Oberhausen. Wer in NRW einen Platz in der Ganztagsbetreuung fürs Kind erwischt, muss den zumeist auch nutzen. Eltern fordern wegen Corona mehr Flexibilität.

Die Kritik von Silvia Manthey beginnt mit einem Lob. Sie und ihr Mann sind beide berufstätig. Damit ihre Tochter auch am Nachmittag betreut ist, besucht die Zweitklässlerin nach dem Unterricht den Offenen Ganztag an ihrer Grundschule in Oberhausen. In normalen Zeiten, sagt Manthey, seien sie dankbar für die gute Arbeit der Ganztags-Kräfte. Aber was ist in diesen Corona-Tagen schon normal? „Die Infektionszahlen entwickeln sich so dynamisch, dass wir unsere Tochter nach dem Unterricht lieber zu Hause betreuen wollen“, sagt die 37-Jährige. Machbar wäre das für das Paar – nur darf es nicht.

Denn mit dem neuen Schuljahr gilt in NRW eine alte Verlässlichkeit: Nachdem der Offene Ganztag über Monate wegen der Corona-Pandemie nicht allen Kindern offen stand, soll die Nachmittagsbetreuung nach dem Willen des Schulministeriums seit dem Ferienende wieder zuverlässig laufen. Überall im Land haben die Offenen Ganztage ihre Türen geöffnet. Viele Familien freuen sich nach der langen Corona-Pause über diese Entlastung. Doch es gibt auch Kritik: Denn trotz der andauernden Pandemie sind Eltern wie bisher verpflichtet, ihren OGS-Platz auch tatsächlich zu nutzen.

Eltern: „Die Pandemie verlangt flexiblere Lösungen für die OGS“

„Es kann nicht weitergehen wie vor der Pandemie“, kritisiert Silvia Manthey. „Eltern sollte es freigestellt sein, ob sie das Infektionsrisiko für ihr Kind eingehen wollen oder nicht.“ Zwar versuche die Grundschule ihrer Tochter alles, um ein sicheres Lern- und Betreuungsumfeld zu schaffen. Doch angesichts von 180 Kindern in ihrer OGS komme es zwangsläufig zu vielen Kontakten.

In NRW gibt es keinen Anspruch auf und keine Verpflichtung zur OGS-Betreuung. Im Gegenteil: Plätze im Offenen Ganztag sind stärker gefragt als angeboten.

Wer aber einen Platz ergattert, schließt mit seiner Stadt einen Vertrag und verpflichtet sich damit auch zur Nutzung des Angebots. Unterjährig kündbar ist das nur in Ausnahmen – etwa bei Umzug oder Erkrankungen des Kindes. Die Pandemie an sich ist keine solche Ausnahme, zumindest wird dies aus einem Schreiben des Schulministeriums an die Schulen deutlich. Darin heißt es, dass eine möglichst regelmäßige Teilnahme an der OGS anzustreben sei. In den Städten und an den Schulen gebe es Spielräume: Abweichungen von der Teilnahmepflicht oder dem regulären Umfang etwa wegen individueller Gründe oder personeller Nöte könnten vor Ort mit den OGS-Trägern erarbeitet werden. Eine landesweit flexible Lösung gibt es aber nicht.

Betroffene wenden sich mit einem offenen Brief ans Schulministerium

Die Mantheys fordern in einem offenen Brief von Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) eine Aussetzung der Teilnahmepflicht, „insbesondere in einer dynamischen Infektionslage, wie wir sie aktuell erleben“, heißt es in ihrem Schreiben. Das entlaste auch das OGS-Personal, das aktuell ja viele zusätzliche Aufgaben durch die Hygieneregeln habe. Ihren Elternbeitrag würde die Familie trotzdem weiterzahlen.

Mit ihrer Kritik stehen die Oberhausener nicht allein da. Träger der Freien Wohlfahrtspflege in NRW und auch Elternvertreter berichten von einigen Anfragen besorgter Eltern.

Die Stadt Oberhausen hat sich bereits an die Bezirksregierung Düsseldorf gewendet, um die Sache zu klären. Bis dahin sieht sich die Kommune in einer Zwickmühle. Denn die Städte finanzieren ihre OGS-Betreuung auch mit Landesgeldern – besuchen aber weniger Kinder die OGS als angemeldet, drohen Rückzahlungen der Landesgelder, fürchtet die klamme Kommune.

Das Rathaus verweist daher zunächst auf die vielen Anstrengungen zum Infektionsschutz in den Schulen. „Sofern die Hygienevorgaben von allen Beteiligten eingehalten werden, ist eine Durchführung des Betreuungsangebotes möglich“, heißt es. Oberhausen sichert jedem Kind, für das ein OGS-Platz beantragt wird, auch eine Betreuung zu - knapp 5000 Schüler sind derzeit in der Betreuung

Andere Städte interpretieren ihre Spielräume weiter: So erklärt das Duisburger Rathaus, gerade bei Schulneulingen mit Augenmaß vorzugehen. Es gebe die Möglichkeit einer Abmeldung bis zu den Herbstferien. Und Schulleiter sagen hinter vorgehaltener Hand, Kinder durchaus zeitweise von der OGS zu befreien, aber eben nicht pauschal.

Elternvertreter warnen: Flexiblere OGS-Lösung würde auch Konflikte schüren

Das könnte aus Sicht der Landeselternschaft der Grundschulen in NRW auch zu Konflikten führen. Zwar sei der Wunsch einiger Eltern nach einer flexibleren OGS-Betreuung in Corona-Zeiten nachvollziehbar, sagt Birgit Völxen, Geschäftsführerin der Interessenvertretung. „Die Krux ist aber, dass wir in vielen Städten immer noch eine sehr viel höhere Nachfrage nach Ganztagsbetreuung haben als Plätze.“ Man könne Eltern, die vergeblich auf einen OGS-Platz warten, schlecht erklären, warum andere zwar einen Platz erhalten haben, diesen dann aber nicht in Anspruch nehmen müssen.

Das NRW-Schulministerium macht den Kritikern auch nur wenig Hoffnung auf eine flexible Lösung. Die Düsseldorfer Behörde verweist gegenüber dieser Redaktion darauf, dass die Anmeldung zur OGS freiwillig sei, die Teilnahme solle aber eben regelmäßig erfolgen. Besonders in Momenten der Krise sieht das Ministerium eine hohe Bedeutung solcher Angebote. „Die OGS ist ein wichtiges Bildungsangebot, das gerade auch in Pandemiezeiten die Vereinbarkeit von Familie und Berufsleben, die Rhythmisierung des Tagesablaufs und die Rückkehr zu Austausch und Begegnung für Schülerinnen und Schüler ermöglicht“, heißt es aus dem Ministerium.