Essen. Radikalisierung vermeiden, Jugendgewalt vorbeugen - Wissenschaftler nehmen Migration in den Blick. Neues Forschungszentrum in Essen gestartet.
Nach der Wahl in der Türkei feierten viele Erdogan-Anhänger im Ruhrgebiet Erdogans Sieg mit türkischen Fahnen, Hupkonzerten und einem typischen Handzeichen: dem Wolfsgruß. Es ist das Zeichen der „Grauen Wölfe“, einer rechtsextremen Bewegung mit über 11.000 Anhängern, erklärt der Essener Politikwissenschaftler Burak Copur, der eine zunehmende Radikalisierung nicht nur unter Migranten wahrnimmt, sondern auch an den Rändern der deutschen Gesellschaft.
„Diese Beobachtungen hat uns dazu bewogen, ein Zentrum für Radikalisierungsforschung und Prävention zu gründen“, erklärt der Professor. Als Einrichtung der Internationalen Hochschule (IU) am Standort Essen betreibt ein bundesweit geknüpftes Netzwerk von Wissenschaftlern am ZRP ab sofort Ursachenforschung und sucht gemeinsam mit Experten aus der Praxis Wege, um Radikalisierungen vorzubeugen.
Die Themen liegen auf der Straße
Auf Essen als Metropole mitten im Ruhrgebiet ist die Wahl des Standorts dabei nicht zufällig gefallen, erklärt der neue Leiter des ZRP. „Steeler Jungs, die Dortmunder Neonazi-Szene, die Schüsse auf die Essener Synagoge, Antisemitismus, Salafisten, Reichsbürger, politische Islamisten, türkische Rechtsextremisten sowie rechtsradikale Chat-Gruppen bei der Polizei in Essen – hier liegen die Themen Extremismus, Radikalisierung und Jugendgewalt auf der Hand und bieten für die Forschung und Prävention viele Ansatzpunkte“, erklärt Copur. Damit wollen die Experten auch ihren Beitrag für Forschung und Praxis gegen diese Entwicklung leisten.
An dem neuen Forschungszentrum befassen sich Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus verschiedenen Bereichen mit Bezug zur sozialen Arbeit wie Erziehungswissenschaft, Soziologie, Politikwissenschaft und Kriminologie mit den Ursachen von Radikalisierung sowie mit Erkenntnissen der Präventionsarbeit.
Prävention, bevor die Polizei kommt
Ein interdisziplinär derart breit aufgestelltes Forschungszentrum mit einem mehrsprachigen, interkulturellen Team sei ein Novum und Alleinstellungsmerkmal für das Ruhrgebiet, sagt Copur. Dabei suchen die Wissenschaftler den Schulterschluss mit den Praktikern. Kooperationspartner für eine bereits laufende Veranstaltungsreihe ist die CSE, ein Zusammenschluss von Caritas und Sozialdienst katholischer Frauen (SkF). Seit Jahrzehnten beschäftigen sich die Sozialarbeiter der Caritas mit den Lebensverhältnissen in den sozialen Brennpunkten.
„Wir wissen, dass es großen Handlungsbedarf gibt, doch Radikalisierungen lassen sich nicht nur mit polizeilichen Mitteln bekämpfen. Da muss man vorher ansetzen.“ Das Team verstehe sich daher als eine Art „Frühwarnsystem und Feuerwehr“, die Politik und Gesellschaft je nach Bedarf fundierte Angebote macht. Um zu verhindern, dass sich insbesondere jüngere Menschen radikalisieren, sei zum Beispiel ein besseres Zusammenspiel von Stadtverwaltung, Politik, Polizei und Sozialverbänden nötig.
Copur hat dabei auch den Umgang mit der „letzten Generation“ in Bayern im Blick. „Durch die Kriminalisierung von Gruppen kann auch schnell eine Radikalisierung befördert werden“, weiß der Politikwissenschaftler. „Dann beginnt ein Teufelskreis von polizeilicher Verfolgung, Straftaten und Radikalisierung. Das schaukelt sich gegenseitig auf und muss frühzeitig durch Präventionsarbeit verhindert werden.“
>>>> Die Internationale Hochschule
Die IU - Internationale Hochschule ist eine staatlich anerkannte private Fachhochschule mit bundesweit 30 Standorten. Im Ruhrgebiet ist sie IU in Essen, Bochum, Duisburg und Dortmund vertreten. Mit über 100.000 Studierenden gilt sie als die nach Zahlen größte Hochschule in Deutschland und bietet 200 berufsbegleitende Studienprogramme in deutscher und englischer Sprache an. Sie kooperiert nach eigenen Angaben mit über 15.000 Unternehmen.