Essen/München. Prof. Martin Stratmann, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, erklärt, warum die neue Forschungs-Allianz ein Aufbruchssignal für das Revier ist.

Mit einer massiven Investition von 75 Millionen Euro will die Landesregierung die Forschung im Ruhrgebiet auf internationales Spitzenniveau heben. Nach der Aufbauphase soll der neue Forschungsverbund ab 2025 vom Land dauerhaft mit weiteren 48 Millionen Euro gefördert werden – pro Jahr. Prof. Martin Stratmann hat als Mitglied der 2018 vom Land initiierten Ruhrkonferenz den Anstoß für die starke Forschungs-Allianz („Research Alliance“) der drei Ruhrgebiets-Unis Bochum, Dortmund und Duisburg-Essen entwickelt.

Der gebürtige Essener ist Präsident der renommierten Max-Planck-Gesellschaft und eine der einflussreichsten Persönlichkeiten der deutschen Wissenschaft. Was bedeutet diese Investition für die Region? Christopher Onkelbach sprach mit Prof. Stratmann über die Zukunft des Ruhrgebiets.

Prof. Stratmann, für welche Zwecke werden die Fördergelder verwendet?

Martin Stratmann: Unter dem Dach der „Research Alliance Ruhr“ werden zwischen Duisburg und Dortmund vier naturwissenschaftlich ausgerichtete Forschungszentren zu den zentralen Zukunftsthemen Gesundheit, Chemie und Nachhaltigkeit, Datensicherheit, Energie- und Materialforschung, sowie ein geisteswissenschaftliches College aufgebaut. Die Gründungsprofessorinnen und -professoren sind benannt, viele Stellen sind ausgeschrieben. Alle fünf Einrichtungen haben ihre Arbeit aufgenommen. Insgesamt werden etwa 50 neue Professuren sowie zahlreiche Stellen für den wissenschaftlichen Mittelbau geschaffen.

Welche Idee stand hinter der „Research Alliance Ruhr“?

Ausgangspunkt war die Gründung des Max-Planck-Instituts für Sicherheit und Privatsphäre in Bochum. In der Region gibt es zudem zwei Max-Planck-Institute in Mülheim, eines in Dortmund und das MPI für Eisenforschung in Düsseldorf, wo ich als Direktor tätig bin. Wir haben also fünf Institute der Spitzenforschung in der Region. Diese Institute sind darauf angewiesen, dass auch die Universitäten in der Region Forschung von Weltrang betreiben.

Und die Hochschulen im Ruhrgebiet bieten dafür das richtige Umfeld?

Ich habe darüber Gespräche mit der Landesregierung geführt und dabei verdeutlicht, dass ich ein sehr großes Potenzial im Ruhrgebiet sehe. Doch ich äußerte auch die Sorge, dass man an drei benachbarten Universitäten in einer Region, die finanziell nicht beliebig hohe Mittel hat, nicht an jedem Standort Forschung auf Weltniveau etablieren kann.

Die Konsequenz daraus war eine engere Kooperation?

Ich habe angeregt, den Verbund der Universitäten, der ja schon als Universitäts-Allianz seit 2007 etabliert ist, zu verstärken und gemeinsame Exzellenz-Zentren zu gründen. Die Ruhrkonferenz bot die einzigartige Gelegenheit, den Universitäten im Ruhrgebiet eine besondere Struktur zu geben, die es ihnen ermöglicht, gemeinsam Weltklasse zu erreichen. Ich habe auch das Vorbild der University of California ins Gespräch gebracht.

Was kann das Ruhrgebiet als Forschungsstandort bieten?

Das Ruhrgebiet hat etwas, was keine andere Region in Deutschland hat. Es gibt freie Flächen, manchmal sogar in den Städten. In Berlin oder München würden Sie keinen Quadratmeter bekommen. Hier aber kann man die Chance nutzen, urbane Zentren, Leben, Wohnen, Kultur und Forschung zu konzentrieren. Es war also ein kombinierter Vorschlag: Auf der einen Seite Forschungszentren zu gründen und diese Zentren möglichst durch ein modernes Verkehrssystem zu verbinden. Und zum anderen, diese Gelegenheit für eine konsequente Stadtentwicklung zu nutzen. Das ist die Blaupause für das Ruhrgebiet 2.0, wenn Sie so wollen. Das hat die Landesregierung überzeugt.

