Gelsenkirchen/Essen. Talentscouts wollen sich künftig an sieben Uni-Standorten im Ruhrgebiet auf die Suche nach begabten Kindern aus Nicht-Akademikerfamilien machen.

Talentscouts sollen ab dem Sommer von sieben Hochschul-Standorten aus im Ruhrgebiet auf die Suche nach verborgenen Talenten gehen. Dafür stellt das Land für zunächst vier Jahre 22 Millionen Euro bereit. Damit sollen mehr Schüler für ein Studium gewonnen werden, die diese Chance ansonsten wohl nicht ergriffen hätten. Während 77 Prozent aller Akademikerkinder studieren, betrage der Anteil aus Nicht-Akademikerfamilien nur 23 Prozent

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Neben dem Pilotprojekt, das seit 2011 erfolgreich an der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen erprobt wird, beteiligen sich künftig sechs weitere Hochschulen an dem Programm. Für die Landesregierung sei dieses Projekt ein Schritt hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit, so Wissenschaftsministerin Schule (SPD).

Den Lehrer angefleht

Oft hängt der Bildungserfolg von benachteiligten Kindern nicht nur von Talent und Leistung ab, sonden von Zufällen. Erst recht, wenn es sich um Migrantenkinder handelt. „Ich habe meinen Lehrer angefleht“, berichtet eine junge türkisch-stämmige Frau von ihrer Zeit auf der Hauptschule. „Sechste, siebte, achte Klasse – jedes Jahr bin ich zu meinem Klassenlehrer gegangen und habe ihm gesagt: Ich will auf die Realschule.“ Die Antwort lautete stets: „Du wirst es nicht packen.“

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Sie hat trotzdem Abitur gemacht. Weil sie Hilfe bekam, weil jemand bemerkte: Das Kind hat Talent. Ein anderes Mädchen hatte Glück, weil es eine freundliche Nachbarin gab, eine „Tante Birgit“, die sie jeden Tag nach der Schule besuchte, um mit ihr Hausaufgaben zu machen. Das Mädchen studierte später Jura.

Der erste Talentscout

Suat Yilmaz ist – mit Verlaub – hauptberuflich eine solche „Tante Birgit“. Er ist in Gelsenkirchen der bundesweit erste Talentscout an einer Hochschule und hat mehrere Hundert Schüler im Ruhrgebiet beraten und betreut. Mit seinen Kollegen besucht er täglich die Schulen des Ruhrgebiets, „dabei treffen wir die Marios, Vanessas, Tunas und Zaynabs, in deren Umfeld Erfolg nicht so wahrscheinlich ist und deren Träume und Visionen seltener Beachtung finden“, berichtet er von seiner Arbeit.

Er begegnet Jugendlichen, die ein Zimmer mit mehreren Geschwistern teilen, nach der Schule im Haushalt helfen, arbeiten gehen und erst abends lernen können. „Ich kenne ein libanesisches Mädchen, deren Eltern nicht einsehen wollten, dass ihre Tochter aufs Gymnasium geht. Es wäre um ein Haar zur Hauptschule gekommen.“ Dank seines Einsatzes, wozu auch oft Gespräche mit den Eltern gehören, machte sie das Abitur mit der Note 2,5.

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500.000 Euro für jede beteiligte Hochschule

„Wenn so ein Mädchen es schafft, haben wir es ganz klar mit einem Talent zu tun.“ Dann hat sich seine Arbeit gelohnt. „Wir wollen so eine Art Rampe sein, für die, die vielleicht nicht von sich aus an ein Studium denken“, sagt Yilmaz. Denn für viele ist die Welt der Hochschule fern und fremd, ihnen könne man Ängste nehmen und sie auf den ersten Metern begleiten.

In Zukunft soll es nach dem Willen der NRW-Landesregierung viele solcher Talentsucher geben, Dutzende „Tante Birgits“, wenn man so will. Sieben Hochschulen stellen mit Mitteln des Landes Experten ein, die in die Schulen gehen, Eltern besuchen, Beratungsgespräche führen, Wege aufzeigen bis hin zur Hilfe bei Studieneinstieg und Bafög-Antrag.

Träume verwirklichen

So plant zum Beispiel die TU Dortmund, sechs Talentscouts anzustellen, die 60 Schulen in der Region betreuen sollen. Einer von ihnen soll vor allem Kontakt zu Förderschulen aufnehmen, um gezielt Schülern mit Behinderungen Wege aufzuzeigen. „Wir wollen ihnen vermitteln: Ihr könnt das“, sagt Uni-Sprecherin Eva Prost. Die Ruhr-Uni Bochum will fünf Talentscouts beschäftigen, die vor allem Berufskollegs in den Blick nehmen werden. Neben dem Pilotprojekt an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen werden auch die Hochschule Bochum, Fachhochschule Dortmund, Uni Duisburg-Essen, sowie die Hochschule Ruhr-West (Mülheim/Bottrop) ihr Angebot aufstocken.

„Mit dem Ausbau des Talentscoutings wollen wir die Bildungsgerechtigkeit fördern. Das Programm soll soziale Schieflagen ausgleichen und Hürden auf dem Weg in die Hochschule abbauen“, erklärte Wissenschaftsministerin Svenja Schulze gestern. Suat Yilmaz sieht sich durch das Engagement des Landes in seiner Pionierarbeit bestätigt. „Ich frage die Jugendlichen immer nach ihrem persönlichen Traum. Wir können helfen, ihn zu verwirklichen.“