Berlin. Viele Männer wollen sich gleichberechtigt an der Erziehung beteiligen. Doch sie kriegen Job und Familie nicht unter einen Hut. So wie Sven.

Viele Väter haben heute den großen Wunsch, sich gleichberechtigt an der Sorge- und Erziehungsarbeit zu beteiligen. Gleichzeitig wollen sie im Job nicht kürzertreten – zum einen mit Blick auf die Zukunft und die eigene Karriere, zum anderen oft auch aus finanziellen Gründen. Das führt zu Überforderung.

Die Soziologin und Väterforscherin Kim Bräuer, Professorin für Soziale Arbeit an der Dualen Hochschule Schleswig-Holstein, hat sich in einer Studie genauer mit dem aktuellen Vaterbild befasst. Demnach leistet noch immer nur jeder zehnte Vater in Deutschland in der Familie die Hauptarbeit bei Erziehung und Kinderbetreuung. Dennoch, so bestätigt Bräuer, ist die Idee der aktiven Vaterschaft in breiten Teilen der Gesellschaft angekommen. Sie sagt aber auch: „Fast alle von uns befragten Väter glauben, dass sie den eigenen Vorstellungen des Vaterseins nicht gerecht werden.“ 

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So geht es auch Sven (Name geändert). Der 32-Jährige ist Vater von zwei Töchtern (zwei Jahre und neun Monate). Vor einigen Wochen begann er außerdem nach einer Beförderung eine neue Stelle. „Endlich“, wie er sagt. So sehr er sich auf die neue Aufgabe gefreut hatte, so heftig bringt sie ihn an seine Grenzen: „Irgendwann mussten meine Frau und ich uns entscheiden: meine Arbeit oder die Gleichberechtigung.“ Im Interview erzählt er, wie es ist, den eigenen Ansprüchen nicht gerecht zu werden.

Rolle des Vaters in der Erziehung entspricht nicht immer Wunschvorstellung

Sven, wie hast du deine Vaterrolle gesehen, bevor du Papa geworden bist? 

Sven: Bevor man selbst Eltern wird, neigt man manchmal dazu, andere Elternpaare zu belächeln und zu denken: Das mache ich auf jeden Fall komplett anders. Für mich war hundertprozentig klar, dass alles nur eine Frage der Haltung ist. Und wenn ich möchte, dass meine Frau so viele Freiräume als Mama erfährt wie ich als Papa, dann kriege ich das auch hin. Aber dieses Luftschloss ist irgendwann vor mir zusammengebrochen. 

Wenn beide gerade in Elternzeit sind, klappt es vielleicht noch ganz gut, die Aufgaben besser aufzuteilen, aber spätestens, wenn ein Part – in dem Fall ich – morgens aus dem Haus geht und erst spätnachmittags wieder nach Hause kommt, ändert sich das. Das war ein schleichender Prozess. Meine Frau ist weiterhin in Elternzeit – während die Bindung zwischen dem Kind und der Mama also größer wurde, hat meine Bindung zu unserer Tochter stagniert. Meine Frau bekam mehr Sicherheit im Umgang und traute sich eher zu, die Bedürfnisse dieses kleinen Babys zu lesen, was mich wieder ein bisschen weiter in die Ferne gerückt hat. Und im Zweifel frage ich dann doch lieber meine Frau: Was glaubst du, was sie gerade braucht? Wenn der Stein einmal ins Rollen kommt, ist es schwer, wieder die Kurve zu kriegen. 

Vater in der Zwickmühle: Am Ende wurde doch ein Tabu gebrochen

In welchen Momenten merkst du besonders deutlich, dass ihr in der Kindererziehung nicht gleichberechtigt seid?

Sven: Ein großes Thema ist Schlaf. Vor unseren Kindern habe ich immer dafür gesorgt, dass ich mindestens sieben Stunden gepennt habe, bevor ich zur Arbeit gehe. Dann kann ich gut funktionieren und eine gute Leistung bringen. Als unsere erste Tochter kam, war für uns klar, dass wir weiterhin beide im Schlafzimmer schlafen. Das haben wir auch bis zum bitteren Ende durchgezogen. Aus sieben Stunden wurden plötzlich gestückelte vier. Damals war es bereits sehr viel schwerer für mich, meine Performance auf der Arbeit aufrechtzuerhalten. 

Als unsere zweite Tochter geboren wurde, haben wir, ohne viel darüber zu sprechen, entschieden, dass ich auf der Schlafcouch schlafe. Es war für uns immer in Stein gemeißelt, dass wir gleichberechtigte Eltern sind und trotzdem war es plötzlich absolut logisch, dass ich drei Monate weder im Schlafzimmer mit den beiden gepennt habe, noch im Kinderzimmer der Großen. Irgendwann war es eine Entscheidung: Meine Arbeit oder die Gleichberechtigung, die wir uns vorgenommen hatten. Beides hat nicht hingehauen. Nicht mit unseren Kindern.

Wie ging es dir damit?

Sven: Bevor ich Vater wurde, gab es ganz oft Lösungen, die Win Win bedeutet haben – und die gibt es nicht mehr. Es gibt nur noch Kompromisse und keine Lösungen mehr, die alle glücklich machen. Einerseits habe ich als Arbeitnehmer aufgeatmet und gedacht: OK, wie heftig wird das, wenn ich nächste Woche jede Nacht auf meine sechs, sieben Stunden Schlaf komme? Gleichzeitig fand ich es super traurig zu sehen, wie schnell mein kleines Baby größer wird. Ich möchte am liebsten jede Minute aufsaugen und dabei sein. Gleichzeitig entwickelt man als vierköpfige Familie weitere Pläne – zum Beispiel einen Hausbau. Seitdem ich Papa bin, habe ich das Gefühl, der Tag könnte 40 Stunden haben und ich würde trotzdem mit dem Gröbsten nicht hinkommen. 

Rolle als Familienvater: Sven kann seine Freunde nicht verstehen

Wie wirkt sich diese Überforderung auf dein Sozialleben aus?

Sven: Ich habe das Gefühl, dass sich die Freundschaften zu meinen weiblichen Freundinnen intensiviert haben, weil wir gefühlt mehr auf einer Wellenlänge sind. Meine Jungs – selbst die, die mittlerweile selber Papa sind – machen weiterhin die Sachen, die ich vor fünf Jahren selbst noch supergeil fand, aber nicht mehr hinbekomme. Die sind dann gerade frisch Papa geworden und fahren erstmal zwei Wochen auf Dienstreise. Dann kommen sie freitags wieder und fahren Samstag nach Berlin zur EM. Ich hingegen habe das Gefühl, wenn ich nach der Arbeit vom Fahrrad steige, werde ich schon an fünf Stellen gebraucht. Die Haustür ist noch zu und ich höre schon „Papa“. Ich glaube, denen ist Gleichberechtigung einfach völlig egal. Mittlerweile werde ich von meinen Freunden oft gar nicht mehr gefragt.

Macht dich das traurig?

Sven: Eher nicht. Ich sehe den krassen Verzicht meiner Frau gerade – sowohl was ihre Freizeit als auch ihre Karriere betrifft. Zum Glück ist sie sehr vertrauensvoll und weiß, dass ich alles gebe, was ich habe. Wenn mal irgendwas auf der Strecke bleibt, dann hat sie, glaube ich, nie das Gefühl, dass ich mich gerade für mich und gegen sie oder gegen die Arbeit als Familienvater entscheide.

Trotzdem macht es mir gerade selten richtig Spaß, für ein Wochenende nach Hamburg zu fahren, um da den elften Junggesellenabschied dieses Jahr zu begießen, wenn ich weiß, wie ich den Haushalt hinterlassen habe und was meine Frau gerade zu wuppen hat mit zwei kleinen Kindern, die ins Bett gebracht werden müssen. Wenn ich mitbekomme, dass ein Großteil gefragt wird und ich nicht, fühlt sich das zwar nicht geil an, aber irgendwie habe ich selbst dafür gerade keinen Kopf. 

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Erlaubst du es dir so selten, etwas für dich zu tun, weil eure Beziehung derzeit nicht so gleichberechtigt ist, wie du möchtest?

Sven: Wenn ich das Gefühl hätte, dass ich meinen Idealen nachkomme und mir eine fünftägige Auszeit am Ballermann verdient hätte, würde sich das wahrscheinlich für mich machbarer gestalten. Aber so habe ich permanent das Gefühl, der Arbeit nie ganz gerecht zu werden. Momentan muss ich auf der Arbeit richtig Gas geben, um bald meine Entfristung zu bekommen – das klappt aber nicht, weil ich vor der Arbeit noch schnell ein Kind zum Kindergarten bringen muss, danach eins abholen muss, oder wir nachmittags zu einem Play Date oder einem Malkurs gehen. Am Ende des Tages habe ich das Gefühl, ich werde meiner Paparolle, meiner Rolle als Ehemann und meiner Rolle als Arbeitnehmer nicht gerecht – über Selbstfürsorge brauche ich gar nicht zu sprechen.

Was glaubst du, wie lange du dieses Level noch halten kannst?

Sven: Das ist eine gefährliche Frage, die ich mir meistens lieber nicht stelle. Grundsätzlich geht es mir aber gut und ich habe das Gefühl, irgendwann die Früchte zu ernten. Wenn ich gerade Vollgas gebe und nicht den leichten Weg gehe, mich bei der Erziehung immer mehr rauszuhalten, glaube ich fest daran, dass ich in den nächsten Jahren ein Papa sein kann, der eine besonders gute Bindung zu seinen Töchtern hat. Die ein absolutes Urvertrauen darin haben, dass Papa kommt, wenn was ist und man Papa immer fragen kann, auch wenn man Scheiße gebaut hat. Da habe ich Bock drauf. Und wenn ich Abstriche mache, dann versuche ich, sie nicht weiter in diesem Bereich zu machen, sondern dann muss die Arbeit mal kürzertreten.