Essen. Gegen den chronischen Personalmangel in Kitas sollen Quereinsteiger helfen. So fordert es der NRW-Städtetag. Warum manche Eltern skeptisch sind.
Die Personalnot in den NRW-Kitas spitzt sich weiter zu. Wie neue Zahlen des NRW-Familienministeriums zeigen, meldeten die Landesjugendämter für die rund 10.700 Kitas im Bereich der Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe im März 2606 Fälle von zu wenig Personal. In der Folge mussten Gruppenzeiten gekürzt werden, in 1080 Fällen fiel die Betreuung teilweise oder sogar ganz aus.
Zum Vergleich: Im März 2022 gab es 1862 Meldungen. Die verschärfte Personalmisere facht die Diskussion um Entlastungskräfte und Quereinsteiger in Kitas weiter an. Kita-Träger und Eltern begrüßen den Einsatz, fordern aber vorab Schulungen und strenge Eignungstests. Doch es gibt auch Ablehnung.
„Ich möchte sicher sein, dass mein Kind vernünftig betreut wird“
Die Awo-NRW nennt den Einsatz von Quereinsteigern „einen ersten Lösungsansatz, um Fachkräfte zu entlasten“, sagt Geschäftsführer Michael Mommer. Anders der Kita-Zweckverband des Bistums Essen: Er hält den Einsatz von ungelernten Hilfskräften mit Blick auf die Qualitätssicherung in Kitas für „nicht zielführend“. Zudem könne Fachkräftebedarf auch durch Hilfskräfte nicht gedeckt werden, sagt Sprecherin Lina Strafer. Und die Eltern?
„Als Vater möchte ich sicher sein, dass mein Kind vernünftig betreut wird“, betont Sascha Nilgens (Mülheim). Grundsätzlich spreche nichts gegen fachfremdes Personal. Allerdings müsse vorab geprüft werden, ob die Voraussetzungen dafür stimmten. „Schließlich vertraue ich das Wertvollste, was ich habe, einem Fremden an“, so Nilgens.
NRW-Städtetag fordert Hilfspersonal ohne pädagogische Ausbildung
Zuletzt hatte der NRW-Städtetag auch die Beschäftigung von Personal ohne pädagogische Ausbildung gefordert. „Die Städte suchen händeringend Fachpersonal. Es gibt aber keines“, so Thomas Eiskirch, Städtetagsvize und OB in Bochum. Die Ergänzungskräfte könnten helfen, die Situation zumindest kurzfristig zu entspannen, so Eiskirch. Das Land muss „endlich handeln“ und geeignetes und weiterbildungsbereites Fachpersonal in den Kitas einsetzen, fordert er.
Wie das funktionieren kann, zeigt ein Modell aus Aachen. Das Konzept sieht vor, dass Quereinsteiger beispielsweise beim Zähneputzen helfen, mit den Kindern spielen oder draußen die Aufsicht übernehmen. Die Aufgaben bewegen sich im Bereich zwischen einer Kinderpflegeperson und einem Alltagshelfer oder einer Alltagshelferin.
Landeselternbeirat: „Quereinsteiger können eine Bereicherung sein“
Daniela Heimann, Sprecherin des Landeselternbeirats NRW, begrüßt das Konzept des Städtetags – sofern die Rahmenbedingungen stimmen. „Quereinsteiger können eine Bereicherung sein, vor allem, wenn sie sich weiterqualifizieren können“, sagt Heimann.
Eine Sicht, die Sabrina van Geul als Mutter teilt: „Quereinstiege müssen erleichtert werden.“ In der Kita ihres Sohnes sei zuletzt häufig Personal ausgefallen. „Wenn es zum Beispiel darum geht, mit den Kindern zu basteln, kann eine Ergänzungskraft wertvoll sein“, meint die Düsseldorferin.
„Kinderbetreuung muss gesichert sein, um Eltern zu entlasten“
Dirk Dregenus, Vater von zwei Kita-Kindern, sieht das skeptisch: „Die Kita ist kein Abgabe-Ort, sondern eine Bildungseinrichtung“, betont der Mülheimer. An intime Bereiche, wie dem Windeln-Wechseln, dürfe kein fachfremdes Personal ran. „Auch die sprachliche und soziale Förderung sollte eine Fachkraft übernehmen.“
Diese Sorge teilt Sebastian Klimas, ebenfalls Vater zweier Kinder. „Die Vorstellung, dass ungelerntes Personal so nah an den Kindern arbeitet, macht einem erstmal Angst“, sagt Klimas. Nun sei die Politik gefordert, das Misstrauen bei den Eltern abzubauen und sie darüber zu informieren, unter welchen konkreten Voraussetzungen die Kräfte in den Kitas künftig arbeiten dürfen. Denn, so Klimas: „Die Kinderbetreuung muss weiter gesichert sein, um die arbeitenden Eltern zu entlasten.“
Verdi kritisiert Konzept als „zu kurz gegriffen“
Als „zu kurz gegriffen“, kritisiert derweil die Gewerkschaft Verdi die Vorschläge des Städtetags. Ein Quereinstieg in den pädagogischen Bereich müsse zwingend mit konkreten Qualifizierungen einhergehen, betont Tjark Sauer, Gewerkschaftssekretär von Verdi-NRW. Neben einem verbesserten Betreuungsschlüssel, kleineren Gruppengrößen und einer höheren Ausbildungsvergütung würden auch Quereinstiege die Situation kurz- und mittelfristig verbessern.
Die NRW-Regierung setzt auf das „Sofortprogramm Kita“, das Familienministerin Josefine Paul (Grüne) Anfang Februar vorgestellt hatte. Demnach sollen in den Jahren 2023/24 bis zu 1400 Ausbildungsplätze für sogenannte Kinderpfleger gefördert werden. Zudem sollen gezielt Quereinsteiger angesprochen und ihre Beschäftigung in Kitas erleichtert werden, etwa Sport-, Kunst- und Medienpädagogen. Wie groß der Personalmangel in NRW ist, zeigt eine neue Bertelsmann-Studie auf. Demnach fehlen rund 24.000 Erzieherinnen und Erzieher – aber auch rund 100.000 Kita-Plätze.