Suat Yilmaz besucht Schulen im Ruhrgebiet, um Jugendliche aus Nicht-Akademiker-Familien für ein Studium zu begeistern. Im Interview spricht er über Identitätssuche und die Gefahren von Mannschaftsdenken.

Suat Yilmaz ist der erste Talentscout einer deutschen Hochschule. Für die Westfälische Hochschule in Gelsenkirchen besucht er Schulen im Ruhrgebiet, um Jugendliche aus Nicht-Akademiker-Familien von einem Studium zu überzeugen, darunter besonders viele mit Migrationshintergrund. "Es gibt drei Faktoren", sagt Yilmaz, "die wichtig sind, wenn es um das Thema Jugendliche geht, egal welcher Herkunft: Bildung, Bildung, Bildung."

Herr Yilmaz, Sie sagen, wir brauchen keine Kultur- oder Religionsdebatte, sondern eine Bildungsdebatte.

Suat Yilmaz: In Deutschland werden nicht nur Häuser und Vermögen, sondern auch Chancen vererbt. Oft entscheidet der Bildungsstatus der Eltern über den Erfolg. Das können wir uns nicht leisten. Das ist sozialpolitisch, bildungspolitisch und auch wirtschaftspolitisch ein Problem.

Sind da die Eltern nicht auch gefragt?

Yilmaz: Wir haben eine unheimliche Bildungsaffinität in den türkischen Familien. Viele haben begriffen, dass Bildung der Schlüssel ist, um in der Gesellschaft anzukommen. Speziell bei den türkischstämmigen ist ein großer Ehrgeiz da, die Kinder zum Abitur und zum Studium zu bringen. Ob es dann immer klappt, ist etwas anderes. Es gibt natürlich auch Defizite, sprachliche und in der Schreibkompetenz. Aber die gibt es in vergleichbaren Gruppen auch.

Wie erleben Sie die türkeistämmigen Jugendlichen?

Yilmaz: Es gibt eine Identitätssuche und -leere bei einigen, die gefüllt wird mit der Kultur der Eltern und Großeltern. Das ist eine ganz normale Geschichte. Problematisch wird es bei der Identitätsfindung übers Internet. Das Internet ist eine Plattform, wo sich Jugendliche unkontrolliert ihre Identität selbst erstellen. Da frage ich mich, ob unsere Jugendlichen reif dafür sind, wenn Ideologien ins Kinderzimmer wandern.

Wie soll Bildung da helfen?

Yilmaz: Es ist wichtig, dass wir jungen Menschen klarmachen, wie wichtig gesellschaftliche Teilhabe ist, dass wir ihnen die Werte unserer Demokratie beibringen. Das ist Aufgabe der Schule und der Hochschule, aber auch der Eltern. Wir müssen unsere Ordnung, unsere Demokratie auch attraktiver machen. Sie müssen ihre Rolle im System erkennen, damit sie wissen, wo kann ich überhaupt Verantwortung übernehmen.

Ist es da nicht kontraproduktiv, wenn die Heranwachsenden sich politisch, religiös und traditionell dem Heimatland ihrer Eltern und Großeltern zuwenden?

Yilmaz: Es ist doch völlig in Ordnung, wenn einer seine Religion auslebt, seine Kultur auslebt. Das ist ein Grundrecht. Aber dem können wir doch ein anderes Verständnis noch dazustellen, eine Verbundenheit mit diesem Land, eine Verbundenheit mit den Grundwerten dieses Landes. Das eine schließt das andere nicht aus. Wenn Sie mich fragen, ich bin ein überzeugter deutscher Staatsbürger. Ich bin ein Riesen-Fan unseres Grundgesetzes. Gleichzeitig bin ich aber in meiner türkischen Kultur verankert. Das ist für mich kein Widerspruch. Das ist etwas, das konstruiert wird von außen, und das verwirrt die jungen Menschen. Lassen Sie den jungen Menschen ihre Identität Familie und geben Sie ihnen die Identität Deutschland noch dazu.

Aber wir können Phänomene wie salafistische Jugendliche doch nicht wegdiskutieren?

Yilmaz: Natürlich gibt es Salafismus und auch Rechtsradikalismus. Aber ist das die Mehrheit? Ist das die Realität oder nur ein Teil der Realität? Wir dürfen die jungen Menschen nicht in diese Ecken treiben. Wir haben alle Zutaten in unserem Land, um das Maximale aus unseren Jugendlichen rauszuholen. Das geht aber nur, wenn wir aufhören zu teilen. Wenn wir aufhören mit diesem Mannschaftsdenken. Wir müssen den jungen Menschen, egal wo sie herkommen, eine Plattform bieten, auf der sie gemeinsam Geschichte schreiben können. Das wird sie verbinden.

In den Medien hat die Muslim-Debatte längst die Ausländer-, Migranten- und Integrationsdebatte abgelöst. Wie reagiert die dritte Generation?

Yilmaz: Ich kenne viele junge Menschen, die verbittert sind, die sich fragen, gehöre ich noch dazu. Es tut mir manchmal in der Seele weh, dass wir mit dieser Debatte so viel Atmosphäre vergiften. Wir sollten über Probleme reden, keine Frage. Aber die Menge macht das Gift. Ich habe den Eindruck, wir machen gerade ein paar Schritte zurück. Dabei erlebe ich auch, dass sich ganz viele Menschen diesem Land zugehörig fühlen. Und ich vertraue auf die Vernunft dieser jungen Menschen; darauf, dass sie diese Zuschreibungen selbstbewusst von sich weisen. Ich bleibe auf jeden Fall positiv. Ein Grund, dass wir so heftig diskutieren miteinander, bedeutet auch, dass wir uns integrationstechnisch entwickelt haben.