Essen. Das Studium in der Heimat wird oft nicht anerkannt, Bafög erhalten viele Zugewanderte aber trotzdem nicht. Manche stehen plötzlich mittellos da.

Die Hochschulen in NRW erwarten in den kommenden Semestern eine steigende Zahl ukrainischer Studierender. Derzeit sind bereits knapp 1800 Studierende aus der Ukraine an einer NRW-Hochschule eingeschrieben. Wenn sie schon einen Abschluss haben oder ihr Studium nicht im gleichen Fach fortsetzen können, werden sie bei der Beantragung von Bafög die gleichen Erfahrungen machen müssen, wie viele Zugewanderte zuvor: Ihre Anträge werden abgelehnt und Anspruch auf Hartz IV haben sie auch nicht mehr, sobald sie eingeschrieben sind.

So fallen ausländische Akademiker in Deutschland durch alle Fördernetze. Doch qualifizierte Arbeit finden sie mit ihrem ausländischen Hochschulabschluss in Deutschland meistens auch nicht. „Taxifahrer und Paketboten mit ausländischem Diplom sind keine Seltenheit“, sagt Prof. Matthias Knuth vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Uni Duisburg-Essen.

Der Fall von Leidy Johanna Bedoya

Leidy Johanna Bedoya aus Kolumbien kennt dieses Dilemma. „Ich habe in Kolumbien ein Lehramtsstudium im Fach Englisch abgeschlossen, aber damit kann ich in Deutschland nichts anfangen“, erzählt die 26-Jährige. In Deutschland ist ein zweites Fach im Lehramtsstudium obligatorisch, zudem ein Referendariat von 18 Monaten. Daher nahm sie im Herbst 2020 an der Ruhr-Uni Bochum ein Studium der Sozialwissenschaften auf und beantragte Bafög.

Das Bafög-Amt verlangte von Leidy Johanna Bedoya zunächst verschiedene Dokumente und forderte sie im Mai 2021 auf, einen „unabweisbaren Grund“ dafür nachzuweisen, warum sie in Deutschland nicht als Lehrerin arbeiten könne. „Die junge Frau aus Kolumbien sollte also dem Amt das deutsche Lehramtsstudium erklären“, empört sich Knuth. In der Zwischenzeit hielt sich Bedoya mit Jobs als Au Pair oder in der Verwaltung bei Aldi über Wasser.

Klage brachte Erfolg

Im August 2021 wurde ihr Antrag abgelehnt. Über ein paar Ecken hörte sie von dem Verein „Intez“ in Essen, der hochqualifizierte Zuwanderer in Finanzierungsfragen berät und für den sich auch Prof. Knuth engagiert. Daraufhin reichte eine Intez-Anwältin Klage am Amtsgericht Gelsenkirchen ein. Das urteilte schließlich am 26. Juli 2022 und bestätigte ihren Bafög-Anspruch. „Ziel des Bafög sei, Ausbildungen zu fördern, die zu einer Berufsausübung in Deutschland befähigen“, heißt es in der Urteilsbegründung. Es dauerte gut zwei Jahre, bis sie endlich ab diesem Oktober Bafög erhielt.

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Dass die Bafög-Ämter grundsätzlich eine Förderung verweigern, wenn einem Studenten nach etlichen Semestern einfällt, das Fach wechseln zu wollen, findet auch Knuth völlig in Ordnung. Ebenso, dass man kein zweites oder drittes Studium gefördert bekommt. Aber bei zugewanderten Menschen liegen die Fälle eben oft anders, da ihre Studienleistungen hier wertlos sind. „Hier werden grundlegend unterschiedliche Bildungsverläufe formal gleich behandelt und das führt im Ergebnis zur Benachteiligung“, kritisiert der Arbeitsmarktexperte. Seit Jahrzehnten setzten die Bafög-Behörden die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht um.

Der Fall von Ahmed Alashtar

Ähnlich erging es Ahmed Alashtar aus Homs. In Syrien hatte er einige Semester Wirtschaft studiert und musste wegen des Bürgerkriegs Anfang 2014 aus seiner Heimat fliehen. Anfang 2015 erreichte er Gelsenkirchen. Nach Asylverfahren und Sprachkursen war er im Frühjahr 2020 so weit, dass er sein Studium in Deutschland fortsetzen wollte. Doch im Sommersemester konnte er sich für Betriebswirtschaftslehre (BWL) nicht einschreiben, daher überbrückte er das halbe Jahr mit einem Online-Studium in Wirtschaftsingenieurwesen an der Hochschule Konstanz. Im Wintersemester 2020 schrieb er sich schließlich an der Uni Duisburg-Essen für BWL ein – und beantragte Bafög.

Wieder verlangte das Amt zahlreiche Unterlagen, „insgesamt dauerte es ein Jahr, bis ich die Ablehnung bekam“, erzählt der 31-Jährige. „Die Begründung war, ich hätte gleich zweimal das Fach gewechselt. Von Syrien nach Konstanz und dann an die Uni Essen. Dabei studiere ich jetzt das gleiche Fach wie in Syrien, nämlich BWL.“ Mit Jobs als Lagerarbeiter finanzierte er sein Leben.

Flucht als Studienabbruch

Dann hörte auch er von „Intez“ und erhielt Unterstützung bei der Formulierung eines Widerspruchs, in dem auf einen ähnlichen Fall eines syrischen Studenten verwiesen wurde, dem das Gericht einen Bafög-Anspruch zugesprochen hatte. „Die Aufgabe des Studiums im Ausland zwecks Flucht vor einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt (…) stellt sich grundsätzlich als Abbruch dar und nicht als Fachrichtungswechsel“, hatte das Verwaltungsgericht entschieden.

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Doch das Bafög-Amt reagierte längere Zeit nicht auf das Alashtars Widerspruch. Erst ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung durch eine Rechtsanwältin des Vereins wirkte. Nach vier Wochen bekam Ahmad Alashtar einen Bewilligungsbescheid – da waren eineinhalb Jahre vergangen.

Ukrainische Flüchtlinge suchen Rat

Seit November meldeten sich vermehrt ukrainische Flüchtlinge, die zum Wintersemester in Deutschland ein zweites Studium aufgenommen, Bafög beantragt und nun Ablehnungsbescheide erhalten haben, berichtet Knuth. „Mit der Immatrikulation haben sie ihren Anspruch auf Hartz IV aufgegeben und müssen nun feststellen, dass sie mittellos dastehen.“

Knuth fordert daher eine Reform des Bafög. Die Förderung müsse auch Flüchtlingen und Zugewanderten zugänglich sein, die noch einmal studieren oder bei der Fortsetzung des Studiums das Fach wechseln müssen.

Wie viele ausländische Studierende bisher durch die Förderraster gefallen sind, ihre Rechte nicht kannten, die komplizierten Regelungen und Studienanforderungen nicht verstanden oder entnervt aufgaben, wisse niemand, so Knuth. „Wir hatten Glück“, sagt Leidy Johanna Bedoya. „Doch viele bekommen diese Hilfe nicht.“

>>>> Der Verein Intez hilft

Ebenso wie andere Sozialleistungen gilt Bafög für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder dauerhaften Aufenthalt in Deutschland haben. Ausgeschlossen sind damit unter anderem ausländische Studierende, die nur für ein Studium nach Deutschland kommen. Außerdem Asylbewerber, über deren Antrag noch nicht entschieden wurde. Geduldete erhalten den Anspruch nach 15 Monaten Aufenthalt.

„Intez“ wurde Ende 2015 gegründet. Der Verein unterstützt Studierende, denen die Studienförderung zu Unrecht verweigert wird. An den Verein wenden sich Personen, die im Ausland schon studiert haben, aber für eine Berufsausübung in Deutschland noch einmal studieren müssen. Kontakt: info@intez.de