Venedig.. Nach dem “Costa Concordia“-Unglück wird intensiver über die Gefahr diskutiert, die Kreuzfahrten bedeuten können. Gerade in Venedig werden die Stimmen der Kritiker lauter. Die Schiffe verschmutzen Wasserwege - und lassen durch den Wellengang sogar Klos in der Lagungenstadt überlaufen.
Alles eine Frage der Perspektive. Vom Kabinenbalkon eines zwölf Decks hohen Kreuzfahrtriesen aus bieten Markusplatz, Dogenpalast und Seufzerbrücke im Vorbeigleiten einen atemberaubenden Anblick. Doch vor der Kulisse der historischen Kanäle und Brücken, Paläste und Gässchen wirken die schwimmenden Appartmentblocks wie die Faust aufs Auge. Die Havarie der "Costa Concordia" hat den nahezu ungebremsten Boom der immer größeren Luxusliner in den Brennpunkt gerückt.
Nirgendwo wird der deutlicher als in Venedig, dessen fragile Altstadt sowieso schon gegen den Massentourismus und das stete Bröckeln der Fundamente ankämpft. Immer lauter werden die Rufe, den zunehmenden Verkehr der Kreuzfahrtschiffe durch das historische Zentrum zu überdenken. Nicht nur die Unfallgefahr beunruhigt die Kritiker, sondern auch die Umweltverschmutzung und der Zustrom zusätzlicher zwei Millionen Touristen jährlich in die ohnehin überlaufene Stadt. Die Stadt würde die Kreuzfahrer gerne umleiten, so dass sie mehr Abstand zum Markusplatz und den anderen berühmten Sehenswürdigkeiten halten, und sie künftig möglicherweise gar nicht mehr in die Lagune hinein lassen. Die UNESCO klagt, dass die Riesenschiffe derartige Wellen schlagen, dass sie an den Fundamenten der Häuser nagen und die Wasserwege verschmutzen.
Kanal im Klo
Im Lauf von 15 Jahren ist Venedig zu einem der bedeutendsten Kreuzfahrtziele der Welt geworden. 650 Mal im Jahr wird der Hafen angelaufen, in der Hochsaison bis zu neun Mal am Tag. Seit 1997 hat sich die Zahl der durch Venedig kreuzenden Passagiere von 280.000 auf 1,8 Millionen im vorigen Jahr erhöht. "Ein Drittel aller Kreuzfahrtschiffe weltweit kommen jedes Jahr nach Venedig", erklärt Roberto Perocchio, Geschäftsführer der Passagierhafengesellschaft Venezia Terminal Passageri. Er erwartet, dass das Interesse noch wächst: Prognosen zufolge wird sich die Zahl der fünf Millionen Kreuzfahrtpassagiere in Europa jährlich bis 2020 verdoppeln. Wären die Riesenschiffe tatsächlich Appartmentblocks, hätten sie im Weltkulturerbe Venedig nichts verloren.
Doch weil sie schwimmen, trifft sie kein Verbot. Das "Costa Concordia"-Unglück hat der schon länger bestehenden Protestbewegung gegen die Kreuzfahrtschiffe neuen Antrieb verliehen. "Venedig geht viel zu oft in die Knie vor den Göttern der Wirtschaft und des Tourismus, und seit Jahren tragen wir die Konsequenzen. Der Stadt laufen die Einwohner davon, und sie leidet unter der Verschmutzung durch diesen unhaltbaren Verkehr", schimpft Saverio Pastor, ein führender Vertreter des Protests. Studien im Auftrag der Hafenbehörde ergaben, dass die Kreuzfahrtschiffe bis zu 30 Prozent der Luftverschmutzung in Venedig zu verantworten haben. Überlegt wird, anlegende Schiffe an ein Stromnetz anzuschließen, damit sie die Maschinen abstellen können. Doch Pastor verweist darauf, dass dafür seht viel Geld investiert werden müsste.
Anwohner des Giudecca-Kanals, den die Schiffe auf dem Weg zu den Anlegestellen passieren, klagen über den Lärm und den Wellenschlag, der das Wasser in die kleinen Seitenkanäle drückt. "Eine Frau erzählte mir, dass das Wasser aus dem Kanal in ihrer Toilette hochkommt, wenn die Schiffe vorbeifahren", sagt die Wissenschaftlerin Jane da Mosto, die für die Vereinigung "Venedig in Gefahr" arbeitet.
Lagune leidet unter Erosion
Im 15. Jahrhundert beschlossen die Venezianer, die Zuflüsse der Lagune umzuleiten, damit die Wasserwege nicht versandeten und der Zugang zum Meer schiffbar blieb. "Heute haben wir das gegenteilige Problem", sagt da Mosto. "Weil in den Fahrrinnen im Kielwasser der Schiffe Sediment abgesaugt wird, erodiert die Lagune stark. Es existiert heute kein Drittel der ursprünglichen Salzmarsch mehr." Obwohl die Schiffe gerade 300 Meter vor dem Markusplatz vorbeifahren, besteht nach Einschätzung der Hafenbehörde kaum die Gefahr eines Unglücks wie vor Giglio. Einmal ragen aus dem schlammigen Grund der Lagune keine spitzen Felsen hervor, und zum anderen müssen die Kreuzfahrtschiffe wegen ihres Tiefgangs in den tiefen Fahrrinnen der Kanäle bleiben.
Die Hafenvertreter erinnern an einen Unfall 2004, als das Kreuzfahrtschiff "Mona Lisa" in dichtem Nebel nahe dem Markusplatz stecken blieb, ohne dass einer der 1.000 Menschen an Bord verletzt wurde. "Es scheint vielleicht, als ob die Lagune offen wäre und ein Kreuzfahrtschiff fahren kann, wohin es will. Aber tatsächlich schützt Venedig sich selbst", , erklärt Ciro Romano, Chef der 25 Lotsen, die die Riesen durch die Lagune und die Stadt schleusen.
Suche nach langfristiger Lösung
Bereits vor dem "Costa Concordia"-Unglück hatten Bürgermeister Giorgio Orsoni und die Hafenbehörde neue Studien über alternative Routen vereinbart, die vielleicht nicht mehr ganz so dicht an der Touristenattraktion Markusplatz vorbei führen. Der für Kultur zuständige stellvertretende UNESCO-Generaldirektor Francesco Baldarin, selbst ein Venezianer, hält langfristigere Lösungen für nötig. "Die Stadt ist eine sehr fragile Stadt. Diese Stadt geht auf das Mittelalter zurück", erklärt er. "Sie ist nicht für diese Art Verkehr gedacht. Sie ist auf Schiffe ausgelegt, und wir werden in Venedig immer Schiffe haben - aber nicht diese Art Schiffe." (dapd)