Dinslaken. . Nur mit einem ausgezeichneten Abitur-Durchschnitt hat man in Deutschland die Chance, einen Studienplatz in Medizin zu ergattern. Viele Nachwuchs-Ärzte weichen deshalb nach Ungarn aus. Aber: Das muss man sich leisten können.

Vincent ist ein ganz normaler 20-Jähriger mit einem ganz normalen Traum: Er will Arzt werden. Vor einem Jahr machte er sein Abitur in Dinslaken. Durchschnittsnote: 2,3. Ein Medizinstudium in Düsseldorf, Berlin oder Heidelberg? „Ich habe mich bundesweit beworben, aber nur Absagen bekommen“, sagt er. Nun studiert er Medizin - in Ungarn.

„Für die Zulassung hätte ich einen Schnitt zwischen 1,0 und 1,4 gebraucht“, berichtet Vincent. Denn Studienplätze in der Medizin sind heiß begehrt. „Die Berufsaussichten sind gerade in Zeiten des Ärztemangels hervorragend“, sagt Professor Joachim Fandrey, Prodekan für Lehre, Studium und Studienreform an der Medizinischen Fakultät der Uni Duisburg-Essen.

In den vergangenen Jahren stieg die Zahl der Bewerber in ganz Deutschland stetig – das verzeichnet die zentrale Vergabestelle Hochschulstart.de. Für das nächste Wintersemester haben sich 44 000 Männer und Frauen auf 8800 Medizin-Studienplätze bundesweit beworben – das sind fünf Bewerber pro Platz und gut neun Prozent mehr als im Vorjahr.

Uni in Ungarn lehrt sogar auf
Deutsch

Fast die Hälfte aller Bewerbungen ging dabei an Universitäten in NRW. Einen Studienplatz bekommen nur die Abitur-Besten. Die bittere Wahrheit für all diejenigen, die die Zulassung nicht schaffen: 13 Semester Wartezeit. Vincent will nicht warten. Während Tausende Studienbewerber am Numerus clausus scheitern, wird der Traum vom Medizinstudium für den Dinslakener in Ungarn wahr. Er ist einer von gut 600 Studenten, die zum Wintersemester an den Hochschulen in Szeged, Budapest und Pécs ihr Medizinstudium beginnen – und das sogar auf Deutsch.

Schon in den 1980er-Jahren haben die Ungarn diese Marktlücke entdeckt: „Die Unis in Österreich und in der Schweiz sind mit Zehntausenden Bewerbern keine Alternative mehr für Studenten aus Deutschland“, sagt Doktor Robert Floris. Er ist Repräsentant der ungarischen Hochschulen in Deutschland und stolz auf das deutschsprachige Medizinstudium, das Ungarn als einziges nicht deutschsprachiges Land anbietet.

12.000 Euro Studiengebühren pro Jahr

Das Angebot ist gefragt: Für das Wintersemester 2011/12 gab es mit 2100 Bewerbern an Ungarns drei Unis fast viermal so viele wie Studienplätze. Ein Konzept, das sich rechnet. Denn der Umweg übers Ausland hat seinen Preis: Knapp 6000 Euro kostet ein Semester Medizin in Budapest, Szeged oder Pécs – 12.000 Euro allein an Studiengebühren im Jahr. „Das muss man sich leisten können“, gibt Floris zu. Der Großteil der Studenten komme aus gutverdienenden Familien. Für viele ist es die einzige Möglichkeit, zeitnah einen Studienplatz zu bekommen.

Das bestätigt auch Joachim Fandrey von der Uni Duisburg-Essen. Die Hochschule stockt jetzt erstmals die Studienplätze in der Medizin von 172 auf 193 auf – auch, um doppelten Abiturjahrgängen aus anderen Bundesländern und dem Wegfall der Wehrpflicht zu begegnen. Den knapp 2000 Bewerbern wird die Uni damit kaum gerecht. Wer dort einen Studienplatz bekommt, entscheiden neben dem Numerus clausus auch Auswahlgespräche. „Letztlich sagt ein guter Abiturschnitt nichts darüber aus, ob jemand auch ein guter Arzt wird“, sagt Fandrey. „Aber er ist die einzige Möglichkeit einzuschätzen, ob die Studenten das lernintensive Medizinstudium zügig und gut abschließen können.“

Mehr Lehrpersonal,
bessere Betreuung

In Ungarn sieht man das anders: „Der Numerus clausus wird in Deutschland strapaziert“, sagt Robert Floris. In Budapest, Szeged und Pécs würden die Studenten vor allem nach medizinischen Erfahrungen und ihren Noten in den naturwissenschaftlichen Fächern ausgewählt. Am Ende seien ihre Berufsaussichten nicht schlechter als die von Absolventen deutscher Unis, glaubt Prodekan Joachim Fandrey. Er lobt das hohe Tempo und häufige Testphasen, hält ein Medizinstudium in Ungarn nicht nur deshalb für eine Chance: „Dort gibt es mehr Lehrpersonal, die Betreuung ist besser als bei uns.“

Die Studenten in Ungarn arbeiteten in kleineren Gruppen, Praktikumsplätze in Anatomie und Chemie seien garantiert. Und nicht nur das: „So makaber das klingt: Bei uns bekommt jeder Student seine eigene Leiche“, sagt Floris. Davon könnten Studenten in Deutschland nur träumen. Trotzdem ziehe es viele nach bestandenem Physikum zurück nach Deutschland – vor allem aus finanziellen Gründen. Schwierig werde es für sie auch dann, einen Studienplatz zu finden, gibt Floris zu bedenken. Die Kapazitäten an den deutschen Fakultäten seien auch in höheren Semestern ausgeschöpft. Vincent aus Dinslaken glaubt trotzdem an einen Quereinstieg. „Am liebsten an einer Uni in NRW.“

Informationen über ein Medizinstudium in Ungarn gibt es unter anderem auf diesen Seiten:

www.ungarnstudium.hu

www.college-contact.de

www.semmelweis-medizinstudium.org