Eine Zukunft für das Ruhrgebiet: Die gesamte Region werde von den Investitionen in die Spitzenforschung profitieren, ist Prof. Martin Stratmann überzeugt.
Eine Zukunft für das Ruhrgebiet: Die gesamte Region werde von den Investitionen in die Spitzenforschung profitieren, ist Prof. Martin Stratmann überzeugt. © www.blossey.eu / FUNKE Foto Services | Hans Blossey

Wie kann die Region davon profitieren?

Nach aller Erfahrung, die ich gesammelt habe, ist eine wirtschaftliche Entwicklung in einer Region wie dem Ruhrgebiet nur möglich, wenn man auf Wissenschaft aufbaut. Das sieht man überall in der Welt. Neue Unternehmen entstehen stets in der Nachbarschaft zu Forschungszentren.

Reichen die Investitionen aus, um das Revier weltweit sichtbarer zu machen?

Auch interessant

Wuchtig ragt das Audimax der Ruhr-Uni Bochum in den Himmel. 1965 ging die erste Universitätsneugründung nach dem Krieg in Betrieb.
Von Christopher Onkelbach

Die Forschungszentren greifen Themen auf, die für die Zukunft der Gesellschaft von Bedeutung sind, sie arbeiten interdisziplinär. Das Research Center für Datensicherheit zum Beispiel ist mehr als bloß Computerwissenschaft. Es stellen sich konkrete Herausforderungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Wie können Menschen ermächtigt werden, intelligente Systeme zu verstehen, zu nutzen und ihnen zu vertrauen? Dazu benötigen wir IT-Spezialisten, aber auch Psychologen, Soziologen, Philosophen und so fort. Das ist nicht mehr voneinander zu trennen.

Was haben die Menschen im Ruhrgebiet von den Forschungszentren?

Eine Zukunft! Das Revier ist eine sehr dynamische Region mit vielen jungen Menschen, die eine gute Ausbildung wünschen. Das Ruhrgebiet kann jetzt die Chance nutzen, ganz vorne mitzuspielen und zum Anziehungspunkt für qualifizierte Kräfte zu werden. Das Revier muss ein Trumpf werden für Nordrhein-Westfalen und nicht eine Belastung bleiben! Schauen Sie auf Biontech, das Mainzer Biotechnologie-Unternehmen sorgte 2021 für ein Fünftel des deutschen Wirtschaftswachstums.

Versteht sich das Ruhrgebiet immer noch zu sehr als ehemalige Montan-Region?

Die Frage ist doch jetzt: Will die Region weiter in die Vergangenheit schauen, oder will sie in die Zukunft aufbrechen? Man muss den Menschen im Ruhrgebiet klar machen, welche Möglichkeiten sich durch die Spitzenforschung eröffnen, nicht nur wirtschaftlich und wissenschaftlich. Im Grunde ist die Research Alliance kein Forschungs-Konzept, sondern ein politisches Konzept. Es ist eine Riesen-Chance für das Ruhrgebiet.

>>>> Zur Person:

Martin Stratmann (68) ist seit 2014 Präsident der Max-Planck-Gesellschaft mit Sitz in München. Der gebürtige Essener studierte Chemie an der Ruhr-Universität Bochum. Der Elektrochemiker und Materialwissenschaftler ist Direktor am Max-Planck-Institut für Eisenforschung in Düsseldorf.

Seiner ersten Auszeichnung für die beste Diplomarbeit seines Jahrgangs im Fach Chemie an der Ruhr-Uni Bochum im Jahr 1979 folgten im Laufe seiner wissenschaftlichen Karriere noch eine Vielzahl weitere Ehrungen.