das schon ein wichtiger Schritt. Sie können dann bewusst gegensteuern. Zum Beispiel, indem sie ihre Gewohnheiten ändern. Denn: Eltern hätten einen großen Einfluss darauf, wie gut die Geschwister miteinander auskommen. „Eltern müssen ihre Kinder nicht gleich behandeln, sondern fair“, sagt Zietlow.
- Psychologie: Mit Kindern Glück trainieren – Experte rät Eltern zu diesen Übungen
- Schulkinder: Schlechtere Noten – wie sich Eltern gegen unfaire Lehrer wehren
- Pädagogik: Genderneutrale Erziehung: Paar berichtet, wie das funktioniert
- Missbrauch: Sexuelle Übergriffe unter Kindern – das raten Experten Eltern
- Ernährung bei Kindern: „Wenn das Kind die Möhre nicht mag, machen Sie mal Pause“
Manchmal benötige ein Kind zeitweise mehr Aufmerksamkeit. Etwa, wenn es krank ist, oder Probleme in der Schule hat. Dann sei es auch wichtig, darauf einzugehen. Eltern sollten den anderen Kindern aber erklären, wieso sie gerade weniger Zeit für sie haben. „Es ist wichtig, allen Kindern bedingungslose Liebe zu vermitteln“, erklärt Zietlow. Sie können das zum Beispiel tun, indem sie mit jedem Kind regelmäßig Zeit alleine verbringen.
Wenn ein Kind sagt, es fühlt sich benachteiligt, sollten Eltern das ernst nehmen. „Jüngere Geschwister könnten sich zum Beispiel ungerecht behandelt fühlen, weil die älteren schon mehr dürfen“, sagt Zietlow. Hier helfe es, offen zu reden und auf die Bedürfnisse jedes Kindes einzugehen. „Eltern können das Kind auch fragen, was sie dagegen tun können“, schlägt Zietlow vor. „Kinder haben hier häufig sehr kreative Vorschläge.“ Gleichzeitig sollten Eltern darauf achten, dass der Vorwurf des Lieblingskindes nicht zum Druckmittel wird. Lena habe ihrer Mutter gesagt, dass sie sich ungerecht behandelt fühle. „Aber von ihr kam immer, dass das nicht wahr sei“, sagt sie. Schließlich habe sie das Thema fallen gelassen.