Essen. Die Zahl der Studierenden sinkt in NRW. Hochschulen werben daher um Studierende aus dem Ausland, doch diese stoßen oft auf bürokratische Hürden.
Lea S. ahnt es vielleicht selbst nicht, doch gehört sie zu einer von Deutschland immer stärker umworbenen Gruppe junger Menschen: Studierende aus dem Ausland. Die gebürtige Chinesin studiert Sozialwissenschaften an einer Uni im Ruhrgebiet und arbeitet bereits an ihrer Promotion. Doch die Bürokratie mache ihr das Leben schwer. Regelmäßig muss sie ihre Aufenthaltserlaubnis verlängern und dafür auch ihren Kontostand angeben. „Wenn ich nichts verdienen würde, bekäme ich keine Verlängerung“, sagt die 30-Jährige. Zum Glück werde sie zusätzlich von ihren Eltern unterstützt, denn Anspruch auf Bafög haben internationale Studierende nicht.
Obwohl sie alle Voraussetzungen erfüllt, ist ihre Aufenthaltserlaubnis vor einigen Tagen abgelaufen. Das sei nicht ihre Schuld, sie habe mehrfach bei der Duisburger Ausländerbehörde angerufen und sie angeschrieben, um einen Termin zu bekommen. „Dass es nicht funktioniert, ist normal. Das geht nicht nur mir so.“ Eine Reise ins Ausland, einen Mietvertrag abschließen oder schlicht ein Paket abholen - ohne Papiere sei das häufig nicht möglich. Die von den Behörden als vorläufigen Ausweis ausgestellte „Fiktionsbescheinigung“ werde nicht immer akzeptiert. Sie sagt: „Ich fahre derzeit schwarz in Deutschland.“
Personalmangel in den Behörden
Die langen Wartezeiten erklären sich nach Auskunft der Behörde durch eine hohe Arbeitsbelastung bei gleichzeitiger Personalknappheit. Bei der Ersteinreise aus dem Ausland könne es zu Wartezeiten von bis zu vier Monaten kommen, teilt die Stadt Duisburg auf Anfrage mit und räumt eine „hohe Beschwerdelage“ ein. Zusätzliche Stellen sollen die Situation verbessern, von der nicht nur Studierende betroffen seien. Ähnlich ist die Situation an anderen Studienorten.
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Zugleich sinkt in NRW insgesamt die Zahl der Studierenden deutlich. Nach einer Langzeitanalyse des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) ging die Zahl der Studienanfänger seit 2018 um rund 12,4 Prozent zurück. Die Hochschulen und die Wirtschaft sind besorgt, denn der Rückgang bei den Einschreibungen droht den Mangel an Fachkräften, Lehrern und Nachwuchswissenschaftlern weiter zu verschärfen, besonders in den wichtigen technischen und naturwissenschaftlichen Disziplinen. Eine Hoffnung ist, dass mehr Studierende wie Lea S. die Lücken füllen können. Doch Experten sehen das skeptisch.
Rücklagen für das erste Jahr
„Willkommenskultur? Fehlanzeige“, schreibt Prof. Dorothee Frings von der Hochschule Niederrhein in einem Beitrag für das Journal des Deutschen Studierendenwerks. Da internationale Studierende vom Bafög ausgeschlossen sind, stehen die Betroffenen oft vor dem Problem, ihren Aufenthalt zu finanzieren. In den meisten Fällen beginnt die Einreise mit einem Sperrkonto über rund 11.200 Euro (zwölf Monate zu 930 Euro) für das erste Jahr, berichtet Frings.
„Das Geld wird meist von den Familien im Herkunftsland zusammengespart oder geliehen.“ Diese Rücklage reiche aber meist nur für das erste Jahr, dann müssen Mieten und Lebenshaltungskosten irgendwie selbst erarbeitet werden. „Sobald irgendwelche Hürden im Studienverlauf auftreten, vor allem Krankheit oder Schwangerschaft, funktioniert die Parallelität von Arbeiten und Studieren nicht mehr.“
Kein Anrecht auf Bafög
Unterstützungssysteme gebe es nicht, und die „ständig drohende Aufenthaltsbeendigung bei fehlendem Einkommensnachweisen führt zu einer hohen Belastung, die wiederum den Studienerfolg beeinträchtigt.“ Frings plädiert für eine Öffnung des Bafög für ausländische Studierende, „weil dadurch öffentliche Mittel für einen dringenden volkswirtschaftlichen Bedarf eingesetzt würden“.
Sila U. kennt diese Probleme nur zu gut. Vor fünf Jahren kam die heute 26-Jährige aus der Türkei zum Studium ins Ruhrgebiet und lebt in einem Studentenwohnheim in Mülheim. Bei ihrem Wechsel vom Bachelor- in den Masterstudiengang geriet sie in einen regelrechten Teufelskreis der Bürokratie: „Ich hatte nur noch eine Aufenthaltsfrist von drei Monaten. Ich wollte weiter in der Uni-Bibliothek arbeiten, um mein Master-Studium zu finanzieren. Aber dafür benötigte ich einen längerfristigen Aufenthaltsstatus. Ohne den Job hatte ich für eine Verlängerung aber wiederum zu wenig Geld auf dem Konto.“
Mehrsprachige Studiengänge
Ihr drohte ein vorzeitiges Ende des Studiums. Ihre Tante habe ihr schließlich Geld geliehen, damit sie eine ausreichende Summe auf ihrem Konto nachweisen konnte. „Ich würde mir wünschen, dass die Ausländerbehörde und die Universität enger zusammenarbeiten“, sagt Sila U. Denn bei ihrem Studium macht sie so gute Fortschritte, dass sie später eine Promotion anschließen möchte.
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Karen Shire, Prorektorin für Internationales an der Uni Duisburg-Essen, sieht mehrere Probleme für internationale Studierende: Zunächst müssten die Studiengänge attraktiv genug sein, um ausländische Talente anzuziehen. Wobei sie dabei nicht nur auf englischsprachige Vorlesungen setzt. „Die Menschen müssen ja auf Dauer hier leben und arbeiten. Dazu gehört die deutsche Sprache.“ Aber für den Start seien zweisprachige Studiengänge sehr hilfreich, sagt die gebürtige US-Amerikanerin.
Probleme bei der Anerkennung
Eine weitere Hürde seien bürokratische Hemmnisse wie lange Wartezeiten für ein Visum sowie eine strikte Auslegung der Studienberechtigung in Deutschland. „Man schaut dabei zu wenig auf individuelle Fähigkeiten, sondern nur auf die formale Qualifikation.“ So sei ihr in den USA erworbener Bachelor-Abschluss in Deutschland nicht anerkannt worden, berichtet die Soziologie-Professorin.
Um den Rückgang der Studierendenzahlen aufzufangen, richten viele Hochschulen zweisprachige (bilingual) oder auch englischsprachigen Studiengängen. So hat etwa die TU Dortmund ihr Angebot an englischsprachigen Masterstudiengängen seit 2017 von fünf auf elf mehr als verdoppelt. Und die Uni Duisburg-Essen richtete speziell für ausländische Ingenieur-Studierende eine Service-Stelle ein, die unter anderem Sprachkurse anbietet und Praktika vermittelt. „Die Ingenieurwissenschaften haben schon früh erkannt, dass sie ausländische Studierende besser unterstützen und auch im Ausland über Partnerhochschulen Marketing betreiben müssen“, sagt Karen Shire.
Attraktives Studienziel NRW
„Das Ausländerrecht ist viel zu kompliziert, die Verfahren zur Anerkennung ausländischer Schulabschlüsse langwierig und teuer und die Frage der Studienfinanzierung für viele ein Problem“, fasst Sozialwissenschaftlerin Anja Weiß, die seit langem an der Uni Duisburg-Essen die Zuwanderung von Hochqualifizierten erforscht, die Lage für die Betroffenen zusammen. Es sei in Deutschland noch nicht überall angekommen, dass sich hoch qualifizierte Fachkräfte auf einem globalen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt bewegen. „Wenn sie hier auf viele Widerstände stoßen, gehen sie eben nach Schweden, Kanada oder in die USA“, sagt Anja Weiß.
Trotz aller Probleme bleiben die Hochschulen in NRW ein attraktives Studienziel. Seit rund zehn Jahren steigt die Zahl ausländischer Studierender nach Angaben des Landesstatistikamtes IT.NRW langsam aber stetig an. Zählten die Hochschulen im Land im Wintersemester 2012/13 noch insgesamt 71.275 ausländische Studierende (davon knapp 24.000 Bildungsinländer sowie rund 46.780 Bildungsausländer, die also ihre Studienberechtigung im Ausland erworben haben), waren es über alles Nationalitäten hinweg im Wintersemester 2021/22 rund 104.200.
Tolle Forschung, schwierige Bürokratie
Eine Erhebung der Humboldt-Stiftung unter 1800 ausländischen Stipendiaten bestätigt den Trend: Als Wissenschaftsstandort geben die Nachwuchswissenschaftler Deutschland ausnahmslos Bestnoten, herbe Kritik aber erntet die Bürokratie. Über die Anziehungskraft deutscher Hochschulen wundert sich Karen Shire von der Uni Duisburg-Essen keineswegs: „Deutschland hat eines der besten Wissenschaftssysteme in der Welt.“ Mit einigen Reformen und Verbesserungen ließe sich daher viel bewegen.
Lea S. will nach ihrer abgeschlossenen Promotion nicht in Deutschland bleiben. Sie glaubt, mit ihrem Abschluss in China bessere Jobchancen zu haben als hier. Aber trotz mancher bürokratischen Hemmnisse werde sie das Ruhrgebiet nicht im Groll verlassen. „Ich habe hier sehr viele positive Erfahrungen gemacht, die Uni und die Dozenten haben mich gut aufgenommen und es gibt hier viele internationale Studierende.“ Nur das Mensa-Essen, das werde sie ganz sicher nicht vermissen